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Pauken für Prestige: Warum japanische Elite-Universitäten so begehrt sind

Emma Miesler
Emma Miesler

Jährlich strömen Unmengen von japanischen Schülerinnen und Schülern in Nachhilfe- und Vorbereitungsschulen – das Ziel: genug zu Büffeln, um einen der begehrten Plätze an einer hochrangigen Universität zu ergattern. Doch woher kommt diese Fixierung auf das Prestige der Universität?

Schüler im Unterricht
© Photo AC / CrioStudio

Wann immer man als Student:in dieser oder jener namensträchtigen Universität sich mit der Zugehörigkeit zu eben jener Universität vorstellt, bekommt man in Japan oft ein „A, (Name der Universität)? Atama ga ii desu ne!“ zu hören. Was auf Deutsch so viel heißt wie „Oh, XYZ-Universität, dann musst du ja sehr schlau sein!“ – gänzlich unabhängig davon, was man studiert, wie der momentane Notendurchschnitt ist oder ob man nur als Austauschstudierende:r für ein Jahr dort eingeschrieben ist.

Doch die japanische Begeisterung – oder Fixierung – auf den Rang einer Universität geht noch weiter: Jedes Jahr investieren japanische Schülerinnen und Schüler bzw. deren Eltern immens viel Zeit und Geld in Form von kostspieligen Nachhilfeschulen, um die herausfordernden Aufnahmeprüfungen zu meistern. Was hat es damit auf sich? Wieso ackern sich junge Menschen jahrelang dafür ab, einen der begehrten Plätze an einer Elite-Universität zu bekommen?

Staatlich versus privat

Zunächst sollte dafür ein Blick auf das japanische Bildungssystem geworfen werden: Die vergleichsweise noch recht junge Universitätslandschaft ist von einem dualen System aus staatlichen und privaten Universitäten geprägt. Anstelle der Abiturnote entscheidet eine knifflige Aufnahmeprüfung, die den Prüflingen alles abverlangt. Um sich darauf vorzubereiten ist es fast unumgänglich, in einer der zuvor angesprochenen Nachhilfeschulen zu büffeln. Der Besuch der staatlichen Universitäten ist zwar im Vergleich zu den privaten etwas (wenn auch nicht signifikant) preiswerter, doch die Chancen, die Aufnahmeprüfung zu bestehen, sind dafür umso geringer – zu viele Bewerber:innen auf zu wenig Plätze. Denn ein Besuch einer staatlichen Universität ist viel prestigeträchtiger: Im nationalen Ranking stehen diese Universitäten seit Jahrzehnten auf den höchsten Plätzen.  

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Elitär seit den Anfängen

Im Jahre 1877 wurde mit der Tōkyō-Universität, kurz der Tōdai (von Tōkyō Daigaku), die erste staatliche Universität in Japan gegründet – mit dem Ziel, eine Elite auszubilden, die nach Vorstellungen der Politik die zukünftige Regierung bilden solle. Nach und nach wurden diverse andere Universitäten gegründet, deren Absolvierende bis in die Vorkriegszeit eine Reihe an Vorteilen, insbesondere in Bezug auf Berufe in der Politik, genossen. Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg stand allerdings für die alliierten Siegermächte die Dezentralisierung der japanischen Bildung im Fokus – und das sollte insbesondere durch die Förderung von privaten, von staatlichen Einflüssen unabhängigen, Universitäten geschehen. Die Sternstunde der privaten Universitäten war geboren. Doch trotz aller Bemühungen – die alteingesessenen Bande zwischen den hochklassigen staatlichen Universitäten, insbesondere der Tōkyō- und der Kyōto-Universität, mit der japanischen Regierung und später auch mit wichtigen japanischen Unternehmen blieben ungebrochen: Wer an einer dieser Universitäten studiert, dem ist auch heute noch ein guter Arbeitsplatz in einer hohen, einflussreichen Position fast sicher – fast unabhängig davon, was studiert wurde.

Ruf statt Noten: Wie Unternehmen einstellen

Die historische Bedeutung der staatlichen Universitäten ist einer der Gründe, warum bis heute die Eliteuniversitäten einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert haben – doch darüber hinaus gibt es noch eine Reihe an weiteren Beweggründen, aus denen Eltern ihre Sprösslinge auf diese Universitäten schicken wollen.

Wer an die eigene Universitätszeit zurückdenkt, der weiß, dass Noten nicht unbedingt den Intellekt oder das Engagement der Studierenden widerspiegeln. Was für Spitzenunternehmen bleibt, ist die Reputation der Universität und die Erfahrungen: „Die Letzten, die wir von der Universität direkt nach dem Abschluss in unser Unternehmen abgeworben haben, haben sich als ein Glückstreffer erwiesen, also warum sollte das mit anderen Studierenden nicht auch so sein?“. Das verkleinert den Kreis, aus dem Unternehmen ihre neuen Angestellten einstellen und so kommt es, dass man eben für diesen oder jenen Job Studierende:r dieser oder jener Universität gewesen sein muss. Und wer als Alumni der Universität X im Vorstand jener großen Firma sitzt, der wird Absolvierenden der Alma Mater wohlwollender gegenüber gestimmt sein, als denen einer No-Name-Universität fernab der Großstädte.

Obwohl historisch gesehen die staatlichen Universitäten in Japan das Sagen in der Politik hatten, befinden sich die privaten auf einer Aufholjagd: Während der Anteil der Absolvierenden von staatlichen Universitäten in Führungspositionen stagniert, steigt die Zahl der Privatuniversitäts-Alumni in ebendiesen Positionen in den letzten Jahren rasant an.

Ruhm hat seinen Preis

Staatliche Universitäten wie die Tōkyō-Universität, die Kyōto-Universität, die Ōsaka-Universität oder die Tōhoku-Universität gehören zu den aktuell besten und prestigereichsten Hochschulen des Landes. Doch auch der Besuch von einigen privaten Universitäten ist begehrt, darunter etwa die Waseda-, die Keiō- und die Sofia-Universität in Tōkyō. Studierenden dieser Einrichtung wird sogar eine Sonderform der Bewunderung zu Teil: Hier mischt sich die Anerkennung für das Bestehen der herausfordernden Zulassungsprüfungen mit dem Wissen über die horrenden Studiengebühren. Ein Jahr an der Waseda-Universität beispielsweise kostet rund 1,3 Millionen Yen (rund 8.500 Euro).

Aus deutscher Sicht fühlt sich das Ganze vielleicht etwas befremdlich an – hierzulande ist schließlich eher der Studiengang als die Universität ausschlaggebend. Und ich bin mir sicher, dass in Deutschland sich wohl nie mein Hausarzt bei mir mit einem ehrfürchtigen „Vielen Dank, dass Sie, die Sie an der XYZ-Universität studieren, heute meine Praxis beehren“ bedanken würde – insbesondere nicht, wenn er wüsste, dass ich Japanologie studiere.

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