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Die Komusō: Mönche der Leere und des Nichts

Zehra Sagra
Zehra Sagra

Der Klang der Bambusflöte nähert sich und der Mönch, sein Gesicht mit einem Korb als Kopfschmuck bedeckt, bettelt um Almosen. Ob durch Videospiele oder alte Samurai-Filme – die Komusō sind vielen nicht fremd und doch wissen die meisten nichts über sie. Was verbirgt sich hinter ihrem geheimnisvollen Aussehen?

Komusō-Möche mit ihrer shakuhachi-Flöte
Komusō-Möche mit ihrer shakuhachi-Flöte. © Photo-ac.com / 流浪のマサじぃ

Der Religionsbegriff ist im japanischen Kontext schwer zu definieren. Viele Japaner:innen würden die Frage, ob sie religiös seien, zuerst verneinen. Dennoch würden sie sich auch nicht als komplett atheistisch bezeichnen. Die beiden größten und wichtigsten Religionen in Japan sind der indigene Shintōismus und der Buddhismus, der im 6. Jahrhundert von China über Korea nach Japan kam. Erstere ist eine polytheistische Religion, in der göttliche Geister, auch kami genannt, in der Natur, in Gegenständen und in Ahnen existieren und verehrt werden. Sowohl im Buddhismus als auch im Shintōismus sind Rituale und Feste Teil der Religion und tief in der japanischen Kultur verankert. Beide sind in ihren Praktiken eng miteinander verbunden und können schwer zu unterscheiden sein. Dieser Synkretismus wird auch als shinbutsu shūgō bezeichnet.

Die fuke-shū-Sekte

 Religionen in Japan limitieren sich nicht nur auf den Buddhismus und Shintōismus, sondern sind sehr vielfältig. Eine Besonderheit sind die Abzweigungen, auch „Sekten“ bezeichnet, die im Laufe der Geschichte entstanden sind und noch entstehen. Während der Begriff „Sekte“ bei uns eher negativ konnotiert ist, bezeichnet man in Japan damit religiöse Gruppierungen, die keineswegs extremistische oder gar gewalttätige Praktiken ausüben. In der Edo-Zeit (1603-1868) gab es eine Vielzahl an buddhistischen Schulen und Sekten. Der Unterschied zwischen den beiden besteht darin, dass die Schulen in ihren Traditionen etablierter waren und die Lehren ihrer Gründer über Generationen hinweg überlieferten, während Sekten kleinere Gruppierungen sind, die sich mit ihren eigenen Interpretationen von der Hauptschule abspalteten und zu einer eigenen Strömung entwickelten.

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Im Rinzai-Zen-Buddhismus ist eine davon die sogenannte fuke-shū-Sekte, dessen Anhänger komusō, also „Mönche der Leere und des Nichts“, genannt werden. Die fuke-shū-Sekte soll im Jahre 1254 von einem Priester namens Kakushin gegründet worden sein. Auf seiner Reise nach China studierte er nicht nur theologische Lehren, sondern hat auch musikalisches Wissen vermittelt bekommen. Er brachte sein neues Verständnis des „Zen“ mit nach Japan und begann auf seinen Reisen als Wandermönch zu predigen und die Bambusflöte (shakuhachi) als religiöses Instrument und Mittel zur Erleuchtung zu spielen. Es heißt, dass einige Samurai bei dem Klang seiner Flöte die Erleuchtung erreichten und sich seiner anschlossen. So fand die fuke-shū-Sekte ihren Anfang.

shakuhachi-Flöte
Die shakuhachi wird traditionell aus Bambus gefertigt. © Photo-ac.com / wara-toko-maru

Einige Forschende spekulieren jedoch, dass die komusō-Strömung erst zu Beginn der Edo-Zeit entstanden und daher eine „reine japanische Erfindung“ sei. Sie argumentieren, dass die komusō-Mönche keine wirklich tiefe Verbindung zum Zen-Buddhismus besaßen und lediglich verarmte Musiker waren, die ihre Ideologie bewusst zur Selbstlegitimierung nutzten, um das Betteln für Almosen rechtfertigen zu können.

Als gemeinsamer Konsens ist jedoch zu sagen, dass mit dem Beginn der Edo-Zeit viele Samurai einen Platz im neuen Zeitalter des Friedens verloren. Ihre kriegerischen Fähigkeiten waren nicht mehr gefragt und die fehlende wirtschaftliche Anpassung endete oft in ihrer Verarmung oder Herrenlosigkeit. Somit waren Sekten eine attraktive Option für einen religiösen Rückzug und eine existenzielle Absicherung.

