Beginn einer andauernden Freundschaft: Kriegsgefangene in Bandō

Sina Arauner
Sina Arauner

Die zur Meiji-Restauration aufgeblühten deutsch-japanischen Beziehungen kühlten bis zum Ersten Weltkrieg drastisch ab. Umso überraschender ist es, dass ein japanisches Lager mit deutschen Kriegsgefangenen in Bandō, Tokushima, einen bis heute andauernden deutsch-japanischen Austausch hervorbrachte.

Lagerkommandant Matsue
Lagerkommandant Matsue gewährte den Häftlingen viele Freiheiten. ©ドイツ日本研究所所蔵 DIJ:H57-03

Seit 2007 besteht ein Freundschaftsvertrag zwischen der Präfektur Tokushima auf Shikoku und Niedersachsen. Der Ursprung dieser freund­schaftlichen Bande ist ein ungewöhnlicher: Im heutigen Naruto waren zwischen April 1917 und Dezember 1919 rund 1.000 deutsche Kriegsgefangene inhaftiert.

Blick auf das Kriegsgefangenenlager durch das Eingangstor.
Blick auf das Kriegsgefangenenlager durch das Eingangstor. ©ドイツ日本研究所所蔵 DIJ:H57-01

Im November 1914 besiegten die japani­schen und britischen Truppen nach langer Belagerung Qīngdǎo (damals Tsingtau), das unter deutscher Kontrolle gestanden hatte. Nach der deutschen Kapitulation wurden knapp 4.600 deutsche Soldaten als Kriegsgefangene nach Japan gebracht. Die Unterbringung der Häftlinge erfolg­te zunächst provisorisch in öffentlichen Einrichtungen und Tempeln – dem Geist der Samurai entspringend war in Japan zu dieser Zeit der Gedanke verbreitet, dass Suizid der Schmach einer Niederlage und der konsequenten Gefangenschaft vorzu­ziehen war. Erst nach und nach wurden in Süd- und Zentraljapan einige Gefange­nenlager errichtet, etwa im Frühling 1917 besagtes Lager in Bandō.

Kultur und Handwerk im „Musterlager“

Bis heute ist Bandō unter den japanischen Kriegsgefangenenlagern einzigartig. Das Leben in Gefangenschaft im Land eines Kriegsgegners mag zwar kaum vorstellbar sein, doch zeigen zahlreiche Aufzeichnun­gen, dass den Gefangenen in Bandō viele Freiheiten und eine humane Behandlung durch die Lagerleitung zuteil wurden.

Die Ausstellung für Kunst und Handfertigkeit lockte viele Besucher.
Die Ausstellung für Kunst und Handfertigkeit lockte viele Besucher.

Nach Errichtung des Lagers übernahm der Oberstleutnant Matsue Toyohisa (1872- 1955) das Kommando. Er führte das Lager liberal und humanitär. Er vertrat die An­sicht, dass die Gefangenen keine Verbre­cher waren, sondern Patrioten, die für ihr Land kämpften und den entsprechenden Respekt verdienten. Er empfand den Un­terlegenen gegenüber Empathie und setzte sich für deren gute Behandlung ein.

Ich möchte die Kriegsgefangenen mit der Güte und Barmherzigkeit eines Samurai behandln.
Matsue Toyohisa

Die Freiheiten, die Matsue den Gefange­nen gewährte, führten zu regen kulturellen und handwerklichen Aktivitäten. So war es den Häftlingen gestattet, Geschäfte und Gastronomien zu betreiben, gesund­heitliche und kosmetische Dienstleistun­gen anzubieten sowie handwerkliche und unterhaltende Tätigkeiten auszuüben und sogar eine eigene Lagerzeitung zu publi­zieren. Die Gefangenen finanzierten sich durch bezahlte Arbeit und Geldsendungen aus der Heimat, was schließlich auch zur landwirtschaftlichen und sportlichen Nut­zung eines Pachtgebietes in der Umgebung führte.

Austausch und Zusammenarbeit: Der Kontakt mit der lokalen Bevölkerung

Für die Verteidigung Qīngdǎos waren alle wehrfähigen Deutschen, die sich zu der Zeit in China oder Japan aufhielten, einbe­rufen worden. Dementsprechend groß war das Interesse und Wissen über Ostasien und Japan unter den Gefangenen. Schon bald entstand ein reger Austausch mit der lokalen Bevölkerung. Auch die japanische Regierung förderte diesen und wies die Gefangenen an, spezielles technisches, wissenschaftliches oder handwerkliches Wissen mit den japanischen Mitbürgern zu teilen.

