Yabusame: Die Kunst des berittenen Bogenschießens

Maria-Laura Brandmann
Maria-Laura Brandmann

Präzision, Spiritualität und Ästhetik – die japanische Yabusame-Kunst des berittenen Bogenschießens fesselt Menschen seit Jahrhunderten. Doch es ist weit mehr als ein bloßer Wettkampf: Es ist ein lebendiges Ritual, in dem Geschichte, Glaube und Kunstfertigkeit auf dem Rücken donnernder Pferde zu einer eindrucksvollen Einheit verschmelzen.

Yabusame
Yabusame ist das traditionelle japanische Bogenschießen zu Pferd. Diese Bogenschützin demonstriert ihre Fähigkeiten während eines Yabusame-Festivals am Meiji-Schrein in Tōkyō. © iStock.com / YiHsuan Wong

Yabusame ist eine traditionsreiche japanische Reitkunst, die Geschicklichkeit, Konzentration und spirituelle Tiefe vereint. Diese beeindruckende Disziplin des berittenen Bogenschießens wurde bereits in der Nihon Shoki, einer der ältesten Chroniken Japans aus dem Jahr 720, erwähnt. Der Ursprung des Yabusame soll auf Kaiser Kinmei (539-571) zurückgehen, der während eines Festspiels einen Reiter anwies, einen besonderen Pfeil, den yabasame, abzufeuern.

Seine Blüte als rituelle Praxis und Wettkampfkunst entfaltete Yabusame in der Heian-Zeit (794-1185). Es entwickelte sich zu einem festen Bestandteil höfischer Veranstaltungen, bei denen Adlige ihr Können im Bogenschießen unter Beweis stellen konnten. Kaiser Uda (867-931) beauftragte Minamoto no Yoshiari mit der Kodifizierung der Regeln und der Etikette dieser Kunst. In den folgenden Generationen spielte insbesondere der Minamoto-Clan eine tragende Rolle bei der Bewahrung und Weiterentwicklung dieser Tradition.

Mit dem Aufstieg der Kriegerelite wurde Yabusame zunehmend als Übung in die militärische Ausbildung integriert. Besonders während der Kamakura-Zeit (1185-1333) erlangte es große Bedeutung, da es die Fähigkeit schulte, Pfeile präzise abzufeuern – eine essenzielle Fertigkeit für den Kampf zu Pferd. Während der turbulenten Sengoku-Zeit (1467-1603), in der sich die Kampftechniken wandelten und Feuerwaffen an Bedeutung gewannen, verlor Yabusame jedoch seinen militärischen Nutzen und geriet zunehmend in Vergessenheit. Erst in der Edo-Zeit (1603-1868) ließ der achte Shōgun Tokugawa Yoshimune (1684-1751) diese alte Tradition wieder aufleben, indem er sie nicht nur als Kampfkunst, sondern auch als beeindruckendes Schauereignis für das Volk förderte. Die Kunstform wurde erneut zu einem wichtigen Bestandteil religiöser Feste und ritueller Zeremonien.

Diese emaki-Bildrolle aus der Edo-Zeit zeigt Bogenschützen im Yabusame-Montur.
Diese emaki-Bildrolle aus der Edo-Zeit zeigt Bogenschützen im Yabusame-Montur.

Yabusame heute

Heute existieren zwei große Schulen des Yabusame: die Ogasawara- und die Takeda-Schule. Beide bewahren die dentō bunka (traditionelle Kultur) Japans und geben ihr Wissen über Generationen hinweg weiter. Neben diesen großen Schulen haben sich in jüngerer Zeit auch kleinere, regionale Vereine gebildet, die regelmäßige Wettkämpfe veranstalten.

Ein Yabusame-Wettkampf folgt einer genau festgelegten Abfolge von Ritualen, die tief in der Tradition verwurzelt sind. Die Zeremonie beginnt mit dem shutsujin, bei dem die Reiter, ite genannt, unter dem rhythmischen Klang von Trommelschlägen feierlich das Feld betreten. Anschließend begeben sie sich zur Huldigungshalle, wo sie den Göttern einen heiligen Pfeil, den kaburaya, darbringen. Dieser Pfeil ist mit einer speziellen pfeifenden Spitze versehen, deren Klang die Aufmerksamkeit der Götter auf die Zeremonie lenken soll. Daraufhin wird die Bogensehne dreimal gezupft und zum Klingen gebracht. Diese Praktik geht auf eine Begebenheit aus dem 11. Jahrhundert zurück, als Minamoto no Yoshiie den kranken Kaiser heilte, indem er dreimal an seiner Bogensehne zupfte. Man glaubte, dass dieses Geräusch böse Geister vertreibe und positive Energie freisetze.

