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Buchrezension: „Räume des Lichts“ von Tsushima Yūko

Manuel Piwko
Manuel Piwko

Der von den Herausforderungen einer alleinerziehenden Mutter im Japan der 1970er erzählende Roman „Räume des Lichts“ erschien erstmals 1991 auf Deutsch, damals noch unter dem Titel „Lichtkreise“. Nachdem Tsushima Yūko nun international wiederentdeckt wurde, ist er in neuer Übersetzung erschienen.

Roman "Räume des Lichts" von Tsushima Yuko zwischen Töpfen mit Pflanzen
© Manuel Piwko

Der Roman „Räume des Lichts“ porträtiert ein Jahr im Leben einer namenlosen, jungen Mutter im Japan der späten 70er Jahre. Die Geschichte ist in zwölf Kapitel unterteilt, jedes davon repräsentiert einen Monat des Trennungsjahres von ihrem Ex-Mann. Diese Struktur ist begründet auf der ursprünglichen Veröffentlichung der Geschichte als zwölfteilige Serie in einem japanischen Magazin 1979.

Nach der Trennung von ihrem Ehemann versucht die Mutter, ein eigenständiges Leben aufzubauen und muss sich einer Vielzahl an Schwierigkeiten stellen: angefangen bei der Wohnungssuche, bei der sie sich argwöhnischen Blicken, Zweifeln und entmutigenden Vorurteilen stellen muss. Doch selbst als sie eine Wohnung findet, balanciert sie zwischen den Verpflichtungen als Mutter, Arbeitnehmerin und Noch-Ehefrau.

Ehrlich und ungeschönt

Die zweijährige Tochter benötigt die volle Aufmerksamkeit, es gibt Streit mit dem Vermieter, der Chef duldet keine Fehltritte wie Zuspätkommen oder zusätzliche Krankheitstage und der in Trennung lebende Ehemann stellt Forderungen, ohne selbst eine finanzielle Unterstützung erbringen zu können. „Räume des Lichts“ gibt einen ehrlichen und intimen Einblick in die Bemühungen, diese Aufgaben erfüllen zu können, zeigt aber auch immer wieder nachvollziehbare, kurzweilige Momente der Resignation, in denen die Mutter die Bürde der Mehrfachbelastung nicht mehr zu ertragen vermag. Sie schreit ihre Tochter bei einem Ausflug in den Park an, weil sie die Nerven verliert oder verlässt nachts die Wohnung, um in einer Bar Zuflucht zu finden. Sie sehnt sich nach Zeit für sich, aber auch nach körperlicher Nähe und Berührungen, sucht den Kontakt mit anderen und verliert sich in Träumereien. Doch obwohl sie sich allein fühlt, werden ihre verzweifelten Ausbrüche aus der Verantwortung genauestens beobachtet und kommentiert – letztendlich bleibt das Schamgefühl, nie genug zu sein. Die ungeschönten, eindringlichen und punktuellen Schilderungen sind auch über vierzig Jahre nach der Erstveröffentlichung erschreckend nachvollziehbar.

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Verbesserung der Neuauflage

Die Neuauflage von „Räume des Lichts“ beinhaltet ein aufschlussreiches und erklärendes Nachwort der Übersetzerin Nora Bierich, da die Lebensgeschichte der Autorin Tsushima Yūko in Japan bekannter ist als hierzulande. Damit ermöglicht sie den deutschen Leser:innen eine Einordnung der Geschehnisse im Buch, da sie auch persönliche Erlebnisse in ihrem Werk verarbeitet hat. So wird es beispielsweise nachvollziehbarer, warum der Tod ein wiederkehrendes Thema ist, wie z. B. in intensiven Traumsequenzen. Damit verarbeitete die Autorin die eigenen, schwierigen Lebensumstände und persönliche erschütternde Erlebnisse.

Fazit

Tsushima hat mit „Räume des Lichts“ ein zeitloses Werk geschaffen. Sie gewährt einen intimen Einblick in das Leben einer alleinerziehenden Mutter, aber auch einer Frau, die sich nach Selbstbestimmtheit sehnt und immer wieder die Flucht aus dem Alltag sucht. Mit knapp 200 Seiten ist es ein kurzes Buch, aufgrund der Thematik allerdings eines, welches den Leserinnen und Lesern noch lange im Gedächtnis bleibt und zum Nachdenken anregt.

Buchcover "Räume des Lichts" von Tsushima Yuko

Originaltitel: Hikari no ryōbun

Aus dem Japanischen von Nora Bierich

208 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag

Erscheinungsdatum: 16.03.2023

Arche Literatur Verlag AG


Die Autorin

Tsushima Yūko wurde 1947 in Mitaka (Präfektur Tōkyō) geboren und war eine der bedeutendsten japanischen Autorinnen ihrer Generation. Sie verfasste diverse Erzählungen und 17 Romane, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde. Sie war außerdem die Tochter des bekannten japanischen Schriftstellers Dazai Osamu, dessen Werke, aber auch sein Privatleben, für große Aufmerksamkeit sorgten. Er beging Suizid, als sie erst ein Jahr alt war – und prägte damit bereits in jungen Jahren ihr Leben und später auch ihre Werke. „Räume des Lichts“ ist ein typisches Beispiel für ihre stark autobiografisch beeinflussten Erzählungen. Der Roman handelt vom Aufwachsen ohne Vater, dem Leben als alleinerziehende Mutter und dem Tod des eigenen Kindes, den auch Tsushima verkraften musste, deren Sohn im Alter von acht Jahren starb. Sie starb 2016 in Tōkyō.

Autorin Tsushima Yuko (Schwarz-Weiß-Aufnahme)
Die Autorin Tsushima Yūko. © WENFA CHEN

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