Gefangene posieren bei einem Ausflug an den Strand.
Gefangene posieren bei einem Ausflug an den Strand. ©ドイツ日本研究所所蔵 DIJ:H57-09

So wurden die Gefangenen nicht nur als Arbeitskräfte, sondern auch als Lehrer beschäftigt. Durch Unterricht, Ausflüge sowie Theater- und Musikvorstellungen vor japanischem Publikum entwickelte sich das Lager zu einem Ort des kultu­rellen Austauschs. Ein Höhepunkt dieses war die „Ausstellung für Kunst und Hand­fertigkeit“, die im März 1918 zehn Tage lang stattfand. Die Häftlinge zeigten und verkauften über 400 eigens produzierte Werke, die das Interesse der japanischen Gemeinde weckten: Insgesamt besuchten 50.095 Gäste die Ausstellung.

Stimmungsumschwung

1918 kühlte die Atmosphäre im Lager drastisch ab. Der Ausbruch der Spani­schen Grippe in Südostasien sowie die sich verschlechternde Kriegssituation des Deutschen Reichs drückten die Stim­mung zusehends. Zu dieser Zeit kam es zum ersten aufgezeichneten gewalttätigen Zwischenfall mit Häftlingen. Die Aussicht auf die Rückkehr in ein kapituliertes, vom Krieg gebeutelten Deutschland nahm den Häftlingen jede Hoffnung. Auch die wö­chentlich erscheinende Lagerzeitung „Die Baracke“ sollte nach Bekanntwerden der Niederlage Deutschlands nicht mehr he­rausgegeben werden. Lagerkommandant Matsue nahm die niedergeschlagene Stim­mung wahr. In einem Gespräch mit dem Redakteur der Lagerzeitung überzeugte er diesen jedoch, dass gerade jetzt die He­rausgabe der Zeitung nicht unterbrochen werden dürfte. Die Soldaten müssten die neue Realität akzeptieren und den Blick nach vorne richten.

Mit der Unterzeichnung des Friedensver­trags von Versailles am 28. Juni 1919 ende­te der Erste Weltkrieg und offiziell die Ge­fangenschaft in Bandō. Matsue sprach den deutschen Soldaten sein herzliches Beileid zur Kriegsniederlage aus und wünschte ihnen die Kraft, ihre zerstörte Heimat wieder aufzubauen. Vorbereitungen für die Heimkehr dauerten bis Dezember 1919 an und zum Abschied lud die lokale Bevölke­rung zum gemeinsamen Abendessen ein. Der Abmarsch erfolgte am 25. Dezember 1919, unter teils tränenreicher Verabschie­dung durch die japanische Gemeinde.

Ab heute sind sie keine Feinde mehr. Sie sind freie Männer.
Matsue Toyohisa

Das Erbe Bandōs

Zwar wurde der deutsche Gedenkstein für im Krieg gefallene Soldaten nach Kriegs­ende von der japanischen Bevölkerung über die Jahre in Stand gehalten, doch mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs rückte der einst rege Austausch sowie das Lager in den Hintergrund. Erst nach Kriegsen­de entdeckte die Anwohnerin Takahashi Harue bei der Suche nach Brennholz zu­fällig den Gedenkstein und nahm dessen Pflege wieder auf. In den 1960er Jahren drangen Medienberichte über Takaha-shis Gedenksteinpflege bis zum deutschen Botschafter und Generalkonsul in Kōbe, die daraufhin Naruto besuchten. So blüh­te der Kontakt zwischen der japanischen Gemeinde und den ehemaligen Häftlin­gen wieder auf. Aus Spenden der einstigen Lagerhäftlinge wurde 1972 das Deutsche Haus in Naruto errichtet, das der Zeit der Gefangenschaft und dem deutsch-japani­schen Austausch gedenkt. Seit 1974 sind Naruto und das niedersächsische Lüne­burg Partnerstädte und der Austausch zwi­schen den Ländern ist rege wie eh und je.

Das Gelände des Gefangenenlagers in der Übersicht.
Das Gelände des Gefangenenlagers in der Übersicht. © ドイツ日本研究所所蔵 DIJ:D1

Das Erbe des aufblühenden kulturellen Austauschs erschallt noch 100 Jahre spä­ter: Seit der Erstaufführung der vollständi­gen Neunten Sinfonie von Beethoven am 1. Juni 1918 durch das Orchester und den Chor des Gefangenenlagers, trägt diese in Japan eine ganz besondere Bedeutung. Sie wird regelmäßig zu Jubiläen und insbeson­dere an Neujahrskonzerten in ganz Japan aufgeführt.


Dieser Text erschien in der Juli 2018-Ausgabe des JAPANDIGEST und wurde für die Veröffentlichung auf der Webseite nachbearbeitet.

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