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Anti-Regierungsproteste: Abe Shinzō im Visier von Demonstranten

Christiane Süßel
Christiane Süßel

Japans Premierminister Abe Shinzō regiert für japanische Verhältnisse vergleichsweise lang. Seiner Agenda hat er mit Abenomics einen griffigen Namen verpasst. Doch immer mehr Menschen zieht es für Proteste gegen seine Reformen auf die Straße, darunter auch zahlreiche Schüler und Studenten.

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Zunächst richtet sich die Anti-Atom-Bewegung gegen Abe: Hier ein Aufkleber auf einer Parkbank in Tōkyō mit der Aufschrift: "Premier Abe tötet mit der Atomkraft Kinder" (Gembatsu de kodomo wo korosu Abe sōri). (c) Christiane Süßel 2013

Abe Shinzōs 安部晋三 erste Amtszeit als Premierminister liegt schon mehr als zehn Jahre zurück. Von September 2006 bis September 2007 regierte er als jüngster Amtsinhaber zum ersten Mal. 2012 kam er als Premier ins Amt zurück und führt das Land seither ununterbrochen an, inzwischen in seiner dritten Amtszeit und dank des Koalitionspartners Kōmeitō 公明党 mit einer komfortablen Mehrheit im Ober- wie im Unterhaus.

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Abe im Wahlkampf 2013: Schon bald nach seiner Wiederwahl formiert sich gegen seine Reformen Protest. (c) CC 3.0 Ogiyoshisan

Wofür Abe einsteht, machte der LDP-Politiker schon früh klar. Kurz vor seiner ersten Amtszeit veröffentlichte er sein Buch Utsukushi Kuni e 美しい国へ. Darin skizziert er seine künftige Agenda. Kernforderung der rechtskonservativen Marschroute: Japan muss eine neue militärische Rolle in der Welt einnehmen. Die Friedensverfassung, die mit Artikel Neun kriegerische Aktivitäten verneint und die Rolle der Selbstverteidigungskräfte Jieitai 自衛隊 sehr eng fasst, nimmt er ins Visier. Um in Schulen den Patriotismus zu fördern, fordert er zudem eine Erziehungsreform.

„Japan zurückholen?“

Als er im Dezember 2012 mit dem Wahlspruch Nihon wo torimodosu 日本を取り戻す (Japan zurückholen) abermals Premier wird, setzt er sich trotz der Atomkatastrophe und der aufkeimenden Anti-Atom-Proteste im Land für die Wiederinbetriebnahme alter und den Bau neuer Atommeiler ein. Die Anti-AKW-Demonstrationen richten sich fortan auch gegen ihn. Seine politische Agenda fasst er derweil unter dem Begriff Abenomics zusammen. Mit seinen drei Pfeilen will er Japan umkrempeln. Pfeil eins zielt auf eine lockere Geldpolitik, Pfeil zwei auf eine neue Fiskalpolitik und Pfeil drei auf Strukturreformen. Doch weitaus umstrittener als seine Wirtschaftspolitik sind seine politischen Reformen.

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Shinzou Abe wirbt im Wahlkampf 2013 mit dem Slogan "Japan zurückholen" (Nihon wo torimodosu). Copyright: Christiane Süßel 2013

Geheimhaltungs-, Sicherheits- und Verschwörungsgesetze im Visier

Von Tumulten im Parlament begleitet, beschließt die Abe-Regierung im Oktober 2013 das sogenannte „Geheimhaltungsgesetz“ (Tokutei Himitsu no Hogo ni kansuru Hōritsu 特定秘密の保護に関する法律). Bei Verbreitung von Staatsgeheimnissen drohen nun Haftstrafen von bis zu zehn Jahren. Die Opposition und Kritiker prangern an, das neue Gesetz sei ein tiefer Einschnitt in die Pressefreiheit.

Massenproteste formieren sich auf Tōkyōs Straßen. Im Sommer und Herbst 2015 peitscht die Regierung Abe dann die Reform der Sicherheitsgesetze (Anzen Hoshō Hōsei 安全保障法制) durchs Parlament. Sowohl das Ober- als auch das Unterhaus billigen trotz lautstarker Proteste Abes Neuinterpretation des Verfassungsartikels Neun. Abes neue Gesetze ermöglichen die Entsendung der japanischen Selbstverteidigungstruppen in Kriegsgebiete, wo sie erstmals auch aktiv in Kriegshandlungen eingreifen und ihren Koalitionspartnern bewaffneten Beistand leisten dürfen.

Das Vorgehen ist in der breiten Bevölkerung unbeliebt. Laut einer Umfrage der Tageszeitung Asahi Shimbun lehnen 55 Prozent der Bevölkerung Abes Gesetze ab. Parallel sinken auch Abes Popularitätswerte. Abermals gehen 10.000 Demonstranten im ganzen Land gegen die Aushöhlung des Artikels Neuns auf die Straße. Ihr Vorwurf: Abes Gesetze schaffen den Friedensgedanken der Verfassung ab. Sie skandieren sensō hōan hantai 戦争法案反対 (Widerstand gegen die Kriegsgesetze) und fordern lautstark, Abe solle das Gesetz zurückziehen (haian 廃案) und die Verfassung bewahren (kempō mamore 憲法守れ).

