Kōenji: Wo das hippe, junge Tōkyō auf Retro-Charme trifft

Matthias Reich
Matthias Reich

Tōkyō ist nicht nur für die Viertel entlang der Yamanote-Ringlinie sehenswert – außerhalb des Rings zeigt die Stadt ein völlig anderes, aber nicht minder interessantes Gesicht. So zum Beispiel in Kōenji, einem charmanten Stadtviertel im Bezirk Suginami, wo die hippe Jugend durch die historischen Einkaufsstraßen schlendert.

Koenji
Kōenji ist bekannt für seine charmanten Einkaufspassagen und gute Restaurantszene. © iStock.com/Page Light Studios

Von Shinjuku biegt die kerzengerade Chuō/Sōbu-Linie Richtung Westen ab und durchquert einen guten Teil West-Tōkyōs. Die gesamte Gegend ist dicht bebaut und dank der schnellen Anbindung an das Zentrum als Wohnlage sehr begehrt. Entlang der Trasse liegen Bahnstationen wie Kōenji, Ogikubo, Asagaya, Kichijōji, Mitaka und Kokubunji. Rund um diese Stationen entwickelten sich im Laufe der letzten Jahrzehnte kleine Vergnügungs- und Einkaufsviertel mit unzähligen Restaurants, Bars und Geschäften. Dort ist im Prinzip immer etwas los: allabendlich unter der Woche, wenn Hunderttausende Angestellte von der Arbeit im Zentrum Tōkyōs heimkehren und auf dem Weg nach Hause noch mal schnell irgendwo einkehren wollen. Und an den Wochenenden, wenn man, ob allein oder mit Familie, etwas Gutes einkaufen oder essen möchte.

Beliebtes Wohn- und Ausgehviertel

Das Viertel Kōenji zählt zu diesen Orten – und das seit rund 100 Jahren. Bis dahin befand sich dort lediglich ein kleines Dorf sowie der namensgebende Kōenji-Tempel. Mit der Ruhe war es 1922 vorbei: Der Bahnhof wurde gebaut, und somit eine Fahrt ins Stadtzentrum zum Katzensprung. Ein Jahr später verwüstete das schwere Kantō-Erdbeben die traditionellen Ortschaften Tōkyōs – Asakusa, Ginza und viele weitere Stadtviertel lagen in Schutt und Asche. Dementsprechend wurden die Gegenden westlich des Zentrums schnell beliebter, denn hier war die Bebauung weniger dicht und der Untergrund solider. Rund um den Bahnhof Kōenji ließen sich erste Restaurants und Geschäfte nieder – und genau das macht das Viertel so interessant, denn einige dieser Geschäfte existieren bis heute. Und dank der historisch gewachsenen Bahnhofsgegend fehlen die üblichen großen und immergleichen Kaufhäuser und Lokale.

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Der knapp 400 Jahre alte Kōenji-Tempel ist 5 Gehminuten vom Bahnhof entfernt. © Photo AC / @ぶらいあんと

Die Bahnlinie teilt Kōenji in einen Nord- und einen Südteil. Direkt am Bahnhof und Richtung Norden verlaufend liegt die Junjō Shōtengai (shōtengai bedeutet Einkaufsstraße) – eine kleine Gasse mit mehr als 200 Geschäften, mit einer guten Mischung aus alteingesessenen Lebensmittelläden, Restaurants, hippen Boutiquen und mehr. Die Einkaufsstraße gibt es seit den 1930ern, und sie wird vor allem von jungen Menschen gut frequentiert. In und um Kōenji leben nämlich verhältnismäßig viele 20- bis 30-jährige Japanerinnen und Japaner. Vor allem am Abend ist ein Besuch der Gegend direkt nordwestlich des Bahnhofs lohnenswert, denn dort gibt es in teilweise weniger als 1 m breiten Gässchen zahllose Bars und Restaurants.

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Essen und Shoppen in Kōenji

Doch auch im Süden des Bahnhofs herrscht reges Treiben – etwa in der überdachten, einfach nur „pal” genannten Einkaufspassage, in der man erstaunlich viele hippe Second-Hand-Geschäfte findet. Das ist vor allem bei jungen Leuten beliebt, zunehmend aber auch bei Touristen, denn dort werden einzigartige Sachen angeboten, die man nur in Tōkyō findet. Auffallend ist auch die hohe Dichte an ausländischen Restaurants. Von persisch über türkisch, thailändisch, indisch bis nepalesisch findet man hier fast das gesamte Spektrum asiatischer Küche. Auch für Rāmen-Fans ist Kōenji ein Paradies – hier reihen sich zahlreiche, zum Teil berühmte Rāmen-Restaurants aneinander, die man oft an der langen Warteschlange vor dem Eingang erkennt.

pal, Kōenjis beliebte Einkaufspassage
pal, Kōenjis beliebte Einkaufspassage. © iStock.com/Page Light Studios

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Ein Schrein für gutes Wetter

Nur rund 100 m südlich des Bahnhofs und etwas versteckt liegend gibt es einen einzigartigen Schrein – den einzigen Wetterschrein Japans,  den Kishō Jinja. Der hat eine besondere Geschichte: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts befand sich in Kōenji ein großer Stützpunkt des Kaiserlichen Heeres. Dazu gehörte auch eine Meteorologische Einheit. Diese baute auf dem Gelände des Stützpunktes einen kleinen Schrein, wo Mitglieder jener Einheit tagtäglich dafür beteten, dass die Vorhersagen richtig sind. Aufgrund dieser militärischen Anlage wurde Kōenji jedoch während des Zweiten Weltkrieges bombardiert. Der Schrein brannte nieder, und nach Kriegsende wurde der Stützpunkt aufgelöst. 

Ehemalige Mitarbeiter der Meteorologischen Einheit sorgten jedoch für den Wiederaufbau des Wetterschreins, allerdings etwas versetzt auf dem Gelände des im 16. Jahrhundert erbauten Hikawa-Schreins. Der Wetterschrein wurde 2019 durch den Animefilm „Weathering With You – Das Mädchen, das die Sonne berührte” von Shinkai Makoto berühmt, wo er eine wichtige Rolle spielt. Heute zeugen zahlreiche Ema-Täfelchen am Schrein von der anhaltenden Beliebtheit. Japanerinnen und Japaner beten für gutes Wetter, zum Beispiel vor einem Urlaub, oder dafür, die negative Reputation einer ame onna, einer „Frau, bei der es immer regnet, egal wo sie hingeht”, abzulegen.

Kisho Jinja in Tokyo
Der kleine Kishō Jinja ist ein einzigartiger Schrein, bei dem man für gutes Wetter betet.

Berühmtes Tanzfestival

Kōenji war lange Zeit bei Zuwanderern aus der Präfektur Tokushima als Wohnort sehr beliebt, und so begann man im Jahr 1957 mit der Ausrichtung eines fröhlichen Straßenfestes, welches Jahre später in „Kōenji Awa Odori” umbenannt wurde – zu Ehren des wohl größten japanischen Volksfestes Awa Odori, das jährlich Mitte August in Tokushima stattfindet. Kōenjis Ableger wird stets am letzten August-Wochenende abgehalten und braucht sich hinter dem Original nicht zu verstecken: Bis zu 12.000 Tänzerinnen und Tänzer verwandeln die Straßen in ein farbenfrohes und klangvolles Meer, angefeuert von mehr als einer Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer.

Kōenji Awa Odori
Kōenji Awa Odori. © Photo AC / makoto.h

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