Lange 19 Monate hatte William Adams auf See verbracht, bevor er das japanische Festland erreichte. Er und seine Besatzung, ursprünglich 100 Mann, von denen nur 24 die Reise überlebt hatten, waren in einen Sturm geraten, der sie ans Ende der Welt gebracht hatte. Über Japan war zum damaligen Zeitpunkt nur wenig bekannt, und anstelle des Inselreiches zierten unheimliche Meeresungeheuer die Karten der Seefahrer.
Im Morgengrauen des 12. April 1600 bemerkten die Einwohner von Funai (heutige Präfektur Ōita) ein fremdes, zerstörtes Schiff am Horizont, das sich langsam der japanischen Küste näherte. Als die Einheimischen das Wrack enterten, bot sich ihnen ein erschreckender Anblick: Tropische Krankheiten hatten die Seeleute dahingerafft und der Proviant war längst verdorben. Nur William war körperlich und geistig noch in der Lage gewesen, die japanischen Einwohner um Hilfe zu bitten.
Wer war William Adams?
William Adams wurde am 24. September 1564 in Gillingham, England, geboren. Nachdem sein Vater verstarb, als William zwölf Jahre alt war, ging er bei dem Werftbesitzer Master Nicholas Diggins in Limehouse in die Lehre und begann eine Laufbahn als Seefahrer. Die nächsten zwölf Jahre verbrachte er mit dem Studium von Schiffbau, Astronomie und Navigation, anschließend trat er in die Royal Navy ein, um im Krieg gegen Spanien unter Sir Francis Drake zu dienen.
Als Kapitän der Richarde Dyffylde, einem Versorgungsschiff, das die englischen Flotten mit Munitionen und Lebensmitteln ausrüstete, nahm er 1588 am Kampf gegen die spanische Armada teil. Zehn Jahre später brach William in Begleitung seines Bruders Thomas als Lotsenmajor mit einer Flotte von fünf Schiffen von der niederländischen Insel Texel in den Fernen Osten auf, um sich am Handel mit Indien zu beteiligen.
Williams Leben in Japan
Nachdem Williams Schiff an der Küste von Kyūshū gekentert war, wurden er und die anderen Überlebenden der Besatzung von Tokugawa Ieyasu nach Ōsaka gerufen, um über politische, religiöse und technische Entwicklungen außerhalb Japans zu berichten. Dabei gelang es William, den angehenden Shōgun mit seiner Bildung sowie seinen Kenntnissen über Schiffbau und Navigation so sehr zu begeistern, dass dieser den Engländer zu einem seiner Vertrauten machte.
Im Jahr 1604 beauftragte Tokugawa ihn mit dem Bau eines Schiffes im westlichen Stil. Die Zusammenarbeit festigte die Beziehung zwischen den beiden Männern derart, dass William ab 1614 die Erlaubnis bekam, Handelsexpeditionen außerhalb der japanischen Meere bis nach Thailand und Vietnam zu unternehmen. Schließlich wurden William der Titel eines hatamoto (ein Samurai im direkten Dienst des Shōgun) und Ländereien sowie Bedienstete in der Ortschaft Miura (heutiges Yokosuka, Präfektur Kanagawa) verliehen.
Obwohl William wiederholt um die Erlaubnis bat, nach England zurückkehren zu dürfen, wo seine Frau und Kinder noch immer auf ihn warteten, wurde ihm seine Bitten verwehrt. So begann er, sich unter dem Namen Miura Anjin (三浦按針, wörtl. „Navigator von Miura“) ein neues Leben aufzubauen. Er heiratete die Japanerin Oyuki, die Tochter eines hochrangigen Beamten, und zeugte mit ihr zwei Kinder – Joseph und Susanna.
Die Aufgaben eines Samurai – Handel statt Krieg?
Heutzutage assoziieren wir mit dem Begriff Samurai einen japanischen Krieger, der mit einer katana bewaffnet hitzige Kämpfe austrägt, doch in Wirklichkeit bezeichnete die Ernennung zum Samurai lediglich einen sozialen Rang, der vom Shōgunat für besondere Verdienste verliehen wurde. In den friedlichen Jahrhunderten, die auf die Sengoku-Zeit (1497-1603) folgten, bestand die Aufgabe eines Samurai hauptsächlich darin, sein Gebiet im Sinne des Shōgun zu verwalten. Dementsprechend war William kein Krieger, sondern ein Diplomat und Handelsberater, der bei internationalen Verhandlungen zum Einsatz kam.
William überwachte den Bau von Schiffen nach westlichem Vorbild, schrieb im Namen des Shōgun Briefe, in denen er holländische und englische Kaufleute zu einer Japanreise ermutigte, und vermittelte außerdem zwischen dem Shōgunat und ausländischen Handelsgesellschaften. Im Jahr 1613 half er zudem bei der Errichtung einer englischen Fabrik für die Britische Ostindien-Kompanie in Hirado (Präfektur Nagasaki).
Große Veränderung nach Ieyasus Tod
Nachdem Tokugawa Ieyasu 1616 verstarb und sein Nachfolger Tokugawa Hidetada die Macht übernahm, wurde Japan zunehmend isoliert. Die Aktivitäten der englischen Handelsreisenden wurden eingeschränkt und Williams Einfluss auf das Shōgunat stark geschwächt. Im Jahr 1620 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand rapide und er verstarb während seines Aufenthalts in Hirado an den Folgen einer Krankheit. Kurz darauf wurde auch die englische Fabrik geschlossen, die für einen langen Zeitraum die letzte Verbindung zwischen Japan und dem britischen Empire gewesen sein sollte.
Williams Einfluss auf die japanische Kultur
William Adams war wahrscheinlich der erste und einzige Europäer, dem der Titel eines Samurai zuerkannt wurde. Er diente in einem Zeitalter der Ungewissheit als Brücke zweier Kulturen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, und war einer der wichtigsten Engländer in der Geschichte Japans.
Die atemberaubende Lebensgeschichte des ersten europäischen Samurai diente als Inspiration für zahlreiche Bücher in englischer und japanischer Sprache, darunter auch James Clavells Bestseller “Shōgun” (1975), der zudem die Grundlage für die beliebte gleichnamige Fernseh-Miniserie (1980) bildete. Außerdem lieferte William Adams die Vorlage für den Protagonisten des Action-Videospiels Nioh (Team Ninja, erschienen im Februar 2017), der im Jahr 1600 im Dienst von Tokugawa Ieyasu gegen feindliche Armeen und japanische Dämonen kämpft.
Wer sich auf eine touristische Entdeckungsreise nach William begibt, der findet neben seinem Grab in Hirado und einer Gedenkstatue in Itō (Präfektur Shizuoka) auch ein Viertel in Nihonbashi (Tōkyō), das bis heute nach seinem ehemaligen Anwesen Anjin-chō benannt ist.
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