„Können Sie das essen?“ Als Ausländer wird man das in Japan oft gefragt. Viele Japaner sind stolz auf die japanische Küche und wissen ganz genau, was es im Ausland so nicht gibt. Delikatessen und Spezialitäten unterstreichen im Bewusstsein vieler Japaner die Einzigartigkeit der japanischen Kultur – zumal auch jede Region ihre eigenen Spezialitäten hat.
Und so gilt der Umgang mit japanischem Essen oft als Beleg für die Bereitschaft von Ausländern, in die japanische Kultur einzutauchen – gerade bei vermeintlich „ekligem“ Essen. An den rohen Fisch in Sushi und Sashimi haben sich Ausländer natürlich längst gewöhnt. Welchen kulinarischen Herausforderungen können Sie sich in Japan also noch stellen?
Nattō: Japanische Tradition, fest im Alltag verstinkert… äh, verankert
Nattō, das sind fermentierte Sojabohnen, die oft zum Frühstück auf Reis gegessen werden. Die Bohnen sollen geruchlich an Käse erinnern. Tatsächlich haben sie aufgrund der Gärung einen starken Eigenduft.
Weil Nattō eine ziemlich klebrige Angelegenheit ist, wird es in essfertigen Portionen in Styroporbehältern verkauft. Tiefgefroren ist es mittlerweile auch in vielen Asiamärkten in Deutschland erhältlich.
Video: Ob Sie Nattō nur mal aus Neugier probieren oder den stinkenden Sojabohnen mit Haut und Haaren verfallen sind – so bändigen Sie die lange Nattō-Fäden mit Stäbchen!
Wie in Japan oft richtig vermutet wird, mögen viele Ausländer kein Nattō – andere wiederum lieben es. An den stinkigen Sojabohnen scheiden sich auf jeden Fall die Geister… durchaus auch unter Japanern.
Shirasu: Massaker der Baby-Fische
Shirasu (シラス) ist ein Sammelbegriff für verschiedene Jungfische, zum Beispiel vom Anchovis, von Sardinen oder vom Aal. Die Fischlein sind meist unter 2 cm lang und werden herdenweise zu hunderten serviert – ein wahres Babyfisch-Massaker.
Shirasu wird roh, gekocht oder als Tempura in Teig ausgebacken serviert. Roh sind die Fischlein meist durchsichtig-glasig, gekocht dann weiß – was nicht nur beim Blick auf die Fotos ein wenig an Maden erinnert…
Shirasu ist eine geschmackliche wie motorische Herausforderung: Die dutzenden glibbrigen kleinen Fische muss man erst mal auf die Stäbchen kriegen, bevor man sich überwinden darf, sie herunterzuschlucken.
Möchten Sie einen Schuss Fisch-Milch zum Kaffee?
Nein, die Japaner haben keine Unterwasser-Farmen angelegt, in denen Fische in Bodenhaltung gemolken werden. Diese halbwegs possierliche Vorstellung werden wir Ihnen jetzt mit der Realität austreiben: Fisch-Milch, Shirako (白子), bezeichnet Fisch-Sperma!
Der Samensack wird männlichen Lachsen, Tai-Meerbrassen oder auch Dorschen frisch nach dem Fang entnommen. Auch der für seine Giftigkeit berühmte Kugelfisch gibt sein Sperma als ganz ungiftige Delikatesse her. Gegessen wird Shirako roh oder gebraten.
Da Fischeier auch im Ausland oft im Sushi landen (und sich auch Kaviar internationaler Beliebtheit erfreut!), verwundert es eigentlich nicht, dass in Japan auch das Sperma der Fische verzehrt wird. Jedoch soll es manchem japanischem Mann schwerfallen, Shirako zu essen – so zumindest einstimmig alle Japanerinnen in der JAPANDIGEST-Redaktion.
Kulinarische Parade der Meeresungeheuer: Seegurke und Seeananas
In Japan gilt: Alles, was aus dem Meer kommt, kann gegessen werden. Wirklich alles, auch das noch so unansehnlichste Tier. Und ja, trotz ihrer Namen sind die Seegurke (Namako ナマコ) und die Seeananas (Hoya ホヤ) Tiere! Wir möchten die zwei aber keinesfalls nur wegen ihres Aussehens diskriminieren – schließlich gibt es auch einiges an ihrem Geschmack zu mäkeln!
