Tomogashima: Inspiration für Studio Ghibli

Marie-Louise Helling
Marie-Louise Helling

Alte, verlassene Militärruinen, üppige Wälder und steile Küstenabschnitte: Mitten im Meer vor der Küste der Präfektur Wakayama befindet sich die mysteriöse Tomogashima-Inselgruppe, um die sich viele Legenden und Geheimnisse ranken.

Okinoshima, die größte Insel der Tomogashima-Inselgruppe: Einsame Militärruinen mit Blick auf das Meer. © Marie-Louise Helling

Vier unbewohnte Inseln bilden die Inselgruppe Tomogashima, die zwischen der Präfektur Wakayama und der großen Awaji-Insel der Präfektur Hyōgo im Seto-Binnenmeer liegt. Der Tomogashima-Kanal grenzt im Westen an die Bucht von Ōsaka und im Osten an die Bucht von Wakayama. Die Inseln namens Okinoshima („abgelegene Insel“), Kamishima („Götterinsel“), Torashima („Tigerinsel“) und Jinoshima („Bodeninsel“) ziehen jedes Jahr tausende Besucher:innen an, die die außergewöhnliche Landschaft erkunden wollen. Die Inselgruppe ist seit 1949 ein Teil des größten Nationalparks Japans, dem Setonaikai-Nationalpark. Über 400 verschiedene Pflanzenarten lassen sich dort finden.

Von Moos überwachsene, steinerne Befestigungsanlagen aus dem Zweiten Weltkrieg und malerische Küsten machen die größte der Inseln, Okinoshima, zu einem attraktiven touristischen Reiseziel. 20 bis 50 Meter hohe Klippen aus Sandstein prägen das Bild; nur die flache Bucht von Nanoura an der Nordseite von Okinoshima ist mit dem Boot von Wakayama aus zugänglich. Dort strömen in den frühen Morgenstunden die ersten Touristen auf die Insel, in deren Mitte sich der Berg Kōnosu mit einer Höhe von 120 Meter erhebt. Bei Ebbe bildet sich ein begehbarer Dünenstreifen, der Okinoshima mit Torashima verbindet. Wer den richtigen Zeitpunkt abpasst, kann gemütlich an einem Tag die zwei Inseln und die düsteren Tunnelsysteme aus Kriegszeiten erforschen. Zwei Campingplätze mit Blick auf das Binnenmeer, bieten in der warmen Jahreszeit zudem die Möglichkeit eine Nacht auf Okinoshima zu verbringen.

Die Militäranlagen von Okinoshima

Zum Ende der Edo-Zeit (1603-1868), im Jahr 1854, übertrug das Tokugawa-Shōgunat unter der Herrschaft von Tokugawa Iesada den daimyō (Lehnsherren) von Wakayama, damals Provinz Kii genannt, die Inselgruppe Tomogashima. Im Laufe der Meiji-Restauration, die die Meji-Zeit (1868-1912) einläutete, wurde dort eine geheime Militärbasis erbaut. Ab 1888 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs waren die Inseln militärisches Sperrgebiet und auf keiner Karte einsehbar. Dank ihrer praktischen Lage in der Nähe der Bucht von Ōsaka waren sie bestens für die Verteidigung geeignet, denn die Anlagen waren vom Meer aus nicht sichtbar. Während des Krieges wurden Kanonen, die bis zu 7 Kilometer weit feuern konnten, eingesetzt. Die robusten Anlagen haben über die Jahrzehnte hinweg weitestgehend Regen und Sturm getrotzt und sind heute wichtige Zeugnisse aus Kriegszeiten. Auf Okinoshima finden sich im Inselzentrum gut erhaltene über- und unterirdische Ruinen der fünf Geschützbatterien und der Sonarstation. Auch ein Munitionslager, ein Pferdestall und die Offiziersunterkünfte sind noch begehbar. Die mysