„Kira Kira Namen“ in Japan: Zwischen Einzigartigkeit und elterlichem Überschwang

Diana Casanova
Diana Casanova

In Japan setzen sich seit einigen Jahrzehnten - wie auch in Deutschland - ungewöhnliche Vornamen bei den jüngeren Generationen durch. Welche Formen dieser besonderen "Kira Kira Namen" es gibt und wie elterliche Liebe auch mal gehörig schief gehen kann.

Stempel
"Schreiben wir unsere Namen!" - doch wie?

Ein Vorname ist von immenser Bedeutung: Sein Klang, seine Aussprache und Bedeutung können entscheidend sein, wie das Kind den Rest seines Lebens verbringen wird. Und zugleich ist es ein Ausdruck der Eltern, was sie ihrem Neugeborenen für einen Charakter wünschen. 

Gerade in Japan hat man eine doppelte Möglichkeit, den Vornamen zu gestalten: zum einen durch die Auswahl der chinesischen Zeichen, den Kanji, und zum anderen durch die Aussprache dieser Zeichen. Bei beiden muss man Vorsicht walten lassen, denn eine falsche Kombination kann das Leben des Kindes ungemein komplizierter machen.

Eine (un)klare Gesetzeslage

Bei der Auswahl des Namens und der entsprechenden Kanji sind in Japan gewisse Grenzen gesetzt. Laut Gesetzeslage müssen die Kanji „einfach und gebräuchlich“ sein und müssen aus der Liste der jōyō kanji (Kanji des allgemeinen Gebrauchs) oder der jinmei kanji (Kanji speziell für Namen) stammen. Doch das Gesetz hat ein entscheidendes Schlupfloch: Es steht den Eltern nämlich frei zu entscheiden, wie diese Zeichen gelesen werden und welche Kombination sie haben sollen.

In einem berühmten Fall von 1993 wollte ein Paar ihr neugeborenes Kind Akuma nennen. Das Problem: Das Wort bedeutet „Teufel“ oder „Dämon“. Auch wenn die Kanji selbst laut Gesetz in Ordnung waren, lehnte das Standesamt die Namenswahl aufgrund der offensichtlichen Kindeswohlgefährdung ab. Nach langem Hin und Her entschied sich das Paar schließlich für den Namen Aku. Es heißt, dass dies einer der ersten sogenannten „Kira Kira Namen“ war.

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Endlose „Kreativität“?

„Kira Kira Namen“ sind ein Trend bei der Namensgebung, der Mitte der 90er-Jahre erst richtig losging. Als „Kira Kira“ werden Vornamen bezeichnet, die als besonders originell, kreativ, modern oder einzigartig gelten – eben alles andere als traditionell und gewöhnlich. Kira kira bedeutet „funkelnd“ oder „glänzend“ und das beschreibt die jeweiligen Namen in puncto Herausstechen aus der Masse besonders gut.

Das können z. B. Namen sein, die komplizierte oder ungewöhnliche Kanji verwenden, deren Lesungen nicht der üblichen entsprechen, oder die an Charaktere der japanischen Popkultur angelehnt sind. Insbesondere letztere hatte im Laufe der letzten Jahrzehnte einen starken Einfluss auf die Wahl der Babynamen. Berühmt-berüchtigte Beispiele (wenn auch Einzelfälle) dafür sind:

  • Naushika (今鹿), angelehnt an die gleichnamige Protagonistin des Ghibli-Films „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ (1984). Die Kanji lauten 今 (ima, „jetzt“, allerdings gelesen als nau, abgeleitet vom englischen „now“) und 鹿 (shika, „Hirsch“).
  • Pikachu (光宙), 光 bedeutet eigentlich „Licht“, hier gelesen als pika (vom Wort pika pika, was „funkelnd“ bedeutet). 宙 (chū) bedeutet „Weltraum“.

Insbesondere das Beispiel „Pikachu“ zeigt, wie die Eltern sich die Gesetzeslage bezüglich der Namen zunutze gemacht haben. Die ausgewählten Kanji selbst sind sehr gängig, doch selten wird das Zeichen 光 als pika gelesen – hier wurde sich also nur der sinngemäßen Bedeutung des Zeichens bedient. Das Kanji 宙 wurde ausgewählt, weil es zur Lesung des gewünschten Namens passt. Die Kombination beider Kanji gibt es nicht und nur die Wenigsten würden auf die korrekte Lesung überhaupt erst kommen.

