Die Konditorei Juchheim und die japanische Liebe für Baumkuchen

Constanze Thede
Constanze Thede

Während Baumkuchen in Deutschland eher zu besonderen Anlässen verzehrt wird, ist er in Japan allgegenwärtig und in zahlreichen Geschmacksrichtungen verfügbar. Wie kam das Traditionsgebäck nach Japan und weshalb ist es dort so beliebt, dass es sogar einen „Tag des Baumkuchens“ gibt?

Angeschnittener Baumkuchen
Der Baumkuchen gilt auch als „König der Kuchen“ und ist in Japan eine beliebte Delikatesse. © Photo AC / dreamydays

Baumkuchen ist so alt wie das Konditorhandwerk und ziert sogar dessen Zunftwappen. Kein Wunder, denn das vielschichtige Gebäck ist nicht einfach in der Herstellung. Dünne Teigschichten werden eine nach der anderen auf eine Walze aufgetragen und einzeln gebacken. Früher geschah dies über dem offenen Feuer, heute kommen spezielle Backapparate zum Einsatz. So entstehen die charakteristischen „Jahresringe“, die an einen Baumstamm erinnern und dem Kuchen seinen Namen geben. In Deutschland ist es üblich, ihn noch mit Kuvertüre oder Glasur zu verfeinern.

In Japan gibt es ihn sowohl mit als auch ohne Glasur. Außerdem kommt er in ausgefallenen Geschmacksrichtungen wie Banane, Matcha oder Melone – zur Kirschblütenzeit auch gerne mit Kirschgeschmack – auf den Markt. Man bekommt ihn nicht nur in Fachgeschäften, sondern auch im Convenience Store oder im bekannten Warenhaus MUJI. Seine weiche Konsistenz und schlichte Ästhetik kommen in Japan gut an. Auch wenn er dort häufig als deutsche Spezialität bezeichnet wird, ist er in diversen europäischen Ländern in ähnlicher Form unter verschiedenen Namen anzutreffen. Das erste Rezept für das Gebäck fand sich in einem italienischen Kochbuch von 1426. Es war jedoch ein deutscher Konditor, der auf Umwegen nach Japan gelangte und die Liebe für den Baumkuchen dort langfristig prägte.

Baumkuchen mit Erdbeergeschmack, serviert mit frischen Erdbeeren
Japanischer Baumkuchen mit Erdbeergeschmack. © Photo AC / 涼風

Die Konditorei Juchheim

Der 1886 in Kaub am Rhein geborene Karl Juchheim arbeitete ab 1908 zunächst in einem Kaffeehaus in der chinesischen Hafenstadt Tsingtau (1889-1919 Hauptstadt der deutschen Kolonie Kiautschou) und eröffnete dort seine eigene Konditorei. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, musste diese jedoch geschlossenen werden. Juchheim kam 1915 als Kriegsgefangener nach Japan. Zunächst lebte er in einem Lager in der Nähe von Ōsaka, dann auf der kleinen Insel Ninoshima (Präfektur Hiroshima), wo er deutlich mehr Freiheiten hatte und seinen Beruf weiter ausüben durfte. So kam es, dass er den ersten Baumkuchen auf japanischem Boden backte, den er 1919 im Rahmen einer Produktausstellung in der Industrie- und Handelskammer – heute das als Atombombenkuppel bekannte Mahnmal – der Stadt Hiroshima präsentierte.

Zunächst verkaufte er ihn dort unter dem Namen „Pyramidenkuchen“ und passte ihn an den japanischen Gaumen an, indem er weniger Butter verwendete, die damals in Japan noch nicht sehr verbreitet war. Juchheim blieb nach Kriegsende im Land und arbeitete im „Café Europe“ im edlen Einkaufsviertel Ginza in Tōkyō. Seine Frau Elise und sein Sohn Karl-Franz konnten nun endlich aus Tsingtau nachkommen. In Yokohama eröffnete das Ehepaar im Jahre 1922 schließlich seine eigene Konditorei, benannt nach Elise: „E. Juchheim“. Das Geschäft lief gut, bis am 1. September 1923 das Schicksal in Form des großen Kantō-Erdbebens zuschlug, bei dem 142.000 Menschen ums Leben kamen. Die Juchheims blieben zwar körperlich unversehrt, doch ihr Eigenheim, in dem sich auch die Konditorei befand, wurde vollständig zerstört.

Neuanfang in Kōbe

Glücklicherweise konnte das Paar einen Kredit aus einem Rettungsfonds aufnehmen und sich noch im selben Jahr in Kōbe eine neue Existenz aufbauen. Ihre neue Konditorei mit Café nannten sie „Juchheim’s“ und diese zog schon bald eine große japanische und internationale Kundschaft an. Etwa 20 Jahre lang versorgten die Juchheims Kunden mit deutschen Backwaren, unter denen Baumkuchen eine der beliebtesten Spezialitäten war. Erst der Zweite Weltkrieg und die damit einhergehende Nahrungsmittelknappheit zwang das Paar 1944 erneut zur Geschäftsaufgabe. Kurz vor Kriegsende, am 14. August 1945, verstarb Karl Juchheim. Nach dem Krieg wurde seine Ehefrau enteignet und musste nach Deutschland zurückkehren.

1950 kam es zur Neugründung der Firma Juchheim in Kōbe durch zwei ehemalige japanische Mitarbeiter. Diese holten die Witwe Elise 1953 als Geschäftsführerin erneut nach Japan. In den 1960ern wurde der erfolgreiche Butterhändler Kawamoto Haruo mit ins Boot geholt, der die Firma, die sich inzwischen zur Aktiengesellschaft entwickelt hatte, aus der Krise rettete. Dessen Sohn führt das Unternehmen heute weiter, das seitdem expandierte und an mehreren Standorten in Japan Filialen eröffnete. Obwohl es heute auch diverse Tochterfirmen unterhält und nicht nur Baumkuchen vertreibt, hat es wesentlich zum Erfolg des Traditionsgebäcks in Japan beigetragen. Der „Tag des Baumkuchens“ am 4. März geht auf den Tag zurück, an dem Karl Juchheim diesen zum ersten Mal in Hiroshima anbot.

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Baumkuchen als japanische Delikatesse

Baumkuchen (jap. baumukūhen, バウムクーヘン) hat sich längst zu einer japanischen Delikatesse entwickelt und jährlich finden Baumkuchen-Messen statt, auf denen neue Produktideen präsentiert werden. Die Firma Juchheim setzt weiterhin ganz traditionell auf das klassische Rezept mit den Grundzutaten Butter, Eiern, Zucker, Vanille, Salz und Mehl, auch um sich von den zahlreichen neuen Herstellern abzuheben. Diese halten sich mit fantasievollen Kreationen nicht zurück: Von Baumkuchen mit Kürbisgeschmack zur Herbstsaison über Matcha-Baumkuchenteilchen als Snack auf die Hand bis hin zum Baumkuchen-Sandwich ist alles dabei. Ganze Baumkuchen aus edlen Fachgeschäften werden gern zu Hochzeiten und anderen feierlichen Anlässen bestellt – hier schließt sich der Kreis wieder, denn auch in Deutschland war Baumkuchen im 15. Jahrhundert als Hochzeitsgebäck beliebt.

Eine Hand hält zwei Baumküchenstücke am Spieß mit Matcha-Geschmack
Matcha-Baumkuchen am Spieß in Arashiyama, Kyōto. © iStock / Ladafiner

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