Die Sengoku-Zeit (1467-1603) ist eine der bewegtesten Epochen in der japanischen Geschichte. Verheerende Kriege zogen über das gesamte Land und brachten die Machtposition des Shōgunats ins Schwanken. Zahlreiche daimyō (Feldherren) nutzten die Unruhen, um ihre Territorien zu erweitern und die Politik Japans in die eigene Hand zu nehmen. Einer dieser daimyō war Uesugi Kenshin, der heutzutage insbesondere durch seine friedlichen Absichten bekannt geworden ist.
Der Aufstieg zum Krieger
Uesugi Kenshin wurde am 28. Februar 1530 (nach einigen Quellen bereits am 18. Februar) in Echigo (heutige Präfektur Niigata) im Nordwesten Japans als dritter oder vierter Sohn des Nagao Tamekage, ein hochrangiger Beamte des Muromachi-Shōgunats, geboren. Er lebte in einer turbulenten Epoche, in der sich bereits seit mehreren Jahrzehnten militärische Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft in Japan fortsetzten. Sein wahrer Kindheitsname ist nicht bekannt, allerdings sind viele Historiker der Überzeugung, dass „Torachiyo” aus dem Hokuetsu Gundan („Militärische Gespräche von Hokuetsu“) am wahrscheinlichsten sei, da darin das Wort „tora” (虎, Tiger) enthalten ist und Kenshins Geburt nach chinesischem Kalender in das Jahr des Tigers fällt.
Im Hokuetsu Gundan wird der kleine Torachiyo als ein hochintelligentes Kind beschrieben, welches ein sehr großes Interesse an militärischen Strategien aufweist, allerdings durch jähzornige Charakterzüge negativ auffällt. 1536 wurde er zum Rinsenji-Tempel (in der heutigen Stadt Jōetsu, Präfektur Niigata) geschickt, um dort Priester zu werden und die Lehren des Zen-Buddhismus zu studieren.
Im Alter von 14 Jahren wurde Kenshin von Usami Sadamitsu und einer Reihe anderer Bekannter seines mittlerweile verstorbenen Vaters mit der Bitte kontaktiert, nach Echigo zu gehen, um die Herrschaft seines älteren Bruders anzufechten; dieser sei aufgrund seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung nicht in mehr der Lage gewesen, die Führung weiterhin zu übernehmen. Kenshin ging gegen seinen Bruder Harukage an, siegte über ihn und zwang ihn 1548 dazu, sein Amt abzutreten. Fünf Jahre später starb Harukage, sodass Kenshin mit 19 Jahren zum Oberhaupt des Clans ernannt wurde.
Er änderte seinen Namen in Uesugi Masatora um, als er vom Uesugi-Clan adoptiert wurde, nannte sich später Terutora, um den 13. Shōgun Ashikaga Yoshiteru zu ehren, und schließlich Uesugi Kenshin, nachdem er gelobt hatte, sich dem Zen-Buddhismus zu widmen.
Die Schlacht von Kawanakajima
Etwa zu der Zeit, als Kenshin das Oberhaupt der Uesugi und Nagao wurde, hatte der Feldherr Takeda Shingen große Siege in der Shinano-Provinz (heutige Präfektur Nagano) errungen, die nah an der Grenze zu Echigo gelegen war. Die Zusammenstöße mit dem Takeda-Clan und die Rivalität zwischen Kenshin und Shingen eskalierten und führten letztendlich zu einem der bekanntesten Kriege der japanischen Geschichte. Fünf ganze Schlachten führten sie zwischen 1553 und 1564 in Kawanakajima, wobei die vierte im Jahr 1561 die größten Ausmaße annahm.
Um siegreich hervorzugehen, wandte Kenshin eine ausgeklügelte Taktik mit einer speziellen Formation an, bei der die Soldaten an der Front die Position mit ihren Kameraden in der Nachhut wechselten, sobald sie müde oder verwundet wurden. Dies stellte sich als äußerst effektiv heraus, sodass es Kenshin beinahe gelungen wäre, Shingen zu besiegen. Der Ausgang dieser Schlacht wird bis heute debattiert und viele Gelehrte sind sich uneinig darüber, wer als wahrer Sieger hervorging.
