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Murakami Harukis Erzählungen: Schattenlos in der Großstadt

Hannah Janz
Hannah Janz

Murakami Haruki, geboren 1949, zurzeit vermutlich weltweit der bekannteste japanische Schriftsteller.

Murakami
Cover des Buches „Von Beruf Schriftsteller“, erschienen beim Dumont-Verlag. © Dumont

Bereits mehrfach wurde Murakami Haruki als Träger des Literatur-Nobelpreises gehandelt – hatte bisher aber kein Glück. Seine Werke sind in über 40 Sprachen übersetzt. Murakami veröffentlicht seit 1979 Romane, Erzählungen und Kurzgeschichten. Dokumentarisch-journalistisch beschäftigte er sich mit dem Erdbeben von Kōbe von 1995 und dem Sarin-Anschlag auf die U-Bahn in Tōkyō 1996. Außerdem ist er selbst als Übersetzer tätig und übertrug beispielsweise Raymond Carver, Truman Capote und John Irving ins Japanische.

Murakamis neuester Roman wurde durch seinen japanischen Verlag Shinchōsha für 2017 angekündigt (JAPANDIGEST berichtete) und erschien im Februar 2017 unter dem Titel Kishidanchō Goroshi (Mord am Kommandeur). Der englische Titel lautet Killing Commendatore (JAPANDIGEST berichtete).

Vom Versuch der Tiefe

Seine Prosa spielt zumeist im Japan der Gegenwart und im Setting von Großstädten. Die Hauptfiguren empfinden – unabhängig von ihren jeweiligen Lebensverläufen – häufig Einsamkeit und Haltlosigkeit und sind auf der Suche nach Menschen, durch die sie Ergänzung und Erfüllung erfahren können.

Zudem halten oftmals surreale Momente Einzug – beispielsweise schwebende Gärten, die Fähigkeit, mit Katzen zu sprechen, oder der Verlust des eigenen Schattens.

Murakami
Murakami 2012, damals bereits für den Literatur-Nobelpreis gehandelt. © Jordi Bedmar/EPA/Corbis

Murakamis schmaler Grat zwischen Welt- und Nationalliteratur

Während diese surrealen Momente in der westlichen Berichterstattung über Murakami einerseits als „magischer Realismus“ verortet werden – eigentlich eine Bezeichnung, die hauptsächlich für Texte aus Südamerika verwendet wird, in denen Realität und Fantasie miteinander verwoben sind – findet sich andererseits auch oft der Vorwurf, Murakamis Geschichten wären nicht spezifisch japanisch genug und könnten überall spielen.

Murakamis Werke beinhalten oft popkulturelle Referenzen, insbesondere auf Musik. So ist der Roman Noruwei no Mori nach dem Beatles-Song Norwegian Wood benannt (in Deutschland erschienen als Naokos Lächeln). Auch Jazz spielt in Murakamis Texten eine große Rolle – von 1972 bis 1977 führte Murakami in Tōkyō selbst eine Jazzbar mit Namen mit Peter Cat. Japan Digest hat Murakamis Jazz-Leidenschaft einen Artikel zur Szene in der Hauptstadt gewidmet.

Wurde von den eigentlich expressionistischen Texten des Literaturnobelpreisträgers Kawabata Yasunari in der Übersetzung noch behauptet, diese seien ähnlich der japanischen Gedicht-Tradition Haiku verfasst, bieten Murakamis Settings wenig Projektionsfläche für westliche Fantasien des Japanischen: Murakamis interkulturelle Verweise und der generische Charakter der Großstädte als charakterlose, unbeschriebene Beton-und-Glas-Kulissen sind Ausdruck einer globalisierten Kultur.

Murakamis “Gefährliche Geliebte”: Wenn Reich-Ranicki explodiert

Im deutschsprachigen Raum hatte Murakamis Roman Gefährliche Geliebte (wörtlich: „Südlich der Grenze, westlich der Sonne“) eine ganz eigene Wirkung: Über den Meinungen zur sprachlichen Ausgestaltung der Sexszenen überwarfen sich im Jahr 2000 Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler vom Literarischen Quartett.


Video: Das Literarische Quartett zerstreitet sich im Jahr 2000 wegen der aus dem Englischen angefertigten Übersetzung von Murakamis Gefährliche Geliebte.

Wie sich später herausstellte, entsprach die heiß diskutierte Stelle nicht ganz dem japanischen Original, da die deutsche Übersetzung aus der amerikanischen angefertigt worden war. 2013 übersetzte Ursula Gräfe den Text neu aus dem Japanischen. Dieser erschien unter dem japanischen Titel Südlich der Grenze, westlich der Sonne.

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