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Kyūshoku – Verpflegung an japanischen Schulen

Kei Okishima
Kei Okishima

In Japan wird den täglichen Mahlzeiten große Bedeutung beigemessen, da sie essenziell für die Gesundheit sind. Macht man sich deren Wirkung richtig zunutze, sollen sie den Körper in Balance bringen und fit halten. Dies wird den Kindern auch in der Schule gelehrt: Das steckt hinter "kyūshoku".

Elementary school lunch
Mittagessen an japanischen Grundschulen: ein wichtiger Bestandteil der Schulpädagogik. © iStock / Milatas

Um heranwachsenden Kindern in Grund-, Mittel- und Oberschule ein gesundes Wachstum für Körper und Geist zu ermöglichen, achten die Schulen auf ein Angebot an ausgewogenen und reichhaltigen Mahlzeiten (給食, kyūshoku, „Schulspeisung“). Diese dienen nicht nur dazu, den Hunger zu stillen. Sie sollen bei den Kindern auch ein Bewusstsein dafür schaffen, wie wichtig eine ausgewogene Ernährung ist, um ihnen ein gesundes und geistig erfülltes Leben zu ermöglichen. Für Mahlzeiten an öffentlichen Schulen erhalten die Kommunen staatliche Fördergelder. Meistens teilen sie sich die Kosten mit den Eltern, sodass diese an über 90 % der japanischen Grund- und Mittelschulen angeboten werden können.

Die Geschichte der Schulverpflegung

Als erste Schule soll damit 1889 eine Grundschule in der Präfektur Yamagata begonnen haben, die zuerst Essen an Kinder aus armen Familien verteilte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Schulverpflegung durch die Maßnahme zur „Förderung und Durchführung von Mahlzeiten an Schulen“ 1946 Teil des pädagogischen Konzeptes. 1954 wurde schließlich das „Schulspeisungsgesetz“ als nationale Maßnahme erlassen und umgesetzt.

Damals wie heute wurde vor allem auf eine ausgewogene Ernährung Wert gelegt. Doch nach dem Krieg waren Lebensmittel knapp und daher musste man einen völlig neuen Speiseplan erstellen. Typische Beispiele für diese Zeit sind Walfleisch und Magermilchpulver. Besonders der Konsum von Walfleisch hatte nach dem Krieg landesweit zugenommen, da es kostengünstig war und viele für das Wachstum wichtige Nährstoffe wie Proteine und Eisen enthielt.

Magermilchpulver (Milchpulver, dem Milchfett und Wasser entzogen wurde) wurde zusammen mit anderen Hilfsgütern aus den USA geliefert, da es in Pulverform eine viel höhere Haltbarkeitsdauer hatte und sich somit leichter exportieren ließ. Aufgrund seines insgesamt hohen Nährwertes nahm man es in den schulischen Speiseplan auf.

Schulkinder in Japan
Japanische Schulkinder in den 1950er-Jahren während des Mittagessens. Sie essen koppepan, ein original japanisches Produkt. Das süße Hefebrötchen wird aus Weizenmehl und Magermilchpulver hergestellt und gilt als Hauptgrund für die rasante Ausbreitung von Brot als Grundnahrungsmittel in Japan. © JAPAN SPORT COUNCIL

Weiterentwicklung des Speiseplans

Anfang der 2000er wuchs die Nachfrage nach einer besseren Ernährungsberatung: So begann man die Aufnahme von regionalen Produkten in den Speiseplan aktiv zu fördern. Der Speiseplan wird von einem Ernährungsberater oder -beraterin der Schule ausgearbeitet und abhängig vom Alter der Schulkinder jeden Monat unter Beachtung einer ausgewogenen Nährstoffzufuhr festgelegt. Berücksichtigt werden außerdem eine gute Balance zwischen japanischen, westlichen und chinesischen Zutaten und Kochmethoden, Geschmäcker und die Farbgestaltung der Menüs.

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2008 wurde das Schulspeisungsgesetz grundlegend überarbeitet: Neben dem ursprünglichen Zweck zur Förderung des Angebotes von Mahlzeiten an Schulen wurde zudem die „Förderung der Ernährungserziehung“ neu festgelegt. Die Ernährungserziehung dient dazu, die Heranwachsenden anzuleiten, sich das nötige Wissen zum Thema „Ausgewogene Ernährung“ anzueignen und zu lernen, Nahrungsmittel gezielt auszuwählen, um einen gesunden Lebensstil zu entwickeln.

Darüber hinaus soll durch das Angebot von regionalen Produkten und Festtagsmenüs mehr Interesse und Verständnis für die regionale Kultur und Tradition vermittelt werden, was wiederum einen hohen pädagogischen Wert habe.

