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“A.R.E.” & “Shōgi schauen”: Das sind die Wörter des Jahres 2023

Diana Casanova
Diana Casanova

Auch in diesem Jahr gab es ganz bestimmte Begriffe, die in der japanischen Gesellschaft besonders aufgefallen oder prägnant geworden sind. 2023 stammen die Top 10 Schlagwörter und Neologismen aus der Welt des Sportes, der Popmusik und der Internetkultur.

Hanshin Tigers Manager Okada Akinobu
Okada Akinobu, Manager des Profi-Baseballteams Hanshin Tigers, nimmt den Preis für das "Schlagwort des Jahres 2023" entgegen. © Aflo Co. Ltd. / Alamy Stock Photo

Jedes Jahr im Dezember kürt der japanische “Große Preis für Neologismen und Schlagwörter” (shingo ryūkōgo taishō) Begriffe, die die Gesellschaft im jeweiligen Jahr besonders geprägt hat oder die viral gingen. Während es 2021 und 2022 viele Begriffe im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, aktuellen politischen Ereignissen und Internetkultur in das Ranking schafften, steht es dieses Jahr vor allem unter einem sportlichen Stern. Drei der Top 10 stammen aus der Welt des Baseballs und des traditionellen japanischen Schachspiels Shōgi – aber auch globale Entwicklungen wie der Klimawandel und deren Auswirkungen auf die Menschheit sowie die wachsende Popularität von Künstlichen Intelligenzen wie ChatGPT wurden berücksichtigt. 

Das sind die Schlagwörter des Jahres 2023

1. アレ (are) / A.R.E.

2023 gewann das japanische Profi-Baseballteam Hanshin Tigers aus Nishinomiya (Präfektur Hyōgo) die Japan Series und wurde zum zweiten Mal in 38 Jahren (erstmals 1985) die Nummer eins in Japan. Das Schlagwort des Jahres lautet “are“, auf Japanisch wörtlich “das da” oder “jenes”. Tigers-Manager Okada Akinobu verzichtete während der Saison strikt darauf, das Wort “Sieg” auszusprechen, stattdessen nutzte er stets “are“. Seine Absicht: erst abliefern, bevor man darüber redet. Daraus leitete sich der diesjährige Mannschaftslogan “A.R.E.” ab, das für “Aim”, “Respect” und “Empower” steht.

(ab hier in keiner bestimmten Reihenfolge)

2. 新しい学校のリーダーズ / 首振りダンス (Atarashii Gakkō no Leaders / kubifuri dansu) – Atarashii Gakko! / “Kopfwackeln-Tanz”

Die vierköpfige Tanz- und Gesangsgruppe Atarashii Gakko! (in Japan besser bekannt als Atarashii Gakkō no Leaders) landete 2023 mit ihrem Song “OTONABLUE” einen Riesenhit, insbesondere auf TikTok verbreitete er sich stark. Vor allem die eingängige Choreografie, bei der die jungen Frauen mit dem Kopf wackeln, hat es Fans angetan und ging auch international viral. Die Gruppe selbst erfährt durch ihre Kreativität sowie ihren kraftvollen Musik- und Tanzstil seither viel Aufmerksamkeit und Popularität. Ihr Motto: “Hervorstechen durch Individualität und Freiheit”.

3. OSO 18/アーバンベア (Urban Bear)

Seit 2019 terrorisierte ein männlicher Braunbär mit dem Codenamen “OSO 18” eine Region auf Japans nördlichster Insel Hokkaidō und attackierte eine große Anzahl an Nutztieren. Der Name setzt sich aus dem Ort der ersten Sichtung in Osotsubetsu und der Breite seiner Fußspuren von 18 cm zusammen. Bis es im Sommer dieses Jahres erlegt wurde, schaffte es das auch “Ninja-Bär” genannte Tier immer wieder zu entkommen und sorgte insbesondere bei den lokalen Landwirten für Schrecken. Der Begriff “urban bears” (“urbane Bären”) tauchte 2023 auf, da es in vielen kleinen und größeren Städten verstärkt zu Bärensichtungen und sogar Angriffen auf Menschen kommt. Diese Bären scheinen die Angst vor den Menschen zu verlieren und dringen immer weiter in bewohnte Regionen ein. So wirft das Schlagwort auch ein Licht auf den Naturschutz und die Bedrohung des Menschen sowie des Klimawandels auf die natürlichen Lebensräume der Wildtiere.

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4. 蛙化現象 (kaeruka genshō) – “Verwandlung des Prinzen in einen Frosch”

Viele Menschen kennen es vielleicht: Man mag jemanden ganz besonders, hat sich vielleicht sogar richtig verliebt – doch kaum tut oder sagt der Schwarm etwas Bestimmtes, ist das Interesse plötzlich verschwunden. Angelehnt an das berühmte Märchen “Der Froschkönig” der Gebrüder Grimm, beschreibt kaeruka genshō quasi genau das Gegenteil: Der vermeintliche Prinz entpuppt sich doch als hässlicher Frosch. Besonders in der japanischen Jugend fand der Ausdruck großen Anklang. Manche führen dies auf die Corona-Jahre zurück, in denen der Großteil der Kommunikation nicht persönlich, sondern online erfolgte, was entsprechende abstoßende Gewohnheiten nicht auffallen ließ – die nun wieder in die Öffentlichkeit getragen werden. 

