Während des Mittelalters entwickelte sich in Japan neben klassischen Künsten wie der Teezeremonie auch die Duft-Zeremonie kōdō. Bei dieser werden im klassisch hergerichteten Tatami-Raum verschiedene Dufthölzer in einem Räuchergefäß auf indirekte Weise erhitzt, um so ohne störenden Rauch ihrem Duft „lauschen“ zu können.
Ursprung und Entwicklung der japanischen Räucherkultur
Japans Duftkultur kennt jedoch auch vergnügungsvolle Duft-Ratespiele (kumikō). Verwendet werden bei den Zeremonien äußerst kunstvolle Werkzeuge, die in einem stark ritualisierten Rahmen zum Einsatz kommen. Überhaupt lässt sich sagen, dass die gesamte Durchführung japanischer Duftkunst als Zeremonie mit performativem Charakter inszeniert wird. Die Kunst, einem Duftholz zu „lauschen“ und dabei seine olfaktorischen Eigenschaften schätzen zu können, wird in Japan als ein Weg von Vollkommenheit und innerer Kultiviertheit gedeutet.[1]
Duftender Rauch als Nahrung für die Götter
Wer in Japan schon mal einen Tempel besucht hat, wird sich bestimmt auch an die herrlich duftenden Rauchschwaden vor oder in den Gebetshallen erinnern. Diese entweichen den vor allem im Buddhismus verwendeten Räucherstäbchen, welche die betenden Tempelbesucher anzünden und in die mit Asche gefüllten, großen Räuchergefäße stecken. Man glaubt, dass mit dem aufsteigenden Rauch auch die eigenen Gebete ins Gefilde der Götter ziehen. Vor allem dienen Räucherstäbchen und Räucherwerk im Allgemeinen als Opfergabe an die Götter.
Im Buddhismus bildet das Opfern von Räucherwerk und Blumen (kōge, „Duft und Blumen“) einen elementaren Bestandteil des Kultgeschehens. Diese Tradition entstammt höchstwahrscheinlich dem indischen Kulturkreis, in welchem man bereits vor der Entstehung des Buddhismus mit dem Wohlgeruch von Räucherwerk und der Farbenpracht von Blumen den Göttern huldigte. Historischen Aufzeichnungen zufolge war es jedoch der chinesische Priester Jianzhen, der bei seiner Expedition nach Japan im Jahre 753 zum ersten Mal edle Räucherstoffe ins Land brachte, die seither auch in den Ritus von Japans buddhistischen Andachtszeremonien aufgenommen wurden.
Kostbare Ingredienzien wertvoller als Gold
Was Japans Duftkultur so besonders macht, sind die ausgewählten, in der Regel ausschließlich natürlichen und sehr teuren Zutaten. Als Grundlage japanischer Duftmischungen werden neben chinesischen Heilkräutern oder Gewürzen vor allem Sandelholz und Adlerholz verwendet, dessen olfaktorisches Zusammenspiel eine ganz besondere Stellung in Japans ästhetischer Empfindungswelt einnehmen. Die beiden bilden so eine Einheit wie Sonne und Mond, wie Tag und Nacht. Adlerholz gehört seit Jahrtausenden zu den wertvollsten Düften vieler Kulturen und wird sogar in heiligen Schriften wie der Bibel, dem Koran und den Veden erwähnt. In Japan findet sich seine erste Erwähnung in der Chronik Nihon shoki (720).
Seinen unvergleichlichen Duft verströmt Adlerholz erst, nachdem es von Parasiten oder Pilzen befallen wird und der Baum als Abwehrreaktion ein rätselhaftes Harz absondert. Bis heute scheinen die genauen chemischen Prozesse wissenschaftlich nicht komplett erklärt zu sein, über seine tiefberuhigende und schlaffördernde Wirkung ist man sich jedoch einig. Sein sinnlicher, magischer und tiefgehend spiritueller Duft wird in der japanischen Sprache häufig mit dem Wort yūgen umschrieben, welches seinerseits eine – sprachlich betrachtet – eher seltene Ausdrucksweise darstellt und mit dem deutschen Wort „mystisch“ oder „unergründbar“ übersetzt werden kann. Am kostbarsten ist dabei die Sorte Kyara, dessen aktueller Preis bei umgerechnet etwa 350 Euro pro Gramm (!) liegt. Der Begriff kyara wurde so schon im Mittelalter zum Synonym für Luxus und zierte als Markenname viele Geschäfte oder Kunstobjekte.
