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Buchrezension: „Erste Person Singular“ von Murakami Haruki

Manuel Piwko
Manuel Piwko

Mit seinem neuesten Werk „Erste Person Singular“ legt Murakami Haruki wieder ein literarisches Kleinod vor, das nicht nur eingefleischte Fans begeistern wird.

Matcha, Orchideen und ein Buch von Murakami Haruki
© Piwko

Das neue Jahr startet mit der Veröffentlichung des neuen Werkes von Murakami Haruki. Mit „Erste Person Singular“ meldet sich der japanische Bestsellerautor fast vier Jahre nach seinem umfangreichen Roman „Die Ermordung des Commendatore“ im kleineren Stil zurück. Dafür aber nicht weniger imposant: Mit der Kurzgeschichtensammlung beweist er, dass er auch auf wenigen Seiten Erzählungen schafft, die man so schnell nicht vergisst.

Buchcover Murakami HarukiNach 6 Jahren: Murakami Haruki veröffentlicht neuen RomanNach "Die Ermordung des Commendatore" (2017) erschien in Japan nach sechs Jahren im April 2023 wieder ein vollwertiger Roman aus der Feder d...06.03.2023

Von bedingungsloser Hingabe und der Frage nach dem Mann im Spiegel

 „Erste Person Singular“ umfasst acht unterschiedliche Kurzgeschichten. In diesen kann man immer wieder Parallelen in der Erzählweise entdecken. Das auffälligste Merkmal wird bereits durch den Buchtitel deutlich: Nach längerer Abstinenz wählt Murakami den Ich-Erzähler als Perspektive und tritt dabei oftmals als älterer Mann in Erscheinung. Dabei scheint es keine reine Willkür des Autors zu sein, Gemeinsamkeiten mit den Ich-Erzählern zu teilen. In „Gesammelte Gedichte über die Yakult Swallows“ benennt er sich dabei sogar namentlich und spielt dadurch mit dem Gedanken und dem Leser gleichermaßen. „Es ist eine lange Geschichte, aber dennoch will ich die Gelegenheit nutzen, ein wenig davon zu erzählen. Vielleicht wird sogar eine kurze Autobiografie daraus.“, schreibt er auf Seite 113. Tatsächlich hat man beim Lesen dieser Geschichte am ehesten das Gefühl, mit Murakami im Izakaya (einer traditionellen japanischen Kneipe) zu sitzen, ein Sapporo-Bier zu trinken und bei gedämpfter Jazzmusik freundschaftlich vertieft über Baseball zu sinnieren.

Wer vermag mit Sicherheit zu sagen, was in der Vergangenheit wirklich passiert ist? Doch wenn wir Glück haben, bleiben zumindest Worte erhalten.“

Seite 25

Der nostalgische Blick auf Jahre, die längst der Vergangenheit angehören, bildet den Kern aller Geschichten. Flüchtige Erinnerungen an Momente in der Jugend, die ein Leben lang nachhallen. Bekanntschaften, deren Wege so zufällig zusammenführen, wie sie sich letztendlich auch wieder trennen, und eine nachvollziehbare Wehmut zurücklassen. Das Aufeinandertreffen von zwei Charakteren, das zunächst belanglos erscheint, dann aber wie ein Kieselstein doch große Kreise zieht, sobald man ihn ins Wasser wirft. In solchen Geschichten beweist Murakami, dass er mit einfacher Sprache nicht nur jederzeit treffend zu beschreiben weiß, sondern auch, dass er selbst Banalität in einem wunderschönen Licht erstrahlen lässt und so den Leser in den Bann zieht und Seite für Seite verschlingen lässt.

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Murakamis Königsdisziplin: Zwischen Realismus und Fiktion

Doch auch der magische Realismus, das Spezialgebiet Murakamis, findet seinen verdienten Platz in der Sammlung. Das beste Beispiel hierfür und gleichzeitig das Highlight der Sammlung ist „Bekenntnis des Affen von Shinagawa“. Dabei handelt es sich um eine Fortsetzung der Kurzgeschichte „Der Affe von Shinagawa“ aus dem Jahr 2005, welche im Buch „Blinde Weide, schlafende Frau“ zu finden ist.

Eigentlich wollte er diese Geschichte der Öffentlichkeit vorenthalten, aber glücklicherweise hat er dies nicht getan.[1] Denn diese Fortsetzung zeigt, warum der japanische Autor in jährlicher Regelmäßigkeit als Anwärter des Literaturnobelpreises gehandelt wird. Mit einer gefühlten Leichtigkeit skizziert Murakami eine Welt, in der man ihm ohne Widerrede abnimmt, dass es sprechende Affen gibt und Namen gestohlen werden können. Wenn er sich am Ende der Kurzgeschichte „Charlie Parker Plays Bossa Nova“ direkt an den Leser wendet und seine Glaubhaftigkeit erfragt, möchte man ihm am liebsten antworten, dass man nicht den geringsten Zweifel am Wahrheitsgehalt der Geschichte hat. Mit der letzten Geschichte, welche auch den Namensgeber des Buchtitels darstellt, schließt Murakami den Kreis und erschafft einen kafkaesken Abschluss, wie man ihn gewöhnt ist, aber auch erwartet.

Kurze Geschichten mit Langzeitfolgen

„Erste Person Singular“ ist ein kurzweiliges Kleinod, welches durch die meisterhafte Feder Murakamis gerade dazu verleitet, an einem Stück gelesen zu werden. Er konzentriert sich vollkommen auf die Essenz einer Geschichte. Dank der einfachen und klaren Ausdrucksweise zieht er den Leser sofort in den Bann. Auf wenigen Seiten schafft er es, einer Kurzgeschichte das Gefühl zu geben, dass sie hunderte Seiten hätte füllen können, aber erst als Kurzform perfekt zu glänzen weiß. Jede davon wirkt wie ein kunstvoll verpacktes Geschenk des Autors an seine Leserinnen und Leser, dessen Schönheit nur noch durch den Inhalt übertroffen werden kann. Ein starker Titel mit erinnerungswürdigen, aber auch ungewöhnlichen Geschichten. Eine klare Empfehlung für alle Murakami-Fans oder die, die es werden wollen.

Murakami Haruki: „Erste Person Singular“

224 Seiten, DuMont Buchverlag

Erschienen am: 25. Januar 2021

Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe

Murakami Haruki: Erste Person Singular
© DuMont Buchverlag 2021

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