In Teil 6 dieser Artikelreihe wurde erläutert, wie die von Minamoto no Yoritomo errichtete Militärregierung, das Kamakura-bakufu, das seit dem 8. Jahrhundert bestehende ritsuryo-System komplett beendete und den Beginn einer ca. 700 Jahre andauernden Herrschaft der Samurai einläutete. Dieses Mal wollen wir den weiteren Verlauf des Kamakura-bakufu betrachten.
Errungenschaften des Kamakura-bakufu
Es gelang, auf wirtschaftlicher Seite den Privatbesitz von Agrarland zu legalisieren und die Wirtschaftsbasis der Samurai – hervorgegangen aus bewaffneten Bauern – zu stabilisieren. Außerdem wurde die politische Legitimation der Herrschaft über Japan (effektiv zunächst auf die Kantō-Region begrenzt) durch eine von der traditionellen Autorität des Kaiserhofs erteilte Blankovollmacht gesichert.
Unter der Herrschaft der Samurai vollzog sich auch ein drastischer Wandel in der Kunst und der Religion. Bis dahin waren die Protagonisten der Kunst der Heian-Zeit auf wenige Adlige beschränkt gewesen (unter dem ritsuryo-System seit dem 8. Jahrhundert galten nicht nur das Land, sondern auch die Bürger als Staatsbesitz).
Ab der Kamakura-Ära öffnete sich die Welt der Kunst mit einem Mal auch den Samurai, d.h. den ehemals bewaffneten Bauern und damit der Masse der gemeinen Bürger. In der Folge wurden ideelle und abstrakte Elemente aus der Kunst und der Religion verbannt, die nur von Wenigen verstanden worden waren. Die Kunst wandte sich einer realistischen Form zu, die auch für den einfachen Bürger verständlich war (z.B. die buddhistischen Bildhauer Unkei und Kaikei) und auch die buddhistische Lehre wurde vereinfacht. Vielleicht kann man dieses Phänomen als den ersten kulturellen Populismus in Japan bezeichnen.
Die Machtergreifung des Hōjō-Klans
Das Kamakura-bakufu unter dem Minamoto-Shōgunat währte jedoch nicht lange. Yoritomo starb weniger als sieben Jahre nach Einrichtung des bakufu durch einen Reitunfall. Ihm folgte sein Sohn Yoriie als zweiter Shōgun, der jedoch fünf Jahre später von der Familie seiner Mutter, den Hōjō, ermordet wurde. Diese fürchteten, dass die Familie von Yoriies Frau zu sehr an Macht gewinnen könnte. Sein jüngerer Bruder Sanetomo wurde der dritte Shōgun, der jedoch ebenfalls einem Attentat zum Opfer fiel, womit die Linie Yoritomos ausstarb. Zur Unterstützung des noch sehr jungen zweiten und dritten Shōguns wurde ein Kollegialsystem der führenden Lehnsmänner geschaffen. Die Familie von Yoritomos Frau – der Hōjō-Klan – vernichtete jedoch nacheinander die anderen Mitglieder des Rats. Er ergriff zunächst die Macht über die Regierungsverwaltung (mandokoro 政所, etwa heutiges Ministerium für Allgemeine Angelegenheiten und Finanzministerium), dann über die Behörde für militärische Angelegenheiten (samuraidokoro 侍所, etwa heutiges Verteidigungsministerium) und unterwarf schließlich das gesamte bakufu ihrer Macht.
Im Gegensatz zur Kyōtoer Regierung, die sich in politischen Taktiken gut auskannte, war für die damaligen Samurai, die zum ersten Mal die Macht erlangt hatten, der Krieg die einfachste Methode der Konfliktlösung. In der Kamakura-Zeit gab es viele grausame Binnenkämpfe. So stand z.B. auf dem Gelände des Shirahata-Schreins in Kamakura früher ein Gebäude mit Namen Hokkedō, wo 500 Samurai des von den Hōjō in die Enge getriebenen Miura-Klans Massenselbstmord begingen. Ryōtarō Shiba, ein bekannter historischer Romanautor, schildert in seinem Werk Miurahantō-ki („Aufzeichnungen zur Miura-Halbinsel“), dass bei Bodenproben vor dem Bau des Amtsgerichts Kamakura auf einer Fläche von nur 200m2 die Überreste von 910 Menschen gefunden wurden und im Schulhof der Kamakura Jogakuin-Mädchenschule feine Knochensplitter lagen, die auf den ersten Blick wie Sand aussahen.
