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Yanaka, Sugamo, Asakusa: Tōkyōs quirlige Shitamachi-Viertel

Matthias Reich
Matthias Reich

Jahrhunderte alte Traditionsviertel reihen sich neben kunstvollen Bauwerken der technologisierten Moderne – Tōkyōs faszinierendes Erbe alter Zeiten und innovativer Zukunftsideen sind oft nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Heute zieht es uns in die quirligen Viertel der Hauptstadt, den shitamachi.

Yanaka
In den Straßen des Viertels Yanaka wird man in ein ruhiges Tōkyō vergangener Zeiten versetzt.

Die Hauptstadt Japans wird mit vielen Dingen assoziiert – mit übervollen Bahnen und unzähligen Brücken und Tunneln als Ausdruck eines gewaltigen Molochs mit mehr als 37 Millionen Menschen, die in der gesamten Metropolregion leben. Eine moderne, hocheffiziente Stadt ohne viel Grün, die den Großteil ihrer Geschichte einbüßte, da sie gleich zwei Mal (durch das Kantō-Erdbeben 1923 und den Zweiten Weltkrieg) im vergangenen Jahrhundert nahezu vollständig dem Erdboden gleichgemacht wurde.

Einige Reiseführer empfehlen, sich Tōkyō erst einmal per günstiger Rundfahrt mit der Yamanote-Ringlinie anzusehen. Doch der dadurch entstehende Eindruck trügt, denn Tōkyō kann nicht nur kosmopolitisch. Man braucht sich in der Stadt oftmals nur 100 Meter von einer der großen Straßen zu entfernen, um sich plötzlich in einer anderen Welt wiederzufinden. Mitten in einem Dorf zum Beispiel, vor einem kleinen, uralten Schrein, einer Gasse mit Geschäften, die seit Jahrzehnten unverändert sind oder einem öffentlichen Bad, in dem man sich vom Stress der Großstadt erholen kann.

Facetten einer Mega-City

Erstaunlich viel ist in Tōkyō erhalten geblieben, trotz verheerendem Erdbeben und Krieg. Zahlreiche alte Stadtviertel haben ihren Charakter bewahren können: Dort, wo vor Jahrhunderten hauptsächlich Bücher verkauft wurden, werden auch heute noch welche angeboten. Dort, wo früher die besten und feinsten Stoffe gehandelt wurden, werden diese noch heute genäht und gehandelt. Gold und Kochutensilien werden im selben Viertel vertrieben wie noch in der Edo-Zeit vor über 300 Jahren. Die berühmten matsuri-Festivals werden immer noch dort gefeiert, wo sie einst gefeiert wurden – auf unveränderte Art und Weise.

Tōkyō ist nicht gleich Tōkyō. Es gibt die moderne, glitzernde Hauptstadt, doch überall lugt auch das Tōkyō vergangener Zeiten hervor. Man muss es nur suchen, und man muss natürlich wissen, wo – schließlich war die heutige Millionenstadt früher wesentlich kleiner.

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Tōkyōs shitamachi-Viertel

Wer das wahre japanische Leben schnuppern möchte, begibt sich am besten in das shitamachi einer Stadt. Bis ins 19. Jahrhundert hinein stand in vielen Städten eine Burg im Zentrum – die unterhalb dieser Burg gelegenen Viertel shitamachi („Unterstadt“) genannt, waren für das „gemeine Volk“ vorgesehen. Obwohl sich die Mehrheit der Häuser seither verändert haben, sind die Grundzüge oftmals erhalten geblieben. Tōkyō, beziehungsweise das alte Edo, hatte bereits im 18. Jahrhundert rund eine Million Einwohner, und eine dementsprechend große Unterstadt, die sich hauptsächlich nördlich des Kaiserpalastes, rund um die damals noch existierende Burg Edo, erstreckte.

Yanaka: Zeitreise ins Tōkyō der Nachkriegszeit

Rund fünf Kilometer nördlich des Kaiserpalastes und in Laufweite des Bahnhofs Ueno liegen die Stadtviertel Yanaka und Nezu, in denen auf Schritt und Tritt Überraschungen warten. Die Gegend ist erstaunlich hügelig: Es gibt zahlreiche steile Treppen, sehr enge Gassen und einen wunderschönen, fotogenen Schrein, den Nezu-Schrein. Richtig aufregend wird es in der Yanaka Ginza, der Haupteinkaufsstraße des Viertels. Als Ginza kennt man die international bekannte, lange und sehr teure Shoppingmeile von Tōkyō, doch der Begriff wird auch allgemein für Einkaufsstraßen verwendet.