Prozession der Reiter vor dem Wettkampf.
Prozession der Reiter vor dem Wettkampf. © robertharding / Alamy Stock Photo

Im nächsten Schritt wird ein Reiter bestimmt, der das gogyō no jōhō ausführt – ein Ritual, bei dem er dreimal nach links und zweimal nach rechts im Kreis reitet, anschließend in der Mitte Halt macht, seinen Bogen spannt und einen Pfeil in den Himmel schießt. Es dient als Gebet für Frieden, eine reiche Ernte und die Gesundheit aller Anwesenden. Erst nach Abschluss dieser zeremoniellen Handlungen ziehen die ite in einer feierlichen Prozession zur Wettkampfbahn, wo schließlich das eigentliche Spektakel beginnt.

© Robert Gilhooly / Alamy Stock Photo

Die Wettkämpfe finden auf einer etwa 220 Meter langen Bahn statt – einer Distanz, die bereits seit der Kamakura-Zeit beibehalten wird. Die Reiter müssen im vollen Galopp mit einem traditionellen japanischen Langbogen (yumi) drei hölzerne Ziele (mato) treffen, die entlang der Strecke in gleichmäßigen Abständen aufgestellt sind. Jeder abgeschossene Pfeil steht für ein Gebet. Neben der Treffsicherheit wird auch die Haltung und Eleganz des Reiters bewertet. Am Ende des Wettkampfs versammeln sich die Teilnehmenden erneut für eine abschließende Zeremonie, in der die Götter für ihren Beistand geehrt und die besten Schützen ausgezeichnet werden.

Die Beherrschung dieser Kunst erfordert jahrelanges, strenges Training. Die ite müssen den tachisukashi-Reitstil perfektionieren – eine anspruchsvolle Technik, bei der sie nicht direkt im Sattel sitzen, sondern auf den Steigbügeln stehen. Dabei halten sie stets einen Abstand von etwa einem Blatt Papier zwischen sich und dem Sattel. Diese Haltung ermöglicht eine stabile Körperführung, minimiert Erschütterungen durch das Pferd und erlaubt präzisere Schüsse.

Die mato genannten Zielscheiben werden nach dem Wettkampf von den Offiziellen weggetragen
Die mato genannten Zielscheiben werden nach dem Wettkampf von den Offiziellen weggetragen (hier während des Yabusame-Festivals am Tsurugaoka Hachiman-Schrein in Kamakura). © SOPA Images Limited / Alamy Stock Photo

Eine lebendige Tradition

Obwohl sich Japan mit rasender Geschwindigkeit modernisiert hat, bleibt Yabusame ein lebendiges Erbe, das tief mit der Geschichte und Spiritualität des Landes verwoben ist. Es vereint Kunstfertigkeit, Disziplin und Glauben in einer atemberaubenden Darbietung, die Jahrhunderte überdauert hat. Wer einmal das donnernde Hufgetrappel der galoppierenden Pferde hört, den Klang der pfeifenden Pfeile und das tosende Jubeln der Zuschauer erlebt, der versteht, warum diese uralte Kunstform bis heute fasziniert.

Festivals & Wettkämpfe

Im ganzen Land finden Yabusame-Festivals statt. Hier eine kleine Auswahl: 

NameDatumOrt
Tsuwano Yabusame FestivalErster Sonntag im AprilWashibara Hachimangu-Schrein (Tsuwano, Präfektur Shimane)
Meiji-Jingū YabusameAnfang NovemberMeiji-Schrein (Tōkyō, Präfektur Tōkyō)
Asakusa YabusameMitte AprilAsakusa-Schrein/Sumida Park (Tōkyō, Präfektur Tōkyō)
Koyama Yabusame FestivalDritter Sonntag im OktoberShijukusho-Schrein (Kimotsuki, Präfektur Kagoshima)
Sakura Yabusame (nur weibliche Schützen nehmen teil)Mitte AprilTowada City Central Park (Towada, Präfektur Aomori)
Mishima Taisha Reisai FestivalMitte AugustMishima Taisha-Schrein (Mishima, Präfektur Shizuoka)
Samukawa Yabusame ShinjiMitte SeptemberSamukawa-Schrein (Samukawa, Präfektur Kanagawa)
Tsurugaoka Hachimangu ReitaisaiDritter Sonntag im AprilTsurugaoka Hachiman-Schrein (Kamakura, Präfektur Kanagawa)
Izumo Iwai Yabusame Festival3. NovemberIzumo Iwai-Schrein (Moroyama, Präfektur Saitama)
Yabusame Shinji3. Mai Shimogamo-Schrein (Kyōto, Präfektur Kyōto)

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Dieser Artikel erschien in gekürzter Form in der JAPANDIGEST April 2025-Printausgabe und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.

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