Machtlegitimität durch Regentschaftsvollmachten
Die Legitimität der Hōjō-Regierung stand auf schwachen Beinen, da sie als Usurpator die Macht des Minamoto-Klans mit Gewalt an sich gerissen hatte. Hinzu kam, dass die Familie ursprünglich nicht mehr als eine kleine bewaffnete Bauernfamilie in der Provinz war, auch wenn sie sehr früh die Rebellion ihres Schwiegersohnes Yoritomo mit Soldaten unterstützt hatten. Folglich fehlte es den Hōjō an Autorität, um die von der Kamakura-Regierung erwarteten wichtigen Funktionen zu erfüllen. Dazu gehörte u.a. das Richten bei Streitigkeiten zwischen Samurai um Land. Das Kamakura-bakufu war bemüht, gerechte Urteile zu fällen. Es gibt Aufzeichungen, denen zufolge zur Zeit des 5. Shikken (Regent für den Shōgun, s.u.), Hōjō Tokiyori, ein Bürger aus einer niederen Gesellschaftsschicht einen Zivilprozess gegen den benachbarten Hōjō-Klan gewann, denen er eine Verletzung der Grundstücksgrenzen vorgeworfen hatte.
Die Hōjō hielten eine einzigartige rechtliche Stellung inne. Der Shōgun wurde aus edlen Familien rekrutiert, meist Kinder aus den Adelsfamilien in Kyōto. Mit der Volljährigkeit wurden sie dazu gebracht, zurückzutreten und die nominale Macht ging zum nächsten (Kinder-)Shōgun über. Die wahre politische Macht lag jedoch bei den Hōjō.
In Teil 6 erfuhren wir bereits, dass auch alle auf Yoritomo folgenden Shōgune eine rechtliche Blankovollmacht durch den Kaiserhof erhielten, mit der sie ihre Herrschaft über Japan legitimierten. Ab dem 4. Shōgun bemühten sich die Hōjō, vom Shōgun eine „Unterblankovollmacht“ für ihre rechtliche Legitimierung zu erwirken. Der Titel ihrer Stellung lautete Regent (shikken).
Aus heutiger Sicht lässt es der Rechtsaufbau moderner zivilisierter Staaten nicht zu, dass der/die an der Spitze des machtausübenden Organs Stehende, seien es Premierminister, Präsidenten, Bürgermeister oder Geschäftsführer eines Unternehmens, anderen eine Blankovollmacht erteilen. Die umfassenden Befugnisse wurden über demokratische Prozesse an die betreffende Person erteilt und nicht an von dieser ernannte Dritte.
Interessant ist die Tatsache, dass dieses zweifelhafte System zur Legitimierung der Machtübernahme Fuß fasste und sich zur grundlegenden Struktur des Kamakura-bakufu entwickelte. Interessant ist ferner, dass sich auch im heutigen Japan immer noch ähnliche Rechtsphänomene feststellen lassen. Wenn z.B. große Erschließungsprojekte geplant sind, müssen im Vorfeld in einigen Fällen Gespräche mit der lokalen Bevölkerung geführt werden. Wenn abzusehen ist, dass es viele konfliktträchtige Streitpunkte gibt und die Diskussionen viel Zeit kosten könnten, wird zu Klärung der Punkte ein Vorbereitungstreffen (was oft im Gesetz nicht vorgeschrieben ist) angesetzt. Wenn dies zur Gewohnheit wird, führt das dazu, dass die wichtigen Themen de facto im Vorbereitungstreffen entschieden werden und die eigentlichen Gespräche nicht mehr sind, als eine Zeremonie. Wenn auch die Vorbereitungstreffen zu komplex werden, werden „Vorbereitungstreffen für das Vorbereitungstreffen“ einberufen, in denen die wichtigen Dinge besprochen werden, so dass nicht nur die eigentliche Versammlung sondern auch das Vorbereitungstreffen inhaltslos werden. Wenn es erst einmal soweit gekommen ist, treffen sich meist nur noch die einflussreichen Vertreter beider Seiten hinter geschlossenen Türen. Diese Methode ermöglicht mitunter einen schnelleren Interessensausgleich. Ob man solches Vorgehen allerdings als rechtsstaatliches Verfahren bezeichnen kann, ist eine andere Frage.