Die spirituelle Metaphorik hinter der Kleidung

Das wohl auffälligste Merkmal an der Bekleidung eines komusō-Mönches ist der bienenwabenförmige Korb, welcher tengai genannt wird. Dieser bedeckt meistens den ganzen Kopf und ist bis auf die Augenpartie engmaschig gewebt. Kopfbedeckungen waren in der Edo-Zeit nichts Ungewöhnliches, im Gegenteil: Diese sogenannten kasa gaben sogar Auskunft über die Beschäftigung einer Person. Der tengai der komusō hingegen sorgte für Anonymität und Demut. Wurden die Wandermönche auf ihren Reisen nach ihrer Identität gefragt, mussten sie lediglich den Namen des Tempels, dem sie angehörten, nennen.

Tengai eines Komuso
Nahaufnahme des tengai. Er besteht meistens aus geflochtenem Stroh oder Bambus. © Photo-ac.com / 貴坊

Eine weitere Symbolik des tengai ist die Loslösung von der materiellen Welt mit einem stärkeren Fokus auf die innere Kontemplation. Die Verhüllung der eigenen Identität verstärke die Selbstkultivierung der Demut und schütze vor dem Erstarken des eigenen Egos. Diese spirituellen Praktiken der komusō spiegeln die philosophischen Prinzipien der fuke-shū-Sekte wider. Eine andere Regel besagt auch, dass ein komusō sein tengai stets zu tragen hat, es sei denn, er hält sich auf einem Tempelgelände auf. Selbst bei Sturm und Regen darf kein Regenschirm über dem tengai gehalten werden. Eine Funktion des tengai ist weiterhin der Schutz der Anblaskante der Bambusflöte vor Wind, um einen optimalen Klang erzeugen zu können.

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Mit dem Flötenspiel zur Erleuchtung

Die Stimme eines komusō hört man selten, denn sie wird ersetzt durch den Klang seiner shakuhachi – eine traditionelle japanische Bambusflöte deren Musik die mystische Ausstrahlung der Mönche unterstreicht. Die vier Grifflöcher der Flöte repräsentieren die vier Jahreszeiten, jede Note und jeder Takt steht für den Kosmos und die Zeit. Somit war es kein Wunder, dass die shakuhachi mit ihrer spirituellen Bedeutung für religiöse Praktiken genutzt wurde. Musik in Japan hat oft eine metaphysische Dimension, wie es auch bei Zeremonien zu beobachten ist.

Die shakuhachi spielt besonders im Kontext des Zen-Buddhismus eine wichtige Rolle, da das Flötenspiel zur Erleuchtung führen soll. Dabei benutzten die Mönche eine bestimmte Blasmeditation, die suizen genannt wird. Der Begriff setzt sich zusammen aus den Wörtern sui (blasen) und zen (Meditation) und bezeichnet den Prozess des achtsamen Flötenspielens, der bewusst erzeugten Stille zwischen den Tönen eingeschlossen. Dieses ausgeprägte Bewusstsein für Atem, Klang und Geist ist es, was die shakuhachi für einen komusō-Mönchen so unentbehrlich macht. Ihre Musikstücke, auch honkyoku genannt, zeichnen sich durch langsame Tempi und tiefe Melodien aus, die den Mönchen zu einem Zustand der meditativen Atmung verhalfen.

Kritik an der Sekte

In der Edo-Zeit konnten nur (ehemalige) Samurai zu komusō werden, aber es gab auch Fälle, in denen Mönche die Anonymität, die ihre Kleidung bot, missbrauchten. Berichten zufolge nahmen einige Mönche Bestechungsgelder von Regierungsbeamten an, um Informanten zu werden. Auch wenn es nur selten vorkam, nutzten sie ihre Lebensweise als Wandermönche aus, um Verbrechen zu begehen oder sich in politische Angelegenheiten einzumischen.

Zu Beginn der Meiji-Zeit (1868-1912), wurden viele buddhistische Sekten aufgelöst oder verboten, um den Buddhismus in seiner Vielfalt zu reduzieren und passender zur neuen Regierung zu formen. Auch die fuke-shū-Sekte wurde 1871 abgeschafft, da es schwierig war, den Lebensstil der Wandermönche zu kontrollieren und die kriminellen Aktivitäten einiger komusō-Mönche Misstrauen bei der Regierung erweckten. Unter anderem wurde auch das Spielen der shakuhachi-Flöte für religiöse Zwecke sowie das Betteln nach Almosen verboten.

Später, mit der Säkularisierung des Instruments, wurden viele ehemalige komusō zu shakuhachi-Lehrern. Heutzutage gibt es diese Mönche in ihrer “traditionellen” Form nicht mehr – und wenn, dann als kostümierte shakuhachi-Spieler oder als solche getarnte Bettler (die es mitunter direkt auf Touristen abgezielt haben). Jedoch beeinflussen die Flöten sowie einige erhaltene honkyoku-Lieder die klassische japanischen Musik und sind inzwischen ein wichtiger Teil von ihr geworden.

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