Schulessen 1952
Schulmahlzeit aus dem Jahre 1952 (Nachbildung): Zu einem typischen Menü gehörten koppepan, Marmelade, Magermilchpulver, frittiertes Walfleisch und gehackter Weißkohl. © JAPAN SPORT COUNCIL

Im Schichtsystem zur „Mittagessen-Aufsicht“

Die Mittagspause hat zum Ziel, den Kindern durch praktische Tätigkeiten, von der Vorbereitung bis zum abschließenden Aufräumen, wünschenswerte Gewohnheiten und Fertigkeiten rund um das Thema Ernährung zu vermitteln. Häufig wird im Klassenraum zu Mittag gegessen, aber einige Schulen verfügen auch über eine Kantine.

Jede Woche wechseln sich die Schülerinnen und Schüler als sog. „Mittagessen-Aufsicht“ ab. Die Aufsicht ist für die Verteilung des Mittagessens an die ganze Klasse verantwortlich. Abhängig von der Klassengröße sind etwa 6-8 Schülerinnen und Schüler für den Dienst eingeteilt, sodass jede/r etwa einmal pro Monat dran ist.

Nach dem Händewaschen ziehen sich die Kinder einen weißen Kittel an und gehen in die Schulküche, wo bereits Servierwagen für alle Klassen bereitstehen, die mit den Gerichten beladen sind. Die Kinder bringen diese ins eigene Klassenzimmer, anschließend holt sich jedes Kind seine Mahlzeit ab. Die Aufsicht achtet darauf, dass alle ihren Anteil bekommen und nichts übrigbleibt. Zu guter Letzt werden die Bestandteile des jeweiligen Menüs kurz erklärt.

Schulessen 2003
Schulmahlzeit aus dem Jahre 2003 (Nachbildung): Brot aus Reismehl, gebratenes Hühnerfleisch mit Cashewnüssen, kalter Kohlsalat mit Thunfisch, Maissuppe, Milch und eine Mandarine. © JAPAN SPORT COUNCIL

Alltägliche Begriffe mit wichtiger Bedeutung

Nach einem gemeinsamen Itadakimasu („Guten Appetit“) wird gegessen. Itadakimasu bedeutet wörtlich „Ich empfange es“ und betont das Bewusstsein darüber, dass man das Leben eines anderen Lebewesens zu sich nimmt, um sein eigenes zu ernähren. Gleichzeitig lehrt man damit Kinder von klein auf, dass die Verschwendung von Essen auch die Verschwendung von Leben bedeute.

Lehrerinnen und Lehrer vermitteln grundlegende Manieren, die richtige Haltung beim Essen sowie den Umgang mit Geschirr und Essstäbchen, sodass die Kinder lernen, wie sie Lebensmittel und Nährstoffe am besten zu sich nehmen sollen. Am Ende der Mahlzeit heißt es Gochisōsama und es wird gemeinsam aufgeräumt. Dieses Wort drückt die Dankbarkeit für die Speisen aus, vom mühevollen Sammeln, Aufziehen und Verarbeiten der Zutaten bis zur fertigen Mahlzeit.

Kittel
Die Kittel der wöchentlich wechselnden "Mittagessen-Aufsicht" hängen im Klassenzimmer. © Photo AC / まっきぃぃ

Übrigens muss die Mittagessen-Aufsicht ihren jeweiligen weißen Kittel am Ende der Woche mitnehmen und zu Hause selbst waschen, um ihn am folgenden Schultag sauber der nächsten Aufsicht zu übergeben.

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Ernährungsbewusstsein im Alltag schaffen

Die Ernährungserziehung gilt als wichtige Komponente des japanischen Lehrplans und wird daher von Anfang an nicht nur als Teil der Mittagspause, sondern auch des Unterrichts in allen Fächern sowie außerschulischen Aktivitäten vorangetrieben.

So lernen Grundschüler der 1. Klasse die richtige Haltung und Verwendung von Essstäbchen während des Unterrichts, damit sie das Gelernte in der Mittagspause praktisch umsetzen können. Im naturwissenschaftlichen Unterricht in der 3. Klasse lernen sie den Aufbau von Pflanzen, beispielsweise wie sie die einzelnen Bestandteile des Gemüses auf ihren Tellern erkennen und unterscheiden können. 

In der 5. Klasse geht es im Rahmen des Hauswirtschaftsunterrichts um ausgewogene Ernährung, während beim Mittagessen das Verständnis über Grundnahrungsmittel, Hauptgerichte und Beilagen als Bestandteile des Speiseplans vertieft wird. In der Mittelschule geht es weiterhin um die Herkunft einzelner Lebensmittel, und somit die Position Japans in der Welt und die Auswirkungen der Globalisierung auf die Essgewohnheiten. So lernen die Schülerinnen und Schüler, dass unser aller Alltag eng mit anderen Regionen und Ländern verbunden ist.


Dieser Artikel erschien in gekürzter Form in der Juli-Ausgabe des JAPANDIGEST 2021. Er wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.

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