TOKYO INK

Die Maschen der Host Clubs: Vom Prinzessinnen-Dasein zur Prostitution | Teil 1

Nils Gärtner
Nils Gärtner

Japan bietet bekanntermaßen eine Vielfalt an nächtlichen Entertainmentmöglichkeiten. Einen für Europäer eher befremdlichen Auswuchs dessen, stellt die Host- und Hostessen-Industrie dar. In unserem Artikel beleuchten wir die Schattenseiten der nach außen hin glitzernden Spaßwelt.

Kabuki-cho

Spätestens mit dem Wiederaufbau und der dazu einhergehenden Verstädterung, hat sich Tōkyō zu einer Stadt der Superlative entwickelt. Ähnlich zu vielen Metropolen dieser Welt, kann man auch hier fast alles Erdenkliche käuflich erwerben. Dazu gehört seit mehr als 50 Jahren auch die abendliche Gesellschaft junger, gutaussehender Männer, die mit Charme und Charisma ihre Kundschaft betören.

Im Tōkyō der 1960er Jahre erschuf sich der erste hosuto kurabu (Host Club) Japans eine eigene Nische, mit dem Ziel, Frauen der gehobenen Schicht zu unterhalten. Viele dieser Frauen wurden von ihren vielbeschäftigten Ehemännern vernachlässigt und sehnten sich nach Unterhaltung und zwischenmenschlicher Nähe. Zunächst blieben die Etablissements Insidern vorbehalten, aber als im Laufe der Jahre die Nachfrage und damit auch die Zahl der Host Clubs allmählich zunahm, geriet die Szene immer mehr ins Auge der Öffentlichkeit.

Während ihrer Anfangsjahre tabuisiert und verpönt, gehören die Geschäfte mittlerweile zum festen Bestandteil des Tōkyōter Nachtlebens. Allein im Rotlichtviertel der Stadt, Kabuki-chō, gibt es heute über 200 Host Clubs, die mehr als 5.000 Hosts beschäftigen.

Glanz und Glamour

Vornehme Zurückhaltung sucht man in diesen Clubs vergeblich: Bereits vorne an den Gebäuden, die die Geschäfte beherbergen, prangern meterhohe Plakate mit Glamourshots der aktuell bestverdienenden und damit auch beliebtesten Hosts, welche die Gäste mit verträumt-lasziven Blicken von den Vorteilen des Lokals überzeugen sollen.

Ferner ist es gewöhnlich, dass die Neuanfänger-Hosts vor den Geschäften und im Umfeld auf Kundenakquise gehen und Frauen ansprechen, um diese in ihren Club zu locken. Auf den im direkten Gespräch vermittelten Charme der Hosts und die versprochenen Sonderpreise für einen Erstbesuch, gehen immer wieder genug Menschen ein.

Neuerdings kam noch eine weitere beliebte Form der Kundenwerbung hinzu: Host Club Bustouren. Hier kann man sich u.a. bei Busreiseunternehmen wie der Hato Bus Company Einführungstouren in die Welt der Host Clubs buchen. Für rund 10.000 Yen (ca. 80 Euro) kann man so einen ganzen Abend mit den sympathischen Hosts, auf einer kurzen Busreise durch Tōkyō mit anschließendem Besuch des Clubs, verbringen. Ein vorangehendes Essen ist natürlich inklusive – wenn auch ohne alkoholische Getränke, diese sollen schließlich im Club erworben werden.

Beim Betreten eines Host Clubs, fällt sofort das glamouröse Innendekor auf, welches den draußen plakatierten Hosts in Punkto Aussehen in nichts nachsteht. Ebenso wie die oft sonnenbankgebräunten, in gediegenen Anzügen oder Street-Wear gekleideten, Luxusuhr-tragenden und gebleicht-blondierten Hosts, strotzen die Etablissements nur so von Kitsch, Glanz und Oberflächlichkeit. Die trotz bunter Leuchten im Zwielicht gehaltenen Clubs weisen die wahrscheinlich höchste Kronleuchterdichte der Stadt auf und die Wände und Decken sind häufig mit Spiegeln versehen.

Die Strategie der Host Clubs

All diese Aufmachungen dienen einem Zweck: Eine Traumwelt aufzubauen, in der die Kundin im Mittelpunkt steht. Schließlich sollen die Matronen sich wie Prinzessinnen fühlen und tatsächlich werden sie auch so von den Hosts betitelt. Da die Anonymität der Kundschaft gewährleistet werden soll, ist es den Hosts vielerorts verboten, die Vornamen der Frauen auszusprechen.