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Person mit Namensschild

Westliche Einflüsse

Eltern haben also verschiedene Möglichkeiten, bei der Namenswahl kreativ zu werden. Man kann Kanji aufgrund ihrer phonetischen Lesung wählen und nicht wegen ihrer Bedeutung, oder man ignoriert die Lesung teilweise oder komplett und/oder bedient sich der Lesung eines bedeutungsähnlichen Wortes.

Doch auch die westliche (Pop-)Kultur hat Einfluss – wie hierzulande auch – auf die Vornamen japanischer Kinder. So gibt es Makkusu (真九州) vom englischen Namen „Max“, oder Mashū (馬周) von „Matthew“. Hier bediente man sich erneut gängiger Kanji, die der japanischen Aussprache der englischen Namen entsprechen. Manchmal wählen Eltern ein Kanji, nutzen als Lesung aber die englische Aussprache desselben Wortes:

  • 光 (Licht), ausgesprochen Raito (vom engl. „light“)
  • 檸檬 (Zitrone), ausgesprochen Remon (vom engl. „lemon“)
  • 火星 (der Planet Mars), ausgesprochen Māzu (von “Mars”)

Einfach nur daneben?

Die Freiheit zu entscheiden, wie das Kanji gelesen wird, führt dazu, dass es manchmal völlig unmöglich ist zu wissen, wie eine Person tatsächlich heißt. Berühmt-berüchtigte Beispiele dafür sind:

  • 凸 (deko/totsu = hervorstehen, Stirn) = ausgesprochen Tetorisu, abgeleitet vom Computerspiel „Tetris“, weil das Kanji so ähnlich wie ein Tetris-Stein aussieht
  • 男 (otoko/dan = Mann) = ausgesprochen Adamu (von der biblischen Figur Adam)
  • 愛猫 (愛 ai = Liebe + 猫 neko = Katze) = ausgesprochen Kitty (von der fiktiven Katzenfigur Hello Kitty)
  • 月 (tsuki = Mond), ausgesprochen Raito (vom engl. „light“). Im Gegensatz zum oberen Beispiel wurde hier nur ein bedeutungsverwandtes Kanji verwendet
  • 皇帝 (kōtei = Kaiser), ausgesprochen Shiizā (abgeleitet von Caesar)

Die Eltern sind nicht gezwungen, Kanji für Namen zu verwenden, auch eine Schreibweise in Hiragana ist zulässig. So bekam z. B. ein Mädchen den Namen Rabuho (らぶほ), was jedoch eine gängige Abkürzung für japanische „Love Hotels“ (spezielle Kurzzeit-Hotels, um u.a. dem “Matratzensport” nachzugehen) ist.

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Einzigartigkeit vs. Kindeswohlgefährdung

Ein weiterer Fall von „Kira Kira Namen“ sorgte 2019 für Aufsehen. Ein japanischer Schüler mit dem Vornamen Ōjisama verkündete auf Twitter, dass seinem Antrag auf Namensänderung nachgekommen sei. Sein Name bedeutet wörtlich „(verehrter) Prinz“. Das führte dazu, dass er von Mitschülern gemobbt oder ausgelacht wurde, sie hielten ihn für arrogant oder glaubten ihm schlichtweg nicht, dass er wirklich so heißt. Darunter litt er so sehr, dass er gegen den Wunsch seiner Mutter vor Gericht eine Namensänderung erstritt. Sein neuer und selbst gewählter Name lautet nun Hajime, ein männlicher Vorname, der auch „Anfang“ bedeuten kann. 

Der Fall warf noch einmal ein Licht auf die gesellschaftlichen Probleme, die solche Namen mit sich bringen. Sie können zu Mobbing und Ausgrenzung in der Schule oder zu Glaubwürdigkeitsproblemen im beruflichen Leben führen – wer würde schon einen Angestellten haben wollen, der wie ein Pokémon heißt?

Doch bevor Sie nun den Kopf schütteln, wie man seinen Kindern solche Namen geben kann – hier eine kleine Auswahl ungewöhnlicher Vornamen, die von deutschen Standesämtern zugelassen worden sind:

Daenerys, Tyrion (beides Charaktere aus der Serie “Game of Thrones”), Apollo, Poseidon, Bombastus, Fatlinde, Kurdistan, London, Sherlock, Shakira, Merkel, Tequila, Kleeblatt, Harmony, Boss, Dende, Duda, uvm. 

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