Einfluss der Corona-Pandemie auf die japanische Arbeitsweise

Matthias Reich
Matthias Reich

Bereits vor der Corona-Pandemie gab es in Japan ernsthafte Bemühungen, die Arbeitsweise der Angestellten umzugestalten – weg von ständiger Anwesenheit und endlosen Überstunden. Die Pandemie sollte diesen Prozess theoretisch zumindest beschleunigen – doch einige Hürden verhindern dies.

Katze auf Schreibtisch
Homeoffice in Japan: Nicht nur Haustiere spüren den Einfluss der Corona-Pandemie auf die erwerbstätige Bevölkerung.

Ein gutes Jahr COVID-19 hinterlässt viele Spuren – stark betroffen sind in Japan zum einen natürlich die Kinder, aber auch viele Erwachsene. Allerdings ist der Einfluss auf japanische Kinder deutlich geringer ist als auf deutsche, da die Schulen (fast) durchgängig geöffnet waren. Besonders schlimm traf es die Studierenden, die bei gleichbleibend sehr hohen Studiengebühren oftmals kein einziges Mal den Campus sahen. Doch auch in der Arbeitswelt tat sich einiges, denn im Zuge des bisher zwei Mal ausgerufenen Ausnahmezustandes wurden die Firmen aufgefordert, im Büro entbehrliche Kräfte ins Homeoffice zu schicken.

Pandemie erhöht Homeoffice-Rate, wenn auch weniger als gehofft

Dies geschah anfangs mangels technischer Voraussetzungen nur zögerlich. Bei einer Befragung von gut 20 000 Festangestellten gaben im März 2020 nur 13,2 % an, von zu Hause aus zu arbeiten. Während des ersten Ausnahmezustandes im April 2020 verdoppelte sich der Anteil immerhin auf 27,9%, doch seitdem ist diese Zahl wieder rückläufig und liegt aktuell bei weniger als 25 %.

Nicht überraschend ist die Verteilung des Homeoffice-Anteils in der erwerbstägigen Bevölkerung: In großen Firmen werden im Schnitt fast die Hälfte der Mitarbeiter nach Hause geschickt; in kleineren Firmen (unter 100 Angestellte) ist es im Schnitt nur jeder achte. Nicht fest angestellte Mitarbeiter arbeiten viel seltener von zu Hause als Festangestellte, und logischerweise arbeiten vor allem in Dienstleistungsunternehmen Angestellte kaum im Homeoffice.

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Vorbehalte bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern

Trotz allem: Der Anteil könnte größer sein – erst recht, wenn man bedenkt, welche Gefahren von voll besetzten Großraumbüros und Zügen während einer Pandemie ausgehen können. Doch es gab und gibt weiterhin verschiedene Vorbehalte seitens der Unternehmen:

  • Nicht wenige Firmen sehen sich mit dem Aufbau einer sicheren IT-Infrastruktur überfordert.
  • Die japanische Tradition, dass noch viel mit Laufzetteln gearbeitet wird, die auch noch persönlich mit einem Siegel abgestempelt werden müssen, erschwert den Arbeitsablauf, wenn Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten.
  • Viele Mitarbeiter, erst recht solche mit Kindern, haben im eigenen Heim nicht genug Platz beziehungsweise nicht die nötige Ruhe.
  • Viele Vorgesetzte akzeptieren Skype, Zoom und Co. nicht als Ersatz für Meetings von Angesicht zu Angesicht.

Auch bei den Angestellten gibt es diverse Bedenken:

  • Viele befürchten, dass die Vorgesetzten die Arbeit zu Hause nicht als vollwertig anerkennen.
  • Nicht wenigen fehlt die Bewegung – der Gang oder die Fahrt zum Bahnhof und Büro. Für viele Festangestellte ist dies nämlich die einzige Form von Bewegung an Arbeitstagen.
  • Es besteht die Angst, nicht als vollwertiges Mitglied des Teams anerkannt zu werden, wenn man von zu Hause arbeitet – mit allen Konsequenzen (schlechte Beförderungschancen, weniger anspruchsvolle Arbeit usw.).

Nachhaltiger Einfluss auf die japanische Arbeitsweise

Immerhin: Laut diversen Umfragen gaben gut drei Viertel der Arbeitnehmer an, auch nach dem Ende der Pandemie, zumindest teilweise, im Homeoffice arbeiten zu wollen. Die gefühlten Vorteile scheinen also zu überwiegen. Bei den Arbeitgebern ist die Lage etwas gespaltener: Ein Drittel gab an, auch in Post-Corona-Zeiten Homeoffice zu fördern, ein weiteres Drittel gab an, wieder Anwesenheit im Büro zur Pflicht zu machen, und der Rest ist sich noch nicht sicher.

Die Homeoffice-Situation bringt dabei diverse Konsequenzen ans Licht. So geben immer mehr Firmen ihre Büros auf, was sich sicherlich auf den Immobilienmarkt auswirken wird. Schließlich ist Büroraum vor allem in Ballungsgebieten sehr teuer – so manches Unternehmen sieht darin eine Chance, Kosten zu sparen. Andere verkleinern ihr Büro oder verlegen es gar in die Provinz. Pasona Inc., eine landesweit bekannte Personalagentur, beschloss zum Beispiel, das Hauptquartier von Tōkyō auf die Insel Awajima zu verlegen.

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Auch die IT-Branche boomt, schließlich muss viel in den Aufbau von Netzwerken, Sicherheit und Systemen zur Erfassung von Arbeitszeiten im Homeoffice investiert werden.

All dies bedeutet, dass die Pandemie einen bleibenden Einfluss auf die japanische Arbeitswelt hinterlassen wird, und dieser Einfluss sollte im Wesentlichen eher positiv zu bewerten sein. Die wünschenswerteste Veränderung wäre dabei die Dezentralisierung – also die Verlegung von Firmen aus Tōkyō oder Ōsaka in ländliche Gebiete. Diese Wiederbelebung der Regionen täte wohl allen gut.

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