Yabusame ist eine traditionsreiche japanische Reitkunst, die Geschicklichkeit, Konzentration und spirituelle Tiefe vereint. Diese beeindruckende Disziplin des berittenen Bogenschießens wurde bereits in der Nihon Shoki, einer der ältesten Chroniken Japans aus dem Jahr 720, erwähnt. Der Ursprung des Yabusame soll auf Kaiser Kinmei (539-571) zurückgehen, der während eines Festspiels einen Reiter anwies, einen besonderen Pfeil, den yabasame, abzufeuern.
Seine Blüte als rituelle Praxis und Wettkampfkunst entfaltete Yabusame in der Heian-Zeit (794-1185). Es entwickelte sich zu einem festen Bestandteil höfischer Veranstaltungen, bei denen Adlige ihr Können im Bogenschießen unter Beweis stellen konnten. Kaiser Uda (867-931) beauftragte Minamoto no Yoshiari mit der Kodifizierung der Regeln und der Etikette dieser Kunst. In den folgenden Generationen spielte insbesondere der Minamoto-Clan eine tragende Rolle bei der Bewahrung und Weiterentwicklung dieser Tradition.
Mit dem Aufstieg der Kriegerelite wurde Yabusame zunehmend als Übung in die militärische Ausbildung integriert. Besonders während der Kamakura-Zeit (1185-1333) erlangte es große Bedeutung, da es die Fähigkeit schulte, Pfeile präzise abzufeuern – eine essenzielle Fertigkeit für den Kampf zu Pferd. Während der turbulenten Sengoku-Zeit (1467-1603), in der sich die Kampftechniken wandelten und Feuerwaffen an Bedeutung gewannen, verlor Yabusame jedoch seinen militärischen Nutzen und geriet zunehmend in Vergessenheit. Erst in der Edo-Zeit (1603-1868) ließ der achte Shōgun Tokugawa Yoshimune (1684-1751) diese alte Tradition wieder aufleben, indem er sie nicht nur als Kampfkunst, sondern auch als beeindruckendes Schauereignis für das Volk förderte. Die Kunstform wurde erneut zu einem wichtigen Bestandteil religiöser Feste und ritueller Zeremonien.

Yabusame heute
Heute existieren zwei große Schulen des Yabusame: die Ogasawara- und die Takeda-Schule. Beide bewahren die dentō bunka (traditionelle Kultur) Japans und geben ihr Wissen über Generationen hinweg weiter. Neben diesen großen Schulen haben sich in jüngerer Zeit auch kleinere, regionale Vereine gebildet, die regelmäßige Wettkämpfe veranstalten.
Ein Yabusame-Wettkampf folgt einer genau festgelegten Abfolge von Ritualen, die tief in der Tradition verwurzelt sind. Die Zeremonie beginnt mit dem shutsujin, bei dem die Reiter, ite genannt, unter dem rhythmischen Klang von Trommelschlägen feierlich das Feld betreten. Anschließend begeben sie sich zur Huldigungshalle, wo sie den Göttern einen heiligen Pfeil, den kaburaya, darbringen. Dieser Pfeil ist mit einer speziellen pfeifenden Spitze versehen, deren Klang die Aufmerksamkeit der Götter auf die Zeremonie lenken soll. Daraufhin wird die Bogensehne dreimal gezupft und zum Klingen gebracht. Diese Praktik geht auf eine Begebenheit aus dem 11. Jahrhundert zurück, als Minamoto no Yoshiie den kranken Kaiser heilte, indem er dreimal an seiner Bogensehne zupfte. Man glaubte, dass dieses Geräusch böse Geister vertreibe und positive Energie freisetze.

