Praktische Kanji-Lerntipps 2: Präzise Begriffe durch Kanji

Aya Puster
Aya Puster

Die in Japan genutzten Kanji-Schriftzeichen bieten für Lernende jede Menge Herausforderungen. Doch sie sind auch reich an einer begrifflichen Präzision, der die gesprochene Sprache nicht das Wasser reicht. In dieser Kolumne teilt Sprach-Expertin Aya Puster hilfreiche Tipps mit JAPANDIGEST.

kanji wörterbuch
(c) ma-chan / photo-ac

Manchmal habe ich das Gefühl, dass Japaner vor der Einführung der Schrift wohl ein pragmatisches und unkompliziertes Verhältnis zur Sprache gehabt haben. Denn sie scheinen ähnliche Tätigkeiten in einem einzigen Wort zusammengefasst zu haben. Mit der Einführung von Kanji haben sie eine fantastische Möglichkeit erkannt, verschiedene Tätigkeiten und auch Dinge mit Schriftzeichen präzis auszudrücken, ohne dabei die ursprüngliche Aussprache zu ändern. So zum Beispiel wurde, und wird noch heute, eine Änderung des gegenwärtigen Zustandes durch das Verb kawaru ausgedrückt. Auf die jeweiligen Ursachen einer Änderung wird dabei nicht eingegangen. Diese konnten nun mit unterschiedlichen Kanji zum Ausdruck gebracht werden:

kawaru変わるA (beliebiger Gegenstand, beliebige Person oder Sachlage usw.) verändert seine Eigenschaft
kawaru代わるA wird durch B (etwas, das zur gleichen Kategorie gehört bzw. die gleiche Beschaffenheit besitzt) ersetzt
kawaru替わるA wechselt mit B ab
kawaru換わるA wird mit B ausgetauscht

Genial, nicht wahr? Für ein Alltagsgespräch reicht ja die Tatsache, dass sich etwas ändert (kawaru) vollkommen aus. Wie es sich ändert, erfährt man eben durch die Schriftsprache.

Dasselbe gilt für das Verb toru, welches „nehmen“ bedeutet. Hierbei wird der “genommene” Gegenstand durch Kanji ausgedrückt.

toru取るnehmen (allgemein)
toru撮るFotos und Filme aufnehmen
toru録るschriftliche und mündliche Dokumentation aufzeichnen
toru執るBüroarbeit erledigen
toru採るPflanzen sammeln
toru獲るTiere jagen, erbeuten
toru摂るNahrung aufnehmen
toru盗るstehlen, wegnehmen
toru捕るfangen, ergreifen

Allerdings ist hier Vorsicht geboten, wenn man den Satz Kare ga totta auf Japanisch schreibt: Der Satz „彼が取った。Er hat (es) genommen.“ unterscheidet sich erheblich vom Satz „彼が盗った。Es hat (es) gestohlen.“ . Achten Sie also auf die richtige Auswahl der Kanji.

Weitere Beispiele

Hakaru: “messen”

hakaru測る(Länge, Tiefe, Zeit, Geschwindigkeit usw.) messen
hakaru計るMit einem Messinstrument messen
hakaru量る(Volumen bzw. Gewicht) mit einem Messbecher bzw. einer Waage messen
hakaru図るetwas planen
hakaru諮るbezüglich eines Plans jemanden um dessen Meinung fragen
hakaru謀るüberlisten, hereinlegen

Tomaru: “nicht weitergehen”

tomaru止まるanhalten, stoppen
tomaru停まるanhalten (Fahrzeug)
tomaru留まるbleiben
tomaru泊まるübernachten

Tokeru: “keine Festigkeit mehr besitzen”

tokeru融けるschmelzen (Schnee, Atomkern)
tokeru溶けるauflösen (in einer Flüssigkeit)
tokeru熔けるschmelzen (Metall)
tokeru解けるlösen (Probleme, verworrene Fäden)

Dies gilt nicht nur für Tätigkeiten, sondern auch für Adjektive.
Akai: rötliche Farben

akai赤いrot
akai紅いhellrot
akai朱いgelblich rot

Ao: blaue Farbtöne

aoblaue bzw. grüne Farbe im Allgemeinen
aoblaugrün
aoindigoblau
aoblassblau

Katai: “hart”

katai固いhart,fest (固い友情 feste Freundschaft)
katai硬いhart, nicht weich (硬い石 harter Stein)
katai堅いrobust, sicher (堅い材質 robustes Material)
katai難いschwierig (im Sinne von “eine harte Nuss”)

Die Liste könnte beliebig erweitert werden. Japanisch-Lerner brauchen jedoch nicht den Mut zu verlieren, dass sie so viele unterschiedliche Schriftzeichen lernen müssen. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Wenn man den Grundbegriff eines japanischen Wortes kennt, kann man es für ähnliche Tätigkeiten/Sachen benutzen. Das Wort ryōshi bedeutet auf Japanisch „jemand, der Naturprodukt erbeutet“ und kann sowohl für Fischer 漁師 (ryōshi) also auch für Jäger 猟師 (ryōshi) benutzt werden. Auf diese Weise reduziert sich die Anzahl der Vokabeln, die man beim Japanisch-Studium erlernen muss.

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