Japanischer Humor früher und heute

Aya Puster
Aya Puster

Jedes Land hat seinen ganz eigenen Humor, welcher nicht unbedingt immer von Außenstehenden verstanden wird. Worüber amüsieren sich Japaner – ob nun vor vielen Jahrhunderten oder heute?

Wann, glauben Sie, entstand die erste lustige Geschichte in Japan? Das war vielleicht die folgende Erzählung aus dem Buch Kojiki (712 n. Chr.): Als sich die Sonnengöttin Amaterasu, verärgert über ihren rabiaten Bruder Susano-o, hinter einem riesigen Felsen versteckte und so die Welt in völliger Finsternis hinterließ, wandten die anderen Götter eine List an. Sie ließen eine Göttin spärlich bekleidet auf einer Bühne tanzen und jubelten laut, um die Neugier der Sonnengöttin zu wecken. Tatsächlich wunderte sich diese, wie man ohne sie so fröhlich sein konnte, und schaute durch eine Felsspalte nach draußen. Das Sonnenlicht strahlte dabei in die Dunkelheit. Sofort schob ein starker Gott den Felsen zur Seite, um Amaterasu aus dem Versteck zu ziehen. So kehrte die Sonne in die Welt zurück und alle Götter lachten lautstark, diesmal aus purer Freude.

Amaterasu
© Kanako Amano

Seither wird bei manchen shintōistischen Festen viel gelacht, wie z.B. beim Ohoho Matsuri (Hahaha-Fest), welches im Mai im Atsuta-Schrein in Nagoya stattfindet. Als im 7. Jahrhundert das gestohlene Schwert Kusanagi, eines der drei Throninsignien, zum Atsuta-Schrein zurückgebracht wurde, sollen die Menschen vor Freude laut gelacht haben. Heute lachen für das Volk knapp 20 Shintō-Priester in weißen Gewändern in der Nacht des Festtags.

Die Tanzszene aus der Amaterasu-Legende spiegelt auch die natürliche, fast kindliche Bejahung der damaligen Japaner zum Leben und auch zur Sexualität wider. Um für eine gute Ernte zu beten, trägt man bei manchen shintōistischen Ritualen riesige Phalli bzw. Brüste als Symbole der Fruchtbarkeit öffentlich im Prozessionszug, wie z.B. beim Hōnen Matsuri in der Präfektur Aichi und dem Oppai Matsuri in Hikari (Präfektur Yamaguchi). Auch hier wird viel gelacht und nirgendwo ist Scham oder Perversion zu sehen. 

Hōnen Matsuri (Prozession mit Riesen-Penis)
Hōnen Matsuri in der Präfektur Aichi. © Aichi Prefecture

Wohl aus dieser Tradition heraus entstanden bereits im Mittelalter sogenannte waraie, „Bilder zum Lachen“. Diesen ebenfalls nicht jugendfreien Bildern wurde eine gewisse Magie zugesprochen und sie galten als Glücksbringer oder Neujahrsgeschenke, welche dann im Familien- oder Freundeskreis von beiden Geschlechtern offen belacht wurden. Die Samurai-Krieger trugen solche waraie als Amulette, wenn sie in die Schlacht ziehen mussten.

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Tatsächlich konnten ebendiese Samurai auch über sich selbst lachen. Der deutsche Ostasienkenner und Diplomat Max von Brandt berichtete über einen Reitunfall 1861, bei welchem einer seiner Samurai-Wächter gegen Jauche-Fässer stieß und mit deren Inhalt überschüttet wurde: 

Samurai
© Kanako Amano

Entdeckt man auch heute noch solch kindliche Fröhlichkeit in Japan? Ja, z.B. beim rakugo, jenen lustigen Monologen, die von einem auf einem Kissen sitzenden Künstler im Kimono vorgetragen werden, der komische Begebenheiten des Alltags gekonnt zu erzählen weiß. 

Rakugo
© Kanako Amano

Viele erinnern sich sicher noch an die rigorosen Spiele aus „Takeshi‘s Castle“, welches erstmals 1986 in Japan ausgestrahlt wurde und heute Kultstatus erreicht hat. Der im März 2020 an COVID-19 verstorbene Komiker Shimura Ken, der in vielen Ländern Ostasiens beliebt war, verkörperte mehr als 30 Jahre lang die Figur Bakatono („dummer Fürst“), der mit seinen unbekümmerten, teils derben Dummheiten seine Samurai-Untertanen in den Wahnsinn trieb.

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Ununterbrochen seit der Edo-Zeit existiert die komische Dichtkunst senryū, welche wie Haiku aus 5-7-5 Moren besteht und lustige Momente aus dem Alltagsleben wiedergibt, z.B. die salaryman-senryū („Gedichte der Angestellten“): 

Heutzutage findet man in den sozialen Netzwerken humoristische Phänomene mit Hashtags, bei denen Nutzer lustige Kurztexte zu einem bestimmten Thema schreiben. Als zum Beispiel der japanische Film „Shin Godzilla“ 2016 seine Premiere feierte, twitterte das Elektrounternehmen Sharp, dass sein Hauptbüro soeben von Godzilla zerstört worden sei. Daraufhin berichtete jemand in Kyōto, dass Godzilla aus Respekt vor den historischen Gebäuden Kyōto verschonte und gleich zur nächsten Stadt durchmarschiert sei. 


#akachan sōdanshitsu

Im Frühjahr 2020 florierte der Hashtag #akachan sōdanshitsu. Es handelte sich hierbei um eine Art Kundenberatung für Babys, bei welcher professionell formulierte Antworten auf vermeintliche Fragen von Babys erdacht wurden:

F: Meine Mutter ist verschwunden und ich bin gerade von einer fremden Frau in den Kinderwagen gelegt worden. Werde ich entführt? (Frau, 6 Monate alt) 

A: Die fremde Frau ist Ihre Mutter, die sich nur zum Ausgehen geschminkt hat. 

F: Tagsüber vermisse ich mein warmes, weiches Bettchen. Wo ist es? Ich brauche es auch für meinen Mittagsschlaf. (Mann, 4 Monate alt) 

A: Bei Ihrem Bettchen handelt es sich um den Bauch Ihres Vaters. Dieser wird tagsüber von einer Firma geleast. Sie bekommen es abends wieder.


Pärchen mit Smartphones
© Kanako Amano

Können Sie über solche japanischen Witze lachen? Wenn nicht, ist das auch nicht schlimm. Vor 120 Jahren schrieb der deutsche Metallurg Curt Netto (in den 1870ern von der japanischen Regierung zum Professor berufen) mit seinem Freund Gottfried Wagener (der als „Vater der Chemie Japans“ gilt) das Buch „Japanischer Humor“ (1901) und merkte im Vorwort an, dass „es keine kleine Zumutung für den Leser ist, über Witze lachen zu sollen, die zu ihrem Verständnis einer Erklärung bedürfen“. 


Dieser Artikel erschien in der Oktober-Ausgabe des JAPANDIGEST 2020 und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.

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