5. 生成 AI (seisei AI) – Generative Künstliche Intelligenz

KI-Programme wie ChatGPT erobern die Welt derzeit im Sturm, im Positiven wie im Negativen. Texte, Videos oder ganze Kunstwerke können in Sekunden geschaffen werden, was mitunter bei ganzen Branchen für Zukunftsängste sorgt, wie man etwa beim großen Streik der amerikanischen Schauspieler- und Drehbuchautorengewerkschaften in diesem Jahr beobachten konnte. So wurden auch in Japan die Bedeutung und Nutzungsmöglichkeiten sowie Grenzen und Probleme von KIs diskutiert.

6. 地球沸騰化 (chikyū futtōka) – “Globales Kochen”

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres rief in einer Pressekonferenz im Juli das Ende der Ära der globalen Erderwärmung aus. Stattdessen habe “die Ära des globalen Kochens begonnen”. Nach Angaben des europäischen Copernicus-Klimawandeldienst war der Juli der weltweit wärmste Monat der Geschichte. 

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7. ペッパーミル・パフォーマンス – Pepper mill performance

Mit “pepper mill performance” schafft es ein weiteres Baseball-Schlagwort in die Top 10. Der amerikanisch-japanische Profi-Baseballer Lars Nootbaar spielt für die St. Louis Cardinals sowie für die japanische Nationalmannschaft. Sein Markenzeichen ist die “Pfeffermühle” – eine Handbewegung, die an die Nutzung einer Pfeffermühle anlehnt, die er nach guten Spielzügen seiner Teamkollegen macht. Daraus hat sich ein kleiner Kult entwickelt, der schnell zu eigenem Pfeffermühlen-Merchandise wie T-Shirts und Schildern (oder echten Pfeffermühlen) führte. Doch erst als der japanische Weltklasse-Baseballprofi Ohtani Shōhei (mittlerweile eine nationale Ikone) die Bewegung beim diesjährigen World Baseball Classic-Turnier nachahmte, gewann diese “pepper mill performance” rasant an Popularität. So sehr, dass japanische Baseball-Fans sogar echte Pfeffermühlen kaufen und als Glücksbringer zu den Spielen mitbringen.

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8. 観る将 (miru shō) – “Shōgi schauen”

Im Oktober wurde der 21-jährige Fujii Sōta der erste Shōgi-Spieler, der alle acht großen Meistertitel gewann. Fujii, der 2016 mit 14 Jahren als jüngster professioneller Shōgi-Spieler aller Zeiten in die Geschichte einging, sorgt seit Jahren für einen regelrechten Boom des traditionellen japanischen Schachspiels. Immer mehr Menschen, selbst jene, die wenig Ahnung von diesem Sport haben, schauen sich die TV-Übertragungen in Public Viewing-Events an und fiebern mit dem Rekordhalter mit. 

9. 闇バイト (yami baito) – “Illegaler Nebenverdienst”

Wörtlich übersetzt “dunkle Nebenjobs”, beschreiben yami baito zwielichtige einmalige Aufträge, die Verbrechen wie Raubüberfälle und Betrug beinhalten. In diesem Jahr sorgte vor allem ein Raubüberfall durch eine Gruppe Jugendlicher am hellichten Tag auf ein Luxusuhrengeschäft in Tōkyōs Einkaufsmeile Ginza für Aufsehen. Auch andere Betrugsmaschen wie die japanische Version des Enkeltricks nehmen immer weiter zu. Viele Straftäter sind Jugendliche oder junge Erwachsene in finanziellen Schwierigkeiten, die sich dadurch das schnelle Geld erhoffen. Oft werden diese Aufträge über soziale Medien von unbekannten Rädelsführern koordiniert. So wurden etwa mehrere Raubüberfälle sowie ein Raubmord in einer Tōkyōter Vorstadt von japanischen Männern gesteuert, die sich selbst in den Philippinen aufhielten – teilweise sogar, während sie sich in Abschiebehaft befanden. 

10.4年ぶり / 声出し応援 (yonnen buri / koedashi ōen) – “Es ist vier Jahr her” / “Lautstarkes Anfeuern”

Auch wenn es in Japan während der Corona-Pandemie nie einen offiziellen Lockdown gab, so wurden vor allem Großveranstaltungen Opfer von Absagen, Verschiebungen und strengen Sicherheitsmaßnahmen. Eine dieser Maßnahmen verbot das lautstarke Anfeuern und Rufen während der Events. 2023 kehrte nach knapp vier Jahren das Anfeuern in den Arenen Japans zurück, da die letzten Corona-Maßnahmen in öffentlichen Veranstaltungsorten aufgehoben wurden. Die Menschen fühlen sich nun wieder sicher genug, die Masken abzunehmen und ihre Lieblingskünstler:innen und -athlet:innen anzufeuern. 

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Sonderpreis: “I’m wearing pants!”

Der japanische Comedian Tonikaku Akarui Yasumura schaffte es bereits 2015 mit dem Ausdruck “Anshin shite kudasai, haiteimasu yo” (“Machen Sie sich keine Sorgen, ich habe etwas an!”) in die Top 10 der Schlagwörter und Neologismen. 2023 gewinnt er den Sonderpreis des Auswahlkomitees, denn nun wurde er auch über Japans Grenzen hinaus zum Hit. Yasumura ist bekannt für seine Performance, bei der nur mit einer schmalen Unterhose bekleidet verschiedene Posen einnimmt, die die Unterhose verstecken und so aussehen lassen, als wäre er völlig nackt. Während er in seinem Heimatland eher als One-Hit-Wonder gilt und nach 2015 keine nennenswerten TV-Auftritte mehr hatte, wagte sich Yasumura aufs internationale Parkett und nahm an der Talentshow “Britain’s Got Talent” (die britische Version des “Supertalents”) teil – und erreichte prompt das Finale. Das Publikum sowie die Jury waren begeistert von seiner simplen, aber komischen Performance. Und ja, er hatte stets etwas an. 

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