Wird die Seegurke nicht als Sashimi oder gekocht gegessen, werden ihre Innereien gesalzen und als Konowata (海鼠腸) serviert. Besonders in den Präfekturen Aichi und Mie gelten die Seegurken-Innereien traditionell als… Delikatesse.
Die Seeananas wiederum wird nicht nur in Japan, sondern auch in Korea gerne gegessen. In Japan kommt sie als Sashimi auf den Tisch. Die rohe, in Streifen geschnittene (und gummiartig schwer zu kauende!) Seeananas wird in eine Mischung aus Sojasauce und Essig getunkt – und dann möglichst schnell runtergeschluckt, um wenig von ihrem ammoniakhaltigem Geschmack abzubekommen.
Shiokara: Der lange nachhallende Geschmack salziger Fischinnereien
Shiokara bezeichnet fermentierte Innereien verschiedener Meeresbewohner. Die Kanji 塩辛 bedeuten Salz und Würze. Wer Shiokara einmal probiert hat, weiß warum: Der salzige, durchdringend würzige Geschmack der Fischinnereien gräbt sich tief in Gaumen und Zunge und macht keine Anstalten, wieder zu verschwinden.
Deshalb haben auch die Japaner eine Strategie entwickelt, um Shiokara „genießen“ zu können: Die fermentierten Gedärme werden ohne Kauen möglichst schnell runtergeschluckt und ihr Geschmack anschließend mit purem Whiskey weggespült. Cheers.
Frischer geht’s nicht: Wenn das Sashimi noch lebt
In Japan gilt eben als besonders frisch, was gerade erst gefangen wurde. Ikizukuri (生き作り) bedeutet lebend zubereitet – und nicht selten schnappen die Fische bei diesem Gericht noch nach Luft, während sie verspeist werden.
Video: Um die Frische zu erhalten, wird Ikizukuri oft auf einem Eisbett serviert.
Mittelgroße Fische wie die Tai-Meerbrasse werden mit einem Schlag auf den Kopf nach dem Fang betäubt und anschließend lebend filetiert. Angeblich spüren die Fische nichts mehr von den Schnitten. Der Körperaufbau von Kopf über Rücken bis Schwanzflosse bleibt dabei erhalten, die feinen Sashimi-Streifen können aus dem Fisch entnommen und gegessen werden.
Russisches Roulette: Ein tödlicher Happen vom Kugelfisch
Dass in Japan der giftige Kugelfisch gegessen wird, gehört ebenso zum Bestand der häufigsten Klischees über Japan wie die langjährige Ausbildung der Kugelfisch-Köche. Tatsächlich muss jeder, der an der Produktionskette des Fugu beteiligt ist, Lizenzen zur Handhabung des Tieres vorweisen.
Bei den meisten Fugu-Arten enthalten Haut und Organe das Gift Tetrodotoxin, dessen Konsum zu Atemlähmung und damit zum Tod führen kann. Das ungiftige Muskelfleisch des Fugu wird als hauchdünnes Sashimi serviert.
Bis heute ist nicht geklärt, wie das Gift in den Kugelfischen entsteht. Allerdings ist es mittlerweile möglich, auch ungiftige Kugelfische zu züchten. Da die Ernährung bestimmt, ob die Fische Gift bilden oder nicht, produzieren die Fugu ihr Gift wahrscheinlich aus in ihrer Umwelt enthaltenen Stoffen. Als Speise sind ungiftige Fugu nicht wirklich attraktiv: Schließlich hat das Fleisch wenig Eigengeschmack und wird hauptsächlich wegen des tödlichen Nervenkitzels verzehrt.
Wal-Fleisch und Wal-Bacon in Japan: Politisch umstritten
Japans Walfang-Programm ist international, aber auch in Japan umstritten. Zwar äußern viele Japaner auf Nachfrage, sich nicht sonderlich für Walfleisch zu interessieren. Trotzdem wird es aber in einigen Schulkantinen angeboten und ist im Alltag durchaus präsent.
So sieht man gelegentlich in Restaurants in der Auslage mit den Plastikmodellen auch Wal-Fleisch. Walfleisch ist sehr fetthaltig, und so wird es nicht nur als Sashimi und Steak angeboten, sondern auch als Bacon – Kujira bēkon (鯨ベーコン).
Abgesehen von der meist hohen Schwermetallbelastung macht den Ekel-Aspekt des Walfleischs hauptsächlich die politisch-moralische Verpöntheit des Walfangs aus – zumindest unter den meisten Europäern.
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