Die Rolle des bakufu bei den Mongolen-Invasionen
Aber nun zurück in die Kamakura-Zeit. Im 13. Jahrhundert gewann auf dem eurasischen Kontinent das Mongolische Reich an Macht, und herrschte über ein Gebiet von Osteuropa bis zur koreanischen Halbinsel – mit einer Fläche von ca. 33 Mio. m2 das größte Territorium, das es bis dahin in der Geschichte der Menschheit gegeben hatte, und damit 22% der Fläche der Welt. Das entspricht in etwa dem Herrschaftsgebiet des britischen Imperiums in seiner Blütezeit, das die erste industrielle Revolution der Menschheit ermöglicht hat.
Im Zuge dieses raschen Aufstiegs überfiel der 5. Großkhan Kublai mit einer großen Armee (beim ersten Angriff 1274 30.000-40.000 Mann, beim zweiten Angriff 1281 140000-150.000 Mann), der auch Soldaten aus dem bereits unterworfenen Korea und aus China angehörten, die Hakata-Bucht in Fukuoka, mit dem Ziel, Japan zu besetzen. Die beiden Angriffe werden in Japan als genkō 元寇 (Mongolen-Invasion) bezeichnet.
Genauso wie beim japanisch-russischen Krieg 1904/05 und im Zweiten Weltkrieg stand das Schicksal Japans ernst auf dem Spiel. Da es bis zur Entstehung des Tokugawa-Shōgunats nur wenige Phasen gab, in denen es in Japan starke landesweite Regierungen gab, war es für Japan ein großes Glück, dass sich die erste Staatskrise in der Geschichte des Landes zu einer Zeit ereignete, als das Land geeint war und von einer starken militärischen Regierung geführt wurde.
In den von der kontinentalen Armee besetzten Dörfern wurden die Männer getötet, den Frauen wurde mit einem dicken Nagel ein Loch in den Handrücken geschlagen, durch das ein Seil gezogen wurde. An diesem wurden sie weggeschleppt. Der Feind war nicht nur zahlenmäßig überlegen, sondern hatte auch andere Kampfmethoden. Im damaligen Japan war es Brauch, erst vor den Feind zu treten und laut und stolz seinen Namen zu nennen, bevor man zum Kampf überging. Bei diesem Krieg starben jedoch viele Japaner bereits durch feindlichen Pfeilhagel, bevor sie ihren Namen noch vollständig nennen konnten. Die japanischen Truppen taten sich schwer mit diesem Gegenüber, entgingen jedoch dem Untergang dank eines Taifuns, der die feindliche Flotte vernichtete.
Nach dieser Erfahrung errichtete das Kamakura-bakufu in der Hakata-Bucht eine ca. 2 m hohe und 20 km lange Schutzmauer. Es war ein weiteres Glück für Japan, dass die Mongolen für ihren zweiten Angriff ausgerechnet wieder die nun durch die Mauer geschützte Hakata-Bucht wählten. Ferner zerstörte ein erneuter Taifun wieder die feindliche Flotte. Diese Taifune wurden später Kamikaze (göttlicher Wind) genannt. Wäre der Angriff z.B. in der Wakasa-Bucht erfolgt, die kaum gesichert und nur 80 km von Kyōto entfernt lag, hätte Japans Geschichte danach wahrscheinlich einen völlig anderen Verlauf genommen.
Während der Invasionsversuche der Mongolen war die Macht des Kamakura-bakufu so gewachsen, dass auch die Samurai im 1.000 km entfernten Kyūshū den Befehlen der Militärregierung gehorchten. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte das Kamakura-bakufu bereits ihren Zenit erreicht. Unter dem damaligen Feudalsystem beteiligten sich die Samurai auf eigene Kosten an Kriegen und erhielten als Erfolgshonorar die Länder der besiegten Gegner. Dieses System funktionierte, solange inländische Feinde besiegt wurden. Ein Verteidigungskrieg gegen ausländische Invasoren brachte jedoch keine Länder als Belohnung ein, was das Vertrauen in das bakufu grundlegend erschütterte. Die Kraft des Kamakura-bakufu war aufgebraucht und seine Herrschaft dauerte nur noch weitere 52 Jahre an.
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