Im nächsten Schritt wird ein Reiter bestimmt, der das gogyō no jōhō ausführt – ein Ritual, bei dem er dreimal nach links und zweimal nach rechts im Kreis reitet, anschließend in der Mitte Halt macht, seinen Bogen spannt und einen Pfeil in den Himmel schießt. Es dient als Gebet für Frieden, eine reiche Ernte und die Gesundheit aller Anwesenden. Erst nach Abschluss dieser zeremoniellen Handlungen ziehen die ite in einer feierlichen Prozession zur Wettkampfbahn, wo schließlich das eigentliche Spektakel beginnt.

Die Wettkämpfe finden auf einer etwa 220 Meter langen Bahn statt – einer Distanz, die bereits seit der Kamakura-Zeit beibehalten wird. Die Reiter müssen im vollen Galopp mit einem traditionellen japanischen Langbogen (yumi) drei hölzerne Ziele (mato) treffen, die entlang der Strecke in gleichmäßigen Abständen aufgestellt sind. Jeder abgeschossene Pfeil steht für ein Gebet. Neben der Treffsicherheit wird auch die Haltung und Eleganz des Reiters bewertet. Am Ende des Wettkampfs versammeln sich die Teilnehmenden erneut für eine abschließende Zeremonie, in der die Götter für ihren Beistand geehrt und die besten Schützen ausgezeichnet werden.
Die Beherrschung dieser Kunst erfordert jahrelanges, strenges Training. Die ite müssen den tachisukashi-Reitstil perfektionieren – eine anspruchsvolle Technik, bei der sie nicht direkt im Sattel sitzen, sondern auf den Steigbügeln stehen. Dabei halten sie stets einen Abstand von etwa einem Blatt Papier zwischen sich und dem Sattel. Diese Haltung ermöglicht eine stabile Körperführung, minimiert Erschütterungen durch das Pferd und erlaubt präzisere Schüsse.

Eine lebendige Tradition
Obwohl sich Japan mit rasender Geschwindigkeit modernisiert hat, bleibt Yabusame ein lebendiges Erbe, das tief mit der Geschichte und Spiritualität des Landes verwoben ist. Es vereint Kunstfertigkeit, Disziplin und Glauben in einer atemberaubenden Darbietung, die Jahrhunderte überdauert hat. Wer einmal das donnernde Hufgetrappel der galoppierenden Pferde hört, den Klang der pfeifenden Pfeile und das tosende Jubeln der Zuschauer erlebt, der versteht, warum diese uralte Kunstform bis heute fasziniert.
Festivals & Wettkämpfe
Im ganzen Land finden Yabusame-Festivals statt. Hier eine kleine Auswahl:
Name | Datum | Ort |
Tsuwano Yabusame Festival | Erster Sonntag im April | Washibara Hachimangu-Schrein (Tsuwano, Präfektur Shimane) |
Meiji-Jingū Yabusame | Anfang November | Meiji-Schrein (Tōkyō, Präfektur Tōkyō) |
Asakusa Yabusame | Mitte April | Asakusa-Schrein/Sumida Park (Tōkyō, Präfektur Tōkyō) |
Koyama Yabusame Festival | Dritter Sonntag im Oktober | Shijukusho-Schrein (Kimotsuki, Präfektur Kagoshima) |
Sakura Yabusame (nur weibliche Schützen nehmen teil) | Mitte April | Towada City Central Park (Towada, Präfektur Aomori) |
Mishima Taisha Reisai Festival | Mitte August | Mishima Taisha-Schrein (Mishima, Präfektur Shizuoka) |
Samukawa Yabusame Shinji | Mitte September | Samukawa-Schrein (Samukawa, Präfektur Kanagawa) |
Tsurugaoka Hachimangu Reitaisai | Dritter Sonntag im April | Tsurugaoka Hachiman-Schrein (Kamakura, Präfektur Kanagawa) |
Izumo Iwai Yabusame Festival | 3. November | Izumo Iwai-Schrein (Moroyama, Präfektur Saitama) |
Yabusame Shinji | 3. Mai | Shimogamo-Schrein (Kyōto, Präfektur Kyōto) |
Dieser Artikel erschien in gekürzter Form in der JAPANDIGEST April 2025-Printausgabe und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.
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