Es ist der 12. April 1784, Edo-Zeit: Ein Bauer namens Jinbei ging in Kananosaki auf der Insel Shika (heute Teil der Stadt Fukuoka) seiner täglichen Arbeit nach und reparierte einen Bewässerungsgraben, als er zwischen Felsbrocken, die in einem kastenförmigen Schema angeordnet waren, etwas entdeckte, das das Sonnenlicht reflektierte. Es handelte sich um ein goldenes Siegel, auf dessen Vorderseite eine Schlangenfigur abgebildet war. Die Stempelseite enthielt Schriftzeichen, die von einem „König von Na“ zeugten. Unverzüglich informierte Jinbei die Behörden und übergab seinen Fund dem Kuroda-Clan, der zu dieser Zeit die Verwaltung Fukuokas übernommen hatte. Das Siegel blieb bis 1978 im Besitz der Kurodas, bis es schließlich der Stadt Fukuoka überreicht wurde.
Bis heute steht die Untersuchung des Siegels im Mittelpunkt der japanischen Archäologie, denn obwohl der kleine goldene Stempel die Existenz eines Königs von Na bestätigt, wirft er gleichzeitig viele Fragen auf: Stammt das Siegel wirklich aus der Yayoi-Zeit? Jene Epoche, welche die Metallverarbeitung, den Nassreisanbau und die ersten sozialen Strukturen in Japan hervorbrachte? In welchem Rahmen wurde das Siegel verwendet? Und in welcher Beziehung stand der König von Na zur chinesischen Han-Dynastie?

Es war einmal ein Siegel
Untersuchungen ergaben, dass das Siegel aus ca. 109 Gramm reinem Gold gefertigt wurde. Jede Kante hat eine Länge von ca. 2,35 cm. Während sich auf der Oberfläche eine Schlangenfigur windet, besteht die Unterseite aus einer eingeprägten Inschrift mit den Zeichen 漢委奴國王. Diese werden als Kan-no-Wa-no-Na-no-kokuō gelesen und von Forschenden mit „Der König von Han erkannte den König von Na im Reich von Wa (Japan) an“ übersetzt.
Doch was war Na? Den chinesischen Chroniken der Drei Reiche zufolge war Na einer der vielen Staaten auf der japanischen Insel, die sich gegenseitig bekriegten. Es heißt, dass Na eine Bevölkerung von über 20.000 Haushalten zählte – 50.000 Haushalte weniger als der mächtigste Staat mit dem Namen Yamatai. Heutzutage sind sich die Forschenden einig, dass Na an der Hakata-Bucht im heutigen Fukuoka lag.
Die chinesischen Quellen Hou Hanshu (Schriften der späteren Han), die sich mit der Geschichte des Han-China zwischen 25 n. Chr. und 220 n. Chr. befassen, enthalten Hinweise auf eine politische Verbindung zwischen Na und dem chinesischen Kaiserreich. Sie berichten, dass der Han-Kaiser Guangwu im Jahr 57 n. Chr. einem Abgesandten aus dem Land Na ein goldenes Siegel als Gegenleistung für die Zahlung von Tribut überreicht habe. Na sei offiziell als Vasallenstaat anerkannt worden, was dem Land viele wirtschaftliche und technologische Vorteile verschafft haben dürfte.

Nur Lug und Trug?
Seit der Entdeckung des Siegels 1784 gibt es kritische Stimmen, die das Artefakt für eine Fälschung aus der Edo-Zeit halten. Zum einen wird darüber diskutiert, warum in den chinesischen Schriften das Zeichen 倭 für das Inselreich „Wa“ verwendet wurde, wohingegen das goldene Siegel das Zeichen 委 trägt, das sich „i“ lesen lässt. Während einige Forschenden argumentieren, dass es sich lediglich um eine Abkürzung handle, sehen andere diesen Unterschied als Fehler und entsprechend als Beweis für eine Fälschung an. Eine dritte Partei glaubt sogar, dass das Zeichen 委 nicht für das Inselreich „Wa“, sondern für das Land Ito stehe, welches 委奴国 geschrieben wird. Bekannt ist Ito aus den Wei-Schriften, die es gemeinsam mit der Insel Tsushima als Zwischenstation auf dem Weg zum mächtigen Staat Yamatai beschreiben, welches von der Schamanenkönigin Himiko regiert wurde.
Ein weiteres Argument, das für einige Archäolog:innen gegen die Echtheit des Siegels spricht, ist der Fundort. Viele fragen sich, warum ein so wichtiges Artefakt unter Steinen an einer Küste vergraben wurde, wenn es doch eigentlich in der Nähe einer großen Siedlung viel besser aufgehoben gewesen wäre. Befürworter:innen der Echtheit argumentieren, dass ein politischer Wandel mit neuen Strukturen das Siegel unbrauchbar gemacht haben könnte, woraufhin es andernorts deponiert wurde. Ein anderer Erklärungsansatz lautet, dass das Siegel während turbulenter Auseinandersetzungen aus Sicherheitsgründen auf der Insel Shika versteckt wurde, wo es anschließend in Vergessenheit geriet oder verloren ging.

Das Siegel als Zeitzeuge?
Die Mehrheit der Archäolog:innen glaubt heute jedoch, dass es sich bei dem Siegel tatsächlich um ein Zeugnis aus der Yayoi-Zeit (ca. 300 v. Chr. – 250 n. Chr.) handelt. Dafür sprechen die Maße von 2,35 cm, die einem Zehntel der Han-chinesischen Maßeinheit 1 shaku (23,5 cm) gleichkommen. Auch die Schlangenfigur auf der Oberseite, die einem chinesischen Vorgänger verblüffend ähnlich sieht, deutet auf die Echtheit des Siegels hin. So wurde 1956 bei Ausgrabungen in der chinesischen Provinz Yunnan ein ähnlich verziertes Artefakt aus der Zeit um 100 v. Chr. gefunden, das den Namen „Das goldene Siegel des Königs Tian“ trägt. Bis zur Entdeckung des chinesischen Siegels nach dem Zweiten Weltkrieg war in Japan außer dem Exemplar aus Shika kein weiteres derartiges Fundstück bekannt gewesen. Es ist also sehr unwahrscheinlich, dass die Menschen in der Edo-Zeit eine so exakte Fälschung anfertigten, ohne ein entsprechendes Muster zu besitzen.
Sollte das Siegel tatsächlich aus der Yayoi-Zeit stammen, wäre dieser Fund für die Forschung von immenser Bedeutung. Er verliehe nicht nur chinesischen Quellen wie den Schriften der Han oder der Wei, die über das damalige Japan berichten, mehr Glaubwürdigkeit, sondern bewiese auch den regen kulturellen Kontakt zwischen dem gewaltigen China und dem japanischen Inselreich.
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