Die Yanaka Ginza besticht durch ihre viele kleinen Geschäfte und Restaurants – die meisten unprätentiös und kaum verändert seit der Nachkriegszeit. Hier können Besucher noch etwas Luft der Shōwa-Ära schnuppern, benannt nach dem Kaiser, der von 1926 bis 1989 auf dem Chrysanthementhron saß. Mit „Shōwa“ assoziiert man in Japan im Übrigen hauptsächlich die 1950er bis 1980er Jahre, also die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Nähe von Yanaka laden für alle, die genug vom Einkaufsbummel haben, einige sehenswerte Museen zum Schwelgen ein.

Yanaka
In den Straßen des Viertels Yanaka wird man in ein ruhiges Tōkyō vergangener Zeiten versetzt.

Sugamo: Unterstadt mit Herz und Flair

Während die jungen Menschen in Scharen in das trendige Harajuku und Shibuya pilgern, um den neuesten Modetrends zu folgen, gilt Sugamo am nördlichen Scheitelpunkt der Yamanote-Linie als das „Harajuku der Großmütter“. Schuld daran ist wohl der legendäre Togenuki Jizō, eine buddhistische Statue in einem Tempel, dem Togenuki Jizō Kōganji, mitten in Sugamo. Dieser werden Heilkräfte nachgesagt – wäscht man sie an der Stelle, an der es einem selbst gebricht, dann soll sich der eigene Zustand bald bessern. Das zieht natürlich vor allem die betagtere Kundschaft an, die mit Eifer die Statue waschen. Doch Vorsicht ist geboten: Bei dem Ritual ist man natürlich gänzlich den neugierigen Blicken des wartenden Publikums ausgesetzt!

In der nach der Statue benannten Jizō-dōri, einer lebhaften und charmanten Einkaufsstraße, kann sich der Besucher an zahllosen kulinarischen Köstlichkeiten laben und zusehen, wie japanische Seniorinnen knallrote Unterwäsche kaufen. Warum ausgerechnet rot? Die Farbe symbolisiert Glück und Langlebigkeit, weshalb sie besonders bei der älteren Bevölkerung beliebt ist. Und wie auch in Yanaka werden viele dieser Geschäfte schon seit Generationen mit viel Herzblut geführt.

Sugamo
Eingang zur Jizō-dōri-Einkaufsstraße im quirligen Viertel Sugamo.

Asakusa: Traditionsreiches Tempelviertel

Das quirligste traditionelle Stadtviertel Tōkyōs findet der Reisende in Asakusa, mit der großen Tempelanlage im Mittelpunkt, die zwar mit den gleichen Schriftzeichen wie „Asakusa“ geschrieben wird, jedoch „Sensō“ gelesen wird. Wer hier das Donnertor mit seiner gewaltigen Laterne im Torbogen passiert, wird umgehend in eine alte und fast vergessene Welt teleportiert. Die Nakamise-dōri, die Straße zwischen dem Tor und der Haupthalle des Sensōji-Tempels, präsentiert sich seit Jahrhunderten in ihrer ursprünglichen Pracht. Unzählige kleine Läden reihen sich hier aneinander, in denen man nach Souvenirs und vielen traditionellen Leckerbissen jagen kann. Wer hier kein passendes Mitbringsel findet, sucht nicht wirklich nach einem.

Je näher man der Haupthalle kommt, desto eindringlicher wird ein ungewohnter, aber wohliger Geruch, denn vor dem Tempel werden tagtäglich hunderte japanische Räucherstäbchen als Opfergabe verbrannt. Doch man sollte es nicht auf einen Spaziergang auf der Nakamise belassen, denn es gibt in den Straßen von Asakusa noch viel mehr zu entdecken.

Erfahren Sie hier mehr über Asakusa:

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Nakamise Sensoji
Die belebte Nakamise-Einkaufsstraße, die zum berühmten Sensōji-Tempel in Asakusa führt.

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Dieser Artikel erschien in der JAPANDIGEST September 2022-Printausgabe und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet. 

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