Tanuki – Geschichte und Bedeutung der Fabelfigur

Natascha Mattern
Natascha Mattern

Wer eine Reise nach Japan antritt, der wird schnell auf einen seiner bekanntesten Einwohner treffen: den quirligen "tanuki". Doch was hat es mit diesem allgegenwärtigen Gefährten eigentlich auf sich?

Tanuki
Tanuki-Figuren in Kyōto. © Natascha Mattern

Wenn die Rede von einem tanuki (狸 oder タヌキ) ist, so meint man meist das Fabelwesen, welches in zahlreichen japanischen Geschichten und Mythen vorkommt. Es handelt sich hierbei eigentlich um den Marderhund (Nyctereutes procyonoides), der zwar äußerlich große Ähnlichkeit mit einem Waschbären hat und auch oft als „japanischer Waschbär“ bezeichnet wird, jedoch näher mit dem Fuchs und dem Marder verwandt ist. Auch wenn der Marderhund in seinem natürlichen Habitat inzwischen selten geworden ist, so lebt er auch heute noch zurückgezogen in japanischen Waldgebieten.

Das Fabeltier tanuki ist in der japanischen Mythologie ähnlich wichtig wie der Fuchs, der im Japanischen kitsune heißt. Beide zählen zu den sogenannten yōkai (妖怪, Geist oder Phantom), mystische Monster, die oftmals von Tieren verkörpert werden. Während der Fuchs ein wichtiges heiliges Symbol der japanischen Religion Shintoismus darstellt und er in Schreinen allgegenwärtig ist, ist der tanuki eher ein Symbol für einen draufgängerischen Trunkenbold. Traditionellerweise trifft man ihn daher oft vor einem Izakaya (japanische Kneipe). Der Fuchs verwandelt sich in den japanischen Fabeln zumeist in Frauen oder weibliche Gottheiten, währen der tanuki eher das männliche, jedoch negativ konnotierte Pendant bildet.

MArderhund
Der "echte tanuki" heißt zu Deutsch Marderhund ist vor allem in Ostasien heimisch.

Die heutigen allgegenwärtigen tanuki-Statuen weisen fast immer dasselbe charakteristische Aussehen auf: Ein großer Strohhut symbolisiert das Vagabundentum des umherreisenden tanuki, der dicke Bauch verkörpert die Lust am Essen und Trinken, die Sake-Flasche in der einen Hand steht für die Vorliebe des Getränkes, in der anderen Hand hält er einen Schuldschein, der gegen Sake eingetauscht, aber nie beglichen wird.

Man sagt dem tanuki nach, dass er seinen großen Bauch gerne als Trommel benutzt und der typische Klang wird heute in Japan als Wort der Lautmalerei verwendet: pon, pokopon oder ponpoko. Diese Begriffe werden in der modernen japanischen Popkultur gerne für Namensgebungen von tanuki-Figuren genutzt wie im Anime-Film Pom Poko oder dem Sanrio-Charakter Pokopon‘s Diary.

Illustration: Nachtparade der 100 DämonenGnome, Geister, Gruselwesen: Die yōkai der japanischen FolkloreYōkai, übernatürliche, mythologische Wesen, spielen in der traditionellen wie populären Kultur Japans eine große Rolle. Richtig übersetzen l...09.10.2019

Tanuki in der Mythologie

Erstmals tauchte der tanuki in der Heian-Zeit (794-1185 bzw. 1192) in der Geschichtensammlung Konjaku monogatari (今昔物語集, „Geschichtensammlung von Jetzt und Einst“) auf. Bei dieser handelt sich um eine Sammlung japanischer, chinesischer und indischer Sagen aus der mittelalterlichen Zeit. In diesen älteren Legenden wurde der tanuki meist als Bösewicht (siehe oben „yōkai“) dargestellt. Er sei ein gerissener und raffinierter Verwandlungskünstler, der die Menschen gerne hinters Licht führt.

Dieses Bild überdauerte bis in die Kamakura-Zeit (1185-1333) und die Muromachi-Zeit (1336–1573), was durch zahlreiche Geschichten und Gemälde aus diesen Epochen belegt ist. In der berühmten japanischen Geschichte Kachi kachi yama (かちかち山, „Der knisternde Berg“), die auf das Ende der Muromachi-Zeit datiert wird, trickst der tanuki eine alte Bauersfrau aus, die er schlussendlich tötet, kocht und am Ende sogar verspeist. Doch sie wird durch einen mächtigen Hasen gerächt, der den tanuki durch eine List in einen Fluss lockt und ihn dort ertrinken lässt.