Trotz der verheerenden Gefechte respektierte Kenshin Shingen als seine Nemesis und betrauerte dessen Tod mit den Worten: „Ich habe meinen guten Rivalen verloren. So einen Helden werden wir nie wieder haben!“.
War Kenshin eine Frau?
Der japanische Schriftsteller Tomeo Yagiri stellte Mitte des 20. Jahrhunderts nach einem Besuch im Kloster von Toledo die These auf, dass Kenshin eine Frau gewesen sei, nachdem er einen spanischen Bericht aus dem 16. Jahrhundert entdeckt hatte. Der Verfasser Gonzales von Spanien schrieb darin über die Politik von Uesugi Kagekatsu (Kenshins Neffe) und dessen Tante, nicht aber über einen Onkel. Die Entdeckung dieses Briefes veranlasste Tomeo dazu, „die weibliche Kenshin-Theorie“ zu verfassen. Im Kōyō Gunkan (Aufzeichnungen der Militärgeschichte des Takeda-Clans, 1616 fertiggestellt) sei zudem verzeichnet gewesen, dass Kenshin ungefähr immer am zehnten Tag des Monats unter Magenkrämpfen litt, welche die Organisation seiner militärischen Kampagnen beeinflusst haben sollen.
Nach einigen Überlieferungen habe Kenshin ein Interesse an historischen Romanen, Poesie und Kalligrafie gehegt, die insbesondere an ein weibliches Publikum gerichtet gewesen seien. Kenshins Aussehen war Berichten zufolge „weiblich angehaucht“ und er sei als einziger berechtigt gewesen, die Frauenquartiere im Kaiserpalast von Kyōto frei zu betreten. Zudem sind weder biologische Nachfahren, noch Beziehungen zu Frauen oder Konkubinen historisch belegt. Diese These konnte sich jedoch bisher nicht bestätigen lassen.
Uesugi Kenshin im heutigen Japan
Uesugi Kenshin ist berühmt für sein ehrenhaftes Verhalten, seine militärische Expertise, seine langjährige Rivalität mit Takeda Shingen und seinen Glauben an den buddhistischen Kriegsgott Bishamonten. Viele seiner Anhänger hielten ihn sogar für dessen Wiedergeburt, weswegen Kenshin auch als „Gott des Krieges“ bezeichnet wird. Er solle nicht aus eigenen Interessen, sondern aus Loyalität zum Shōgunat gekämpft haben und sehr bemüht darum gewesen sein, das Leben der Bevölkerung in seiner Domäne so sicher wie möglich zu gestalten. Dies macht ihn zu einer beliebten historischen Persönlichkeit, die sowohl in Videospielen wie „Samurai Warriors“ (Tecmo Koei) oder „Sengoku Basara“ (Capcom), als auch in Spielfilmen und TV-Dramen immer wieder anzutreffen ist.
In dem NHK-Taiga-Drama „Fūrin Kazan“ aus dem Jahr 2007 übernahm der japanische Sänger Gackt die Rolle des Kenshin. Dieser wollte ihn nicht als einen starken Mann darstellen, sondern an den weiblichen Mythos anknüpfen und ihn von einer femininen Seite zeigen.
Auch im Sport ist Kenshin anzutreffen. So entschied der berühmte Eiskunstläufer Hanyū Yuzuru sich dafür, „Ten to Chi to“ als Leitthema aufzugreifen und die Schlacht von Kawanakajima mit ihren Schwertkämpfen und Höhepunkten auf dem Eis nachzustellen. Insbesondere Kenshins intelligente Kriegsführung und dessen guter Wille hätten Hanyūs Begeisterung für den Feldherren entfacht und ihn dazu verleitet, seine Choreografie auf dem Verlauf der Schlacht aufzubauen.
Ob Kenshin dem heutigen Ruf eines friedliebenden Kriegers wirklich gerecht geworden war, ist ein angefochtenes Thema. Die Meinungen gehen sehr weit auseinander und einige Forscher zweifeln an dessen guten Willen. Dennoch ist Kenshin einer der wichtigsten daimyō seiner Epoche und nicht aus japanischen Geschichtsbüchern wegzudenken.
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