Einen guten Host machen auch seine Fähigkeiten im Smalltalk aus. Mit einer passenden Anekdote oder einem schmeichelndem Kompliment, kommt keine Langeweile oder peinliche Stille auf. So übernehmen die Hosts auch stets die Rolle des perfekten Gentlemans, welcher jederzeit ein Feuer für Zigaretten, warme Handtücher für Toilettenbesuche und ein offenes Ohr für seine Prinzessin bereithält.

Ist man zum ersten Mal im Club, stellen sich die Hosts nacheinander in kurzen Gesprächen vor, sodass man nach ein paar Stunden bereits eine gewisse Auswahl kennen gelernt hat. Auf diese Weise können sich die Frauen schließlich für einen Host entscheiden und ihn mit der Option des sogenannten botterukīpu (bottle keep) reservieren. Der Ausdruck kommt ursprünglich aus japanischen Kneipen, in welchen man eine angefangene Flasche Alkohol für den nächsten Besuch zurückstellen lassen kann – ein ähnliches Prinzip trifft auch auf die Hosts zu. Viele der Host Clubs haben dabei eine „Ein-Host-Politik“, sodass, hat man sich einmal für einen Host entschieden, ein Wechsel zu einem anderen innerhalb des Clubs nicht mehr möglich ist.

Das Geschäft mit intimer Kundenbindung

Diese Strategie soll für eine höhere Kundenbindung an den Host sorgen und die Frauen dazu bringen eine intimere Beziehung zu ihm aufzubauen. Der Wortwitz, das adrette Auftreten und die Aufmerksamkeit, mit denen die Hosts ihre Kundinnen umgarnen, können durchaus zu einer psychischen Abhängigkeit führen, aus der manche Frauen nur schwer entkommen.

Haben sie einmal eine solche Beziehung zu ihrem Host aufgebaut, sind zahlreiche Matronen geradezu versessen darauf, diesem exorbitante Mengen an Geld zukommen zu lassen, um ihn als Vielverdiener-Champion des Clubs zu sehen. Damit eine richtige Wettbewerbsatmosphäre aufkommt, führen die Clubs monatliche Ranglisten – je größer die Umsätze des Hosts, desto größer sein vor dem Geschäft angebrachtes Plakat und desto enormer das gefühlte Prestige für dessen Matronen, mit ihm die Zeit im Club verbringen zu dürfen.

Teure Drinks sind die Haupteinnahmequellen

Viele ihrer Einnahmen beziehen die Hosts aus dem indirekten Verkauf von Getränken und Leistungen im Club. Sie fordern die Frauen nie direkt auf, etwas zu kaufen, müssen aber nach 30 bis 45 Minuten „woanders hin“, wenn ihre Gäste keine neuen Drinks bestellen. Die Preise der Getränke können dabei je nach Location, Host und bestelltem Drink abweichen und liegen bei etwa 5.000 Yen (ca. 40 €) und aufwärts. Weiterhin sind alkoholisierte Gäste hemmungsloser und lassen sich leichter dazu überreden noch mehr überteuerten Alkohol zu bestellen.

Zum Alltag der Host Clubs gehört so u.a. ein sogenannter shanpan kōru (Champagner Call), bei welchem sich ein paar Hosts um die Bestellerin sammeln, mit ihr anstoßen und eine kleine Tanzeinlage aufführen. Die minimalste Version einer solchen Order kostet in der Regel mehr als 40.000 Yen (ca. 300 €). Bestellt man eine Flasche Dom Perignon Rose schlägt dies mit rund 250.000 Yen (ca. 1.900 €) zu Buche, ein Dom Perignon Gold verlangt das Vierfache dessen. Die noch teurere Variante des shanpan kōru ist der shanpan tawā (Champagner-Turm), bestehend aus zu einer Pyramide gestapelten Sektgläsern; in das oberste Glas wird Champagner geschenkt und fließt wie ein Wasserfall in die unteren Gläser hinab. Ein Host berichtete in einem Interview mit der South China Morning Post sogar stolz, dass eine Kundin an seinem Geburtstag für einen solchen Turm ganze vier Millionen Yen (ca. 31.000 €) ausgab.

Kommentare

TOKYO INK

Diese Woche meistgelesen

Top Stories

Autoren gesucht

Lesen Sie hier, wie Sie Teil unseres Teams werden!