Protest Sicherheitsverstrag USA-Japan
In den 1960ern erlebte Japan Massendemonstrationen gegen den Sicherheitsvertrag mit den USA. Es gingen damals vor allem radikale Studenten auf die Straßen. (c) Wikipedia Commons

Eine weitere Protestwelle formiert sich im Juni 2017, als das Parlament das Verschwörungsgesetz (kyōbōzai 共謀罪) verabschiedet. Es soll vor dem Hintergrund der Olympischen Spiele 2020 die Terrorgefahr reduzieren und ermöglicht Ermittlern einen ausgeweiteten Zugriff auf Telefonate und Internetchats. Kritiker wie auch Edward Snowden sehen das Gesetz als Versuch, die Privatsphäre einzuschränken und Japan zu einem Überwachungsstaat zu machen. Im Sommer 2017 skandieren die Demonstranten 安部は辞めろ (Abe, tritt zurück!). Auf Plakaten trägt der Premier einen Hitlerbart und wird als Faschist tituliert.

Japans Jugend politisiert

Neu an den Protesten ist nicht nur die große Anzahl der Demonstranten. In der Tat haben seit den 1960er Jahren in Japan nicht mehr so viele Menschen auf den Straßen lautstark ihren Unmut formuliert. Damals protestierten in erster Linie radikale Studenten gegen den US-amerikanisch-japanischen Sicherheitsvertrag (kurz: Ampo jōyaku 安保条約). Neu ist, dass sich nun auch Schüler und Studenten politisch einbringen. Sie marschieren Schulter an Schulter mit Mitgliedern der Oppositionsparteien und Gewerkschaften. Die Jugendlichen haben sich unter dem Dach der Students Emergency Action for Liberal Democracy (kurz: SEALD) formiert. „Sealds hat viele Bevölkerungsgruppen – nicht nur Jugendliche – dazu bewegt, sich zu politisieren. Seit den Massenprotesten der 1960er Jahren waren Demonstranten stets als Extremisten, als Sozialisten und Kommunisten verschrien. Dank der nun breiten Mobilisierung ist es nicht mehr länger verpönt, sich politisch zu engagieren. Sealds hat Proteste ein Stück weit gesellschaftsfähiger gemacht“, ordnet Dr. Alexandra Sakaki, Japan-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, ein.

[Video] Wogegen demonstriert Sealds? (Auf Japanisch)

Anti-Abe und pro Demokratie

„Derzeit verlaufen die Proteste eher in Wellen und richten sich gegen bestimmte Gesetzesvorschläge und Entscheidungen. Die Frage stellt sich, ob sich in Japan – beginnend mit den Protesten gegen die Atomkraft im Nachgang zu der Dreifachkatastrophe – derzeit ein neues politisches Engagement entwickelt, das sich auch verfestigt“, stellt Sakaki zur Diskussion. Wie schon die Proteste gegen den Sicherheitsvertrag mit den USA in den 1960er Jahren machten sich die aktuellen Demonstrationen sowohl an sicherheitspolitischen Themen aber auch an Fragen der Demokratie fest. „Sie sind sowohl Anti-Abe als auch pro Demokratie“, so Sakaki. Im Fokus des Unmutes stehe, dass Abe aufgrund von Machtarroganz demokratische Prozesse unterlaufe und durch die Neuinterpretation von Artikel Neun irgendwann auch einen neuen Verfassungstext durchpeitschen könne.

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Die Anti-Abe-Proteste bringen breite Bevölkerungsteile auf die Straßen. Unter dem Dach der SEALD (Student Emergency Action for Liberal Democracy) protestieren auch Schüler und Studenten. (c) CC 4.0 Oren Rozen

Sind die Demonstrationen eine Gefahr für Abe?

Generell spielen in der japanischen Politik die Zustimmungswerte für das Kabinett eine große Rolle. „In der jüngsten Zeit sind Abes Popularitätswerte gesunken. Ihm wird eine gewisse Machtarroganz vorgeworfen und selbst aufgedeckte Skandale von Vetternwirtschaft lassen ihn vermeintlich unbeeindruckt“, so Sakaki. Und weiter: „Es ist schwer auseinander zu halten, ob tatsächlich die Proteste oder vielmehr seine sinkenden Zustimmungswerte ihm letztendlich gefährlich werden.“ Die Japan-Expertin: „Wichtig für das Überleben von Abe ist, ob sich eine Koalition anderer Parteien oder auch innerhalb der LDP gegen ihn formiert. So lange es keine klaren politischen Alternativen zu Abe gibt, genießt er weiterhin den Amtsvorteil und kann die Schwäche der Opposition für sich nutzen.“

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