Am 13. Dezember war es wieder so weit: Ein Mönch griff im altehrwürdigen Tempel Kiyomizudera in Kyōto zu einem gewaltigen Pinsel und malte das “Schriftzeichen des Jahres” auf ein Blatt Papier. 金 sollte es werden, was als kin gelesen “Gold” und als kane gelesen “Geld” bedeutet. Über 200.000 Japanerinnen und Japaner sendeten wie jedes Jahr ihre Vorschläge ein, und besagtes Zeichen erreichte mit gut 14.000 Stimmen die meisten Einsendungen.
Man hatte es fast schon erahnen können, denn das gleiche Schriftzeichen war bereits Zeichen des Jahres 2000 (als die Olympischen Spiele in Sydney stattfanden), 2012 (London), 2016 (Rio de Janeiro) und nun auch 2021. Das spricht nicht für Einfallsreichtum, bezeichnet aber ganz gut, was die Japaner im Jahr 2021 bewegte.
Corona
Das Jahr fing in Sachen Corona fulminant an: Hielt man im Jahr 2020 bereits 200 oder 300 Neuinfektionen in Tōkyō (mit rund 12 Millionen Einwohnern) pro Tag für sehr bedrohlich, stieg die Zahl gleich nach den Neujahrsferien auf bis zu 1.500 Neuinfektionen täglich an. Es wurden für viele einsame Neujahrsferien. Zwar gingen die Zahlen danach wieder runter, aber letztendlich wurde immer wieder der Ausnahmezustand ausgerufen – auch im Sommer, als die Inzidenz in Tōkyō erstmals über 100 kletterte.
Neidisch begannen viele auf Europa und die USA zu schauen. Doch die sehr spät gestartete Impfkampagne gewann immer mehr an Fahrt und sorgte dafür, dass die Zahl der Neuinfektionen nach August rapide sank – gegen Ende des Jahres lag die Inzidenz in Japan unter 1. Trotz alledem – und zuletzt wegen der Omikron-Variante verstärkt – blieben die Landesgrenzen im Wesentlichen dicht. Touristen hatten gar keine Chance, und auch andere (japanische) Reisende hatten es aufgrund mehr oder weniger scharfer Quarantäneregeln schwer.
Olympische Spiele
Die eigentlich im Vorjahr auszurichtenden Olympischen Sommerspiele dominierten das Nachrichtengeschehen des ersten halben Jahres. Aufgrund der immer weiter steigenden Coronafälle wurden die Spiele immer unpopulärer. Der Grundtenor: “Das ist nicht die richtige Zeit”. Doch das IOC blieb knallhart und der Vorsitzende Thomas Bach, der auf einer Pressekonferenz Japan mit China verwechselte, wurde ebenfalls immer unbeliebter. Im Angesicht der Kritik meinte Natsuno Takeshi, Präsident des japanischen Medienunternehmens Kadokawa Corp: “Wenn japanische Athleten anfangen Goldmedaillen zu gewinnen, wird sich die Stimmung drehen.”
Aus diesem Kontext heraus kann man auch das Schriftzeichen des Jahres besser verstehen. Erst ungeliebt, fieberte Japan immer mehr mit den Olympioniken mit. Für den japanischen Sport sollte es ein Fest werden, wenn auch ganz ohne Zuschauer. Japan landete im Nationenranking der Medaillen auf Platz 3 – und man war nicht nur in traditionellen Wettkämpfen wie Judo oder Tischtennis stark, sondern auch in modernen Sportarten wie Skateboarding. So gesehen werden die Olympischen Spiele 2021 in Tōkyō trotz der Corona-Notlage und einiger Skandale langfristig gesehen einen sehr positiven Einfluss auf den japanischen Sport gehabt haben.
Politik
Unterhaus-Neuwahlen und ein neuer Premierminister: So gesehen ist eigentlich viel geschehen in diesem Jahr. Eigentlich ist aber genau das nicht der Fall – die Liberaldemokraten sitzen nach wie vor fest im Sattel, nur das der neue Parteivorsitzende und Premierminister Kishida Fumio etwas ruhiger und besonnener ist als seine Vorgänger. Der Wahlkampf war unter anderem von der Frage geprägt, wie hoch die staatlichen Corona-Hilfen für Privathaushalte ausfallen sollen. 2020 profitierten alle davon, die in Japan wohnhaft waren. Letztendlich einigte man sich auf 100.000 Yen (über 800 Euro) – doch dieses Jahr nur für Familien mit Kindern unter 18 Jahren.
Wirtschaft
Eine wahre Erholung von der Corona-Wirtschaftsbremse 2020 fand nicht statt: Man lag zwar leicht im Plus im ersten Halbjahr, rutschte danach jedoch im dritten Quartal wieder ins Minus – 3 % weniger als im Vorjahr. Dank großzügiger finanzieller Hilfen seitens des Staates haben sich die große Mehrheit aller Restaurants und Bars über Wasser gehalten (gerade sehr kleine Einrichtungen erhielten durch teils uneinheitliche Berechnungsgrundlagen viel mehr Geld als durch ihren regulären Umsatz) und die Zahl der Firmenpleiten hielt sich auch in Grenzen, doch vor allem fremdenverkehrsabhängige Unternehmen stecken in Schwierigkeiten. Die Olympischen Spiele, normalerweise ein Wachstumsschub, erwiesen sich selbstredend als Minusgeschäft.
Fazit
Ein weiteres, von Corona geprägtes Jahr, aber man scheint sich allmählich daran zu gewöhnen. Zumal Japan noch immer relativ gut dasteht. Leider ließ die Pandemie auch in diesem Jahr nicht zu, dass Japan-Liebhaber hierher aufbrechen konnten, und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Aber man darf natürlich hoffen, dass es 2022, dem Jahr des Tigers, wieder etwas aufwärts geht.
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