In der Edo-Zeit (1603-1868) wandelte sich dieses negative Bild langsam zum Positiven. Seine böse, gerissene Natur wich einer eher naiven-schelmischen Art. Der tanuki wurde zu einer Fabelfigur, die sich zwar gerne vergnügte, indem sie tanzte, musizierte und trank, doch sich durchaus immer mehr als Held einer Geschichte entpuppte. Ein Beispiel hierfür liefert die Geschichte Bunbuku chagama (分福茶釜, „Bunbuku-Teekessel“), in der der tanuki über die Fähigkeit verfügt, sich in einen Teekessel zu verwandeln, und als halb Tier, halb Teekessel Kunststücke auf der Straße vorführt, um seinem armen Besitzer zu großem Wohlstand zu verhelfen.

Tanuki holzschnitt
Ein Holzschnitt von Tsukioka Yoshitoshi der Geschichte "Bunbuku chagama". 新形三十六怪撰 © National Diet Library

Tanuki in der japanischen Malerei und der Dichtkunst

Dank seiner großen Bedeutung in der japanischen Folklore haben zahlreiche Künstler den tanuki auf ihren Gemälden verewigt. Während er auf älteren Bildern oftmals als Bösewicht dargestellt wurde, liegt der Fokus seit der Edo-Zeit vor allem auf seinen Verwandlungskünsten. Berühmt ist vor allem seine Fähigkeit, seine Hoden, in Japan kintama (金玉, „goldene Kugeln“) genannt,auf abenteuerliche Größe anschwellen zu lassen, was ihm seine übernatürliche Kraft verleiht. Noch heute werden diese in den Statuen prominent zur Schau gestellt. Bekannte Ukiyo-e-Künstler wie Utagawa Kuniyoshi, Tsukioka Yoshitoshi, Kawanabe Kyōsai und Takehara Shunsensai haben ihn so auf ihren Holzschnitten verewigt.

Auch in der japanischen Haiku-Dichtung ist der tanuki ein beliebter Gast. Ein Beispiel hierfür ist das folgende Haiku von Yosa Buson (eigene, inoffizielle Übersetzung).

Aki no kure (秋の暮)
Hotoke ni bakeru (仏に化ける)
Tanuki kana (狸かな)

Herbstabend
Verwandelt sich in einen Buddha
der Tanuki

Tanuki in der modernen japanischen Popkultur

Doch auch in der Popkultur ist der quirlige tanuki ein Dauergast: Im Anime-Film Pom Poko aus dem Hause Ghibli spielt eine Gruppe tanuki, welche fälschlicherweise als Waschbären dargestellt werden, die Hauptrolle. Sie müssen ihren Lebensraum gegen die zunehmende Verstädterung verteidigen. Im Manga und Anime Naruto stellt der Dämon Shukaku, der sich im Körper Gaaras befindet, einen tanuki dar. Bei Inuyasha handelt es sich bei der Figur Hachi um das Fabelwesen und in One Piece wird Tony Tony Chopper oftmals für einen tanuki gehalten, obwohl er eigentlich ein Rentier ist. Und das Unternehmen Sanrio hat dem niedlichem tanuki sogar eine eigene Character-Serie gewidmet: Pokopon‘s Diary.

Tanuki
Keramikfiguren an einem Verkaufsstand in Kyōto. © Natascha Mattern

Tanuki als beliebte Keramikfigur

Den Wandel hin zur ulkigen, ja schon niedlichen Figur hat der tanuki der Töpferwerkstatt Fujiwara Tetsuzōs (1877-1967) aus der Kleinstadt Shigaraki in der Präfektur Shiga zu verdanken, die sich in der Nähe von Kyōto befindet und ein traditionelles Töpferzentrum war. Noch heute werden die meisten Statuen und Figuren aus japanischer Herstellung dort produziert. Man trifft tanukis heute aber nicht nur vor Izakayas, sondern auch in traditionellen, ländlichen Gebieten vor Privathäusern, wie etwa in der Region um Kyōto. Mittlerweile hat sich die tanuki-Figur auch zu einem beliebten Mitbringsel einer Japanreise etabliert. 

Wer also nach Japan reist, sollte die Augen offenhalten und schon bald wird der quirlige kleine tanuki den Reisenden sicherlich in seinen Bann ziehen.

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