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Räucherstäbchen in Japan: Der Weg des Duftes

Marie-Louise Helling
Marie-Louise Helling

Duftend, betörend, reinigend und klärend: Japanische Räucherstäbchen locken nicht nur mit exquisitem Duft und exzellenter Qualität, sondern auch mit einer langen Geschichte, die Jahrhunderte zurückreicht.

Räucherstäbchen in einem Tempel. mit Buddha-Statue im Hintergrund
Meditativer Duft: Räucherstäbchen in einem Tempel. © pixabay.com / viduransi

Für das japanische Ahnenfest O-Bon Mitte August oder für das tägliche Gebet am buddhistischen Hausaltar (butsudan) gelten sie als unverzichtbar – Räucherstäbchen. Japan produziert heute die weltweit hochwertigsten. Senkō (線香) werden diese auf Japanisch genannt. Die Schriftzeichen setzen sich aus den Zeichen für sen (線, „Linie“) und kaori (香り, „Duft“) zusammen – wörtlich also eine „duftende Linie“.

Der Ursprung der Räucherstäbchen

Ein kleiner Einblick in die Vorgeschichte der Räucherstäbchen verrät, dass das Wissen der Räucherkunst im Jahr 538 mit dem Buddhismus über das Meer vom alten China nach Japan kam. Der chinesische Mönch Ganjin brachte bei seiner Reise nach Japan im Jahr 754 dann die Technik zur Fertigung von Räucherwerk mit, wobei natürliche Substanzen wie Holz oder Kräuter verräuchert wurden. Im Laufe der Heian-Zeit (794-1185), in der die feinen Künste der Hofkultur am Kaiserhof erblühten, waren sie ein essenzieller Bestandteil des Alltags der stilvollen Aristokratie. Für verschiedene Anlässe oder Jahreszeiten wurden je nach Stimmung unterschiedliche Mischungen verwendet. Ausgehend von den Duftwettbewerben (takimono-awase) am kaiserlichen Hof, bei denen blumige, herbe oder fruchtige Räucherwerk-Kompositionen kreiert wurden (kō-awase), entstand schließlich ein weiterer Zweig der schönen Künste, der Weg des Duftes (dō).

Duftstoffe im GlasJapans Duftkultur und die RäucherzeremonieHerrliche Düfte, teure und seltene Zutaten und Luxus für die Sinne: Das macht die antike japanische Duftkunst kōdō aus. Bereits vor Jahrtaus...12.03.2021

Die uns bekannten, schmalen Räucherstäbchen fanden erst in der Muromachi-Zeit (1338-1573) den Weg von China ins Land der aufgehenden Sonne, wo ihnen anfangs kaum Beachtung geschenkt wurde. Mit dem Erzwingen der Öffnung Japans 1853 durch die US-Marine, begann der Handel zu florieren und die Kunst der Räucherstäbchen wurde in der Handelsstadt Sakai (Präfektur Ōsaka) neu entdeckt. Auf die Duftkunst spezialisierte Hersteller verfeinerten das alte Handwerk, indem sie sich an den chinesischen Praktiken der Ming-Dynastie (1368-1644) orientierten. Durch die Kombination alter und moderner Techniken entstand eine Industrie, die nur die besten und reinsten Zutaten für die Herstellung verwendete.

Angehende Räucherstäbchen-Meister (shi) aus Awaji lernten in Sakai die Kunst der Herstellung und kehrten mit dem neugewonnenen Wissen in ihre Heimat zurück. Die Insel Awaji befindet sich südlich von Ōsaka und verbindet die Hauptinsel Honshū mit Shikoku. Derzeit leben dort 15 shi und 70 % der landesweiten Räucherstäbchen-Produktion findet auf der kleinen Insel statt.

Die Herstellung

Die ursprünglich aus China stammende Herstellungstechnik, bei der ein Bambusschaft in der Mitte des Stäbchens für Stabilität sorgte, wurde in Sakai weiterentwickelt. Japanische Räucherstäbchen beinhalten kein Stützholz und sind somit effizient raucharm. Die geruchsarme Rinde des Tabuno-Baumes findet stattdessen Verwendung als natürliches Bindemittel und sorgt dafür, dass die Stäbchen gleichmäßig abbrennen.

Um Dufträucherstäbchen herzustellen, wird die pulverisierte Rinde des Tabuno-Baumes mit Wasser zu einer tonartigen Paste (makkō) vermischt. Dazu kommt die gewünschte Duftkomponente. Daraus wird ein Zylinder mit einem Durchmesser von ca. 30 cm und einer Länge von ca. 40 cm geknetet. Anschließend wird diese Masse in eine Presse gegeben und wie eine Nudel aus einem gießkannenförmigen Loch auf eine Trockenplatte gepresst. Zum Schluss werden die Räucherstäbchen auf die gewünschte Länge zugeschnitten. In einem Raum, wo Feuchtigkeit und Temperatur genau reguliert sind, werden sie eine Woche bis zehn Tage zum Trocknen ausgelegt.

Duftkompositionen und Herstellungsorte

Charakteristisch für die aus Sakai stammenden Mischungen ist die Vielfalt der verwendeten Rohstoffe. Ungefähr 15 Arten von Inhaltsstoffen, darunter Grüntee und Kirschblüten, werden in einem besonderen Mengenverhältnis gemischt, deren Rezepte teils von Generation zu Generation weitergegeben werden. Adler-, Aloe- oder Sandelholz bilden die Basis: Je wertvoller die Zutaten, desto höher der Preis. Eine Packung des seltenen Adlerholzes der höchsten Güteklasse kyara kann schon einmal bis zu 1.000 Euro kosten.

Die senkō werden heute hauptsächlich in Sakai, Kyōto, Ōsaka, Awaji und Nikkō hergestellt. Die natürlich vorkommenden Pflanzen in den einzelnen Gebieten werden genutzt, um den dort produzierten Räucherstäbchen ihre ganz besondere Note zu verleihen. In Nikkō wird gerne Zedernholz verwendet, das sich in seiner Herstellung von den Dufträucherstäbchen unterscheidet. Solche Sugi-Räucherstäbchen unterscheiden sich in ihrer Herstellung und Nutzung von anderen. Sie benötigen nicht das Bindemittel des Tabuno-Baumes und kommen hauptsächlich beim Besuch von Familiengräbern zum Einsatz. 

Lavendel-, Grüner-Tee- und Yuzu-Räucherstäbchen-Packungen, im Vordergrund ein Räucherstäbchen im blumenförmigen Halter
Beruhigender Lavendel, erfrischender grüner Tee, fruchtige Yuzu: Die Vielfalt der Düfte ist ein Fest für die Sinne. © Marie-Louise Helling

Gelebte Tradition

Takai Jūemon war ein Meister der Duftkunst und im späten 16. Jhd. der Hauptlieferant für natürliches Räucherwerk am japanischen Kaiserhof. Noch heute sind seine Rezepturen bei der Firma Nippon Kodo erhältlich, die auf über 400 Jahre alte Traditionen zurückblicken kann und somit der älteste Räucherstäbchenproduzent in Japan ist. Mit ihrem Hauptsitz im luxuriösen Ginza in Tōkyō hat die Firma landesweit Filialen eröffnet und in der Industrie die Spitzenposition eingenommen.

Das Hauptprodukt „Daily Incense“ wurde ursprünglich von der Firma Kitō Tenkundō in Kamakura während der Meiji-Zeit (1868-1912) kommerzialisiert, Nippon Kodo übernahm den Produktnamen und die Herstellungstechnik. Außerdem produziert sie bis heute die im 19. Jhd. vom Duftmeister Kitō Yūjirō komponierte blumige und kostspielige Mischung „Hana no Hana“, die sich im Land der aufgehenden Sonne großer Beliebtheit erfreut. Obwohl also die Produktion zurückgegangen ist, lebt der Geist der alten Tradition immer noch weiter.

Räucherstäbchen im Halter vor einer Originalpackung Hinoki-Räucherstäbchen der Firma Nippon Kodo
Produziert von Nippon Kodo: Der Duft der Hinoki Scheinzypresse wird in Japan hoch geschätzt. © Marie-Louise Helling

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