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Kishida Fumio, Japans 100. Premierminister – doch wer ist er?

Matthias Reich
Matthias Reich

Die Wahl zum neuen Parteivorsitzenden der regierenden LDP Japans Ende September 2021 hielt eine kleine Überraschung parat: Kishida Fumio konnte sich gegen den Favoriten Kōno Tarō durchsetzen und gewann. Traditionsgemäß wurde er ein paar Tage später vom Parlament zum Premierminister ernannt.

Kishida Fumio mit Kabinett
Kishida Fumio (erste Reihe, dritter v. l.) ist der neue japanische Premierminister. © Yoshikazu Tsuno/SOPA Images via ZUMA Press Wire

Suga Yoshihide, der für den aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Amt geschiedenen Abe Shinzō als Premierminister antrat, gab nach nur einem knappen Jahr im Amt bekannt, dass er nicht mehr bei der Wahl zum Parteivorsitzenden der Liberaldemokratischen Partei (LDP) kandidieren wird. Es dauerte nur ein paar Tage, bis sich einige Bewerber um den vakanten Posten bewarben. Die meisten Chancen räumte man von Anfang an Kōno Tarō, dem bis dato für die Corona-Impfkampagne zuständigen Minister sowie Ex-Außen- und Verteidigungsminister unter Abe, ein.

Doch während des Endspurts der Kandidatur machte Kōno einige Aussagen, die den Granden der Partei nicht gefielen. Die Rechnung kam prompt: Der bisher unbescholtene und als besonnen geltende Kishida machte das Rennen. Und nicht nur das – der Widersacher Kōno bekam nicht einmal einen Platz im neuen Kabinett zugesprochen.

Hohe Bildung und politische Erfahrung

Kishida kommt, und das ist in Japan wahrhaftig keine Seltenheit, aus einer Politikerfamilie – sowohl sein Vater als auch sein Großvater waren bekannte Politiker. Der 64-jährige hat zwar seine Wurzeln im jugendlichen Stadtviertel Shibuya in Tōkyō, verbrachte aber einen Großteil seiner politischen Karriere in Hiroshima.

Von dort stammt auch seine sieben Jahre jüngere Frau, die vorher als Sekretärin des Vizepräsidenten von Mazda arbeitete. Mit anderen Worten: Das Ehepaar Kishida ist hochintelligent und genoss eine sehr gute Bildung. Zudem sprechen beide relativ gut Englisch.

Skandalfreier Außenminister unter Abe

Kishida studierte Jura an der renommierten Privatuniversität Waseda in Tōkyō. 2012 wurde er von Abe Shinzō zum Außenminister bestimmt, und den Posten hatte er fünf Jahre inne. Kishida fiel dadurch auf, dass er nicht auffiel: Im Gegensatz zu zahlreichen Amtskollegen wahrte er stets einen ruhigen Ton und blieb völlig frei von verbalen Aussetzern oder Skandalen. Ein beachtlicher außenpolitischer Erfolg seinerseits war das “Japanisch-Südkoreanische Trostfrauenabkommen”.

Dieses seit 1945 schwelende Problem der Entschädigung der sogenannten “Trostfrauen” (so wurden euphemistisch Frauen bezeichnet, die während der japanischen Besetzung Koreas zur Zwangsprostitution in Armeebordellen gezwungen wurden) sollte 2015 gelöst werden, indem Japan rund 1 Milliarde Yen (umgerechnet knapp 8 Millionen Euro) in eine Stiftung für die letzten überlebenden “Trostfrauen” einzahlen sollte. Das Abkommen erntete jedoch heftige Kritik in Südkorea und wurde letztendlich 2019 von Südkorea einseitig annulliert.

Kishida genießt Rückendeckung

Die LDP unterteilt sich in mehrere Flügel, Kishida gehört dem sogenannten Asō-Flügel an. Asō Tarō ist politisches Urgestein, Ex-Premierminister und trotz seiner 81 Jahre noch sehr aktiv im politischen Geschäft. Die Rückendeckung durch Asō sowie die Mitgliedschaft Kishidas in der Nippon Kaigi, einer überparteilichen und nationalistisch geprägten Gruppierung mit großem Einfluss auf die japanische Politik, lassen auf eine erzkonservative Gesinnung schließen.

Das steht allerdings im Widerspruch zu Kishidas im Jahr 2020 erschienenen Buch, in dem er Neoliberalismus als Problem bezeichnet, für eine Schließung der Einkommensschere plädiert und die Änderung der pazifistischen Verfassung nicht als Priorität ansieht1. Mit anderen Worten – der neue Premierminister scheint kein Hardliner zu sein.

Der neue Premierminister Kishida Fumio mit seinem neuen Kabinett am 04. Oktober 2021 - nur drei der 20 Mitglieder sind weiblich. © Yoshikazu Tsuno/SOPA Images via ZUMA Press Wire

Kishidas Kabinett: Weitestgehend unbekannt und männlich

Mit dem am Tag seiner offiziellen Wahl zum Premierminister am 4. Oktober vorgestellten Kabinett konnte Kishida allerdings nicht gut punkten: Der Großteil der 20 Kabinettsmitglieder ist der Bevölkerung absolut unbekannt, und für viele war es schwer verständlich, warum selbst Minister, die sich eigentlich bewährt hatten, gehen mussten.

Auch bei der Anzahl der Ministerinnen gibt es keinen großen Fortschritt: Nur drei sind weiblich, und deren Resorts sind zudem vergleichsweise unbedeutend. Die Reaktion kam prompt – laut der Asahi Shimbun lag die Zustimmungsrate für das Kishida-Kabinett zwei Tage nach Amtsantritt bei gerade einmal 45 %2.

Spannende Unterhauswahlen 

Die zweite Überraschung war die unerwartet frühe Ansetzung von Neuwahlen. Turnusgemäß wird Mitte Oktober das japanische Unterhaus aufgelöst und schon am 31. Oktober neu gewählt. Kishida bleibt also weniger als ein Monat bis zur Neuwahl. Sollten die Liberaldemokraten die Wahl verlieren (was allerdings als sehr unwahrscheinlich gilt), wäre er damit seinen neuen Posten gleich wieder los.

Gewinnen die Liberaldemokraten hingegen, wird Kishida nach japanischer Zählung zugleich der 101. Premierminister des Landes. Der Oktober 2021 wird somit politisch aufregend.


1 “岸田ビジョン: 分断から協調へ” (Kishida-Vision: Von der Analyse bis zum Einvernehmen), Kōdansha-Verlag, ISBN 978-4065213278

2 Siehe: https://www.asahi.com/articles/ASPB575F8PB5UTFK00W.html (japanisch)

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