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Rezension: „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ von Murakami Haruki

Manuel Piwko
Manuel Piwko

Pünktlich zum 75. Geburtstag des japanischen Autors Murakami Haruki erschien am 12. Januar 2024 sein neuer Roman „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ auf Deutsch. Ob sich die geheimnisvolle Geschichte, die an eine seiner frühen Erzählungen anknüpft, als literarisches Geschenk erweist, erfahren Sie in unserer Rezension.

© Piwko

Murakami Harukis neuester Roman erzählt zunächst die Geschichte eines namenlosen Jugendlichen, der auf der Suche nach dem wahren Ich seiner großen Liebe in eine geheimnisvolle Stadt reist. In diese Stadt, die fernab unserer Realität zu existieren scheint, kommt nur, wer seinen Schatten ablegt – ein Tribut, den er nur schweren Herzens zahlt, in der Hoffnung, endlich mit dem Mädchen vereint zu sein, das er liebt. In der Stadt angekommen, erkennt er, dass alles seinen Platz und jeder eine Aufgabe zu erfüllen hat. Seine ist es, in der geheimnisvollen Bibliothek zu arbeiten, um Träume zu lesen. Dort trifft er auf das Mädchen, das ihn jedoch nicht wiedererkennt.

Erinnerungen an die „Welt außerhalb der Mauern“ existieren nicht in der Stadt, die ihre eigenen Regeln hat. Unter rätselhaften Umständen verlässt der Mann die Stadt und kehrt zurück in die Welt jenseits der Mauern. Die Erinnerungen an das Erlebte und vor allem an seine große Liebe lassen ihn jedoch nicht los und verändern sein Leben. „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ ist in drei Teile gegliedert, um einen klaren Rahmen zu schaffen und damit die Erlebnisse des namenlosen Ich-Erzählers selbst zu ummauern.

Zurück zu den Wurzeln

„Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ ist das wohl längste Buchprojekt von Murakami Haruki. Erstmals erschien die Geschichte 1980 als (wie er selbst im Nachwort beschreibt) „längere Kurzgeschichte“ in der Literaturzeitschrift Bungakukai. Sie war etwa 100 Seiten lang. Zum Vergleich: Der nun erschienene Roman ist etwa sechsmal so lang und hat in der deutschen Hardcover-Ausgabe einen Umfang von 640 Seiten. Dass die Geschichte so gewachsen ist, hat seinen Grund, denn mit den Jahrzehnten der Lebenserfahrung Murakamis als Mensch, vor allem aber als Schriftsteller, hat sich auch „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ weiterentwickelt.

Mit der Erstveröffentlichung war Murakami nie zufrieden, aber sie hat ihn auch nie wirklich losgelassen. Mit „Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt“ (1985) schrieb er ein Buch, das einige Ideen seiner Kurzgeschichte aufgriff und als „Gegenstück“ dazu fungierte. Dennoch hatte er das Gefühl, dass seine frühere Version von „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ nicht die Aufmerksamkeit von ihm bekommen hatte, die sie verdient hätte – eine Geschichte, von der er „das Gefühl hatte, sie voreilig in die Welt gesetzt zu haben“. Vier Jahrzehnte später schließt er den Kreis zu den Anfängen seines Schreibens.

MurakamiMurakami Harukis Erzählungen: Schattenlos in der GroßstadtMurakami Haruki, geboren 1949, zurzeit vermutlich weltweit der bekannteste japanische Schriftsteller. 13.12.2016

„100 % Murakami“

Bereits zur Veröffentlichung in Japan im April 2023 versprach der japanische Verlag Shinchosha, dass es sich beim neuesten Werk um eine „100 % herzergreifende Murakami-Welt“ handle. Dieses Versprechen wurde gehalten: Murakami erzählt in seiner bekannt einfachen Sprache eine Geschichte, wie man sie vom Bestsellerautor erwartet. Wer seine früheren Werke kennt, wird feststellen, dass er immer wieder auf bestimmte Konzepte zurückgreift. Am deutlichsten wird dies bei „Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt“, wo sich mehrere Parallelen zum aktuellen Roman finden lassen.

„Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ wirkt daher wie ein Folgeroman, der jedoch ohne Vorkenntnisse gelesen werden kann. Das Motiv des „Schattens“ wie in „Kafka am Strand“ (2002) oder in Murakami-Romanen allgegenwärtige Elemente wie Jazz, Katzen und der magische Realismus (den er in diesem Buch fast selbstreferentiell erwähnt) sind ebenfalls Teil seiner Erzählung. Doch auch diejenigen, die mit „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ das erste Buch von Murakami lesen, erhalten eine Einführung in die Faszination um die Werke des Bestsellerautors.

Fazit

„Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ nimmt alte Fäden wieder auf, verknüpft sie neu und lässt so eines seiner besten Werke entstehen. Es ist gespickt mit den von Fans so geliebten „typischen Murakami“-Momenten und subtilen Anspielungen auf seine früheren Romane sowie bekannten Stilmitteln. „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ ist ein Fest für Fans und alle, die es noch werden wollen. Nach vierzig Jahren findet die einstige Kurzgeschichte hier auf über 600 Seiten ihren krönenden Abschluss.

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

von Murakami Haruki

Erschienen am: 12.01.2024

DuMont Buchverlag

Hardcover, 640 Seiten

Originaltitel: Machi to sono futashika na kabe

Übersetzung aus dem Japanischen von Ursula Gräfe

Buchcover "Die Stadt und ihre ungewisse Mauer" von Haruki Murakami

Quelle

Murakami, Haruki (2024): „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“, Nachwort S. 632-636

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