Aus religiösem Kult wird ästhetische Kunst
Bereits ab der Heian-Zeit (794-1192) entwickelte sich das Mischen und Verräuchern von Düften zum kultivierten Zeitvertreib am kaiserlichen Hofe. So zelebrierte man dort häufig das takimono awase, das gemeinsame Mischen und Erproben von Duftkreationen. Inspiriert wurden die Teilnehmer dabei oft von den poetisch angehauchten Episoden aus der „Geschichte des Prinzen Genji“, zu denen sie auch ihre eigenen Gedichte verfassten. Beim takimono awase mischte man Duftpulver zusammen mit Pflaumen und Honig zu einer Paste, die man in Kügelchen formte, den sogenannten neri-kō.
Dufthölzer wie das Adlerholz haben seit der Heian-Zeit die Hofdamen und Kurtisanen auch in fein lackierten und vergoldeten Kästchen verbrannt und während des Schlafs ihr Haar darübergelegt, um dieses mit dem wohlriechenden Rauch zu parfümieren. Auch existierte seither der Brauch, seine Gewänder auf spezielle Ständer zu hängen und diese mit dem Duft eines darunter gelegten Weihrauchbrenners zu versehen.
Daneben stellte man auch die noch heute gern verschenkten Duftsäckchen (nioi bukuro) aus feiner Kimono-Seide her. Früher wurden anstelle von Liebesbriefen häufig eigens kreierte Duft-Säckchen untereinander verteilt und als romantische Geste gedeutet. Getragen wurden die Säckchen meist im inneren des Kimonosaumes (tamoto) und seither als auch tagasode („Sachet“, „Duftkissen“) bezeichnet. Den feinen, subtilen Duft, den ein solches Säckchen und sein Träger beim Vorbeigehen verströmen, bezeichnete man damals als oikaze, den „vorbeiziehenden Wind“.
Japanische Duftkultur heute
Im Japan der Moderne existieren zahlreiche Fachgeschäfte für Räucherware, die teilweise den Charakter von Parfümhäusern haben und ein Erlebnis für die Sinne bieten. Besonders in der alten Kaiserstadt Kyōto findet man viele dieser Duftmanufakturen. Düfte zum Verräuchern (o-kō) erleben derzeit einen regelrechten Boom in Japan. So gibt es zum Beispiel gepresstes Duftpulver zum Verbrennen in Form von Blumen, Tee, traditionellen Süßigkeiten oder Glücksmotiven. Zudem findet man Räucherstäbchen mit unkonventionelleren Duftsorten wie Kaffee oder Schokolade. Letztes Jahr kamen abbrennbare Duftpapiere in Form von Baumblättern auf den Markt, gefolgt von duftenden Schnüren, die zu kunstvollen Schleifen (mizuhiki) gebunden werden können. Es bleibt also spannend zu verfolgen, auf welche olfaktorische Sinnesreisen in Japans Duftwelt sich unsere Nasen in Zukunft freuen dürfen.
[1] Über das Thema der japanischen Duftkunst gab es bisher kaum bis wenig Veröffentlichungen, dazu meist nur auf Englisch. Im Jahr 2019 veröffentlichte Benedikt Vogel jedoch erstmals in deutscher Sprache ein allumfassendes, tiefgreifendes Werk, welches im Detail über die Entwicklung der Duftzeremonie berichtet und einen wissenschaftlichen Fokus auf ihren performativen und ästhetischen Charakter legt. Siehe dazu: Vogel, Benedikt (2019): Erleben mit allen Sinnen. Inszenierung von Duft und Ästhetik in den Traktaten zur Duft-Kunst des frühneuzeitlichen Japans. München: Iudicium Verlag.
Kommentare