Gouverneurswahlen in Tōkyō 2024: Ein skurriler Wahlkampf geht zu Ende

Matthias Reich
Matthias Reich

Alle vier Jahre wählen die Bewohner:innen der Präfektur Tōkyō einen neuen Gouverneur – der oder die "tochi". Ein prestigeträchtiges Amt, denn Tōkyō ist, gemessen an der Wirtschaftsleistung, die reichste Stadt der Welt. Entsprechend genießt die Wahl der Nr. 1 Tōkyōs eine große mediale und öffentliche Aufmerksamkeit.

Nur an solche ausgewiesenen Tafeln dürfen Gouverneurskandidaten in Japan ihre Wahlplakate aufhängen. In der Mitte hängt noch das Plakat von Amtsinhaberin Koike Yuriko.

Alle vier Jahre geschieht in Tōkyō die gleiche Prozedur: Große, weiße Tafeln, unterteilt in zahlreiche kleine Rechtecke, werden aufgestellt, und es wird lauter als ohnehin schon üblich, denn kleine Autos mit Lautsprechern auf dem Dach beginnen durch die Straßen zu fahren. Vor den wichtigen Bahnhöfen der Stadt werden munter Reden geschwungen und fleißig Hände geschüttelt – es herrscht Wahlkampf. Am 7. Juli 2024 wählten die Bewohner:innen der Präfektur ihr neues Oberhaupt. Doch dieses Mal war einiges anders.

Antreten dürfen japanische Staatsbürger:innen, die mindestens 30 Jahre alt sind, keine Vorstrafen haben und rund 18.000 Euro Teilnahmegebühren vorschießen können. In diesem Jahr traten sage und schreibe 56 Kandidaten gegeneinander an. Dazu zählte auch die Amtsinhaberin Koike Yuriko, welche auch die undankbare Aufgabe hatte, die Metropole durch die Corona-Pandemie zu führen. Zu ihren Mitbewerbern zählten skurrile Gestalten wie:

  • Akinori Shōgun Miman von der Neo-Bakufu-Partei: Er verlangte unter anderem, dass Fenster über dem 20. Stockwerk geöffnet werden sollen, um so dem Klimawandel zu begegnen.
  • AI-Mayor: Ein 51-jähriger Mann mit Maske, der forderte, die Diskussion um Einwanderung damit zu beenden, indem man direkt vor den Privathäusern von Abgeordneten Asylunterkünfte baut.
  • Doctor NakaMats: Ein 96-jähriger und reichlich exzentrischer Erfinder mit mehr als 3500 patentierten Erfindungen und einer schillernden Vita.

WahlurneIm Überblick: Das japanische WahlsystemAm 31. Oktober 2021 rief Japan zur Unterhauswahl. Doch was ist das Unterhaus, was das Oberhaus? Wie funktioniert das japanische Wahlsystem?...25.10.2021

Nur drei aussichtsreiche Kandidaten – von 56

Doch es waren nicht diese Kandidaten, die Koike und ihrer dritten Amtszeit gefährlich werden konnten – 70 % der gesamten Medienaufmerksamkeit galt nur den drei aussichtsreichsten Kandidaten, nämlich Koike Yuriko, Renhō (einst Ministerin unter der Regierung Kan Naotos und Noda Yoshihikos sowie ehemalige Vorsitzende der Demokratischen Partei Japans) und Ishimaru Shinji (ehemaliger Bänker und Bürgermeister von Akitakata, Präfektur Hiroshima). Insgesamt erhielten 11 vielsprechende Kandidaten 90 % der Berichterstattung – die verbliebenen 45 Kandidaten mussten sich die verbliebenen 10 % teilen und hatten damit so gut wie gar keine Chance.

Besonders aufmerksam wurde Renhō, seit langer Zeit eines der wenigen bekannten Gesichter der politischen Opposition, beobachtet. Newcomer Ishimaru wurde ebenfalls als besonders aussichtsreich gehandelt. Der 41-Jährige galt als äußerst smart, doch er verprellte potenzielle Wähler:innen zum einen dadurch, dass er eine Moderatorin bei einem Interview herunterputzte, und zum anderen mit der Idee, dem anhaltenden Geburtenrückgang mit Vielweiberei zu begegnen. Das kam vor allem bei der weiblichen Wählerschaft sicherlich nicht gut an.

Rechts das Wahlplakat des Kandidaten Onodera Kōki - links hingegen unerlaubte Werbeposter, die nicht im Zusammenhang mit der Gouverneurswahl stehen.

Eigenwilliger Wahlkampf

Der Wahlkampf war in diesem Jahr ohnehin recht eigen. So entdeckten zahlreiche Spaßvögel die eingangs erwähnten Werbetafeln für sich. Dort dürfen eigentlich nur echte Gouverneurskandidaten an vorher durch Nummern markierte Stellen (und nur dort) ihre Wahlplakate kleben. Doch dieses Jahr wurden die Tafeln auch von Unbeteiligten mit zum Teil sehr humorvollen Postern zugeklebt – auch schnöde Werbung oder einfach nur Effekthascherei war zu beobachten. Besondere Aufmerksamkeit erfuhr die kleine Tsubasa-no-tō, eine politische Gruppe von Rabauken, die mit ihrem kleinen Auto regelrecht Jagd auf andere Kandidaten machte und versuchte, diese mit ihren Megafonen zu übertönen. Dies gipfelte sogar in der polizeilichen Festnahme der Tsubasa-Kandidaten, wobei die Partei sich danach in der Opferrolle sah.

Die Tōkyōter Wählerinnen und Wähler indes gingen auf Nummer Sicher und verhalfen Gouverneurin Koike mit knapp 43 % der Stimmen zur dritten Amtszeit – und dass, obwohl in der Vergangenheit starke Zweifel an ihrem Universitätsabschluss (an der Universität von Kairo, wohlgemerkt) aufkamen. Ishimaru folgte abgeschlagen mit 24 % und Renhō mit für die Opposition sicher enttäuschenden 19 %. 45 Kandidaten erzielten nur 0.1 % oder noch weniger der Stimmen – der Letztplatzierte gar nur 211 Stimmen.

Eine weitere Besonderheit in diesem Jahr war das Thema Künstliche Intelligenz: Yuriko Koike trat mit ihrem Avatar „AI Yuriko“ auf, was aber nicht ganz ohne Häme blieb, schließlich plapperte der Avatar nur vor sich hin. Wesentlich kompetenter nutzte Mitbewerber Anno Takahiro die Technik, denn seinem Avatar konnte man auch Fragen stellen, die die KI in seinem Sinne beantwortete. So kam der 33-jährige Politikneuling, IT-Spezialist und Science-Fiction-Autor im Stand und ohne Unterstützung durch andere Parteien auf rund 155.000 Stimmen – immerhin Platz 5.

Premierminister Fumio Kishida am 4. April 2024. Die Liberaldemokratische Partei beschloss am selben Tag in ihrem Ethikausschuss Sanktionen gegen 39 ihrer Mitglieder im Zusammenhang mit einem SpendenskandalWie viel Geduld hat Japan noch mit Premierminister Kishida?Schwarze Kassen, eine taumelnde Landeswährung, ausfällige Politiker, fortlaufend sinkende Reallöhne und nicht eingelöste Versprechen – die B...14.05.2024

Kommentare

Diese Woche meistgelesen

Top Stories

Autoren gesucht

Lesen Sie hier, wie Sie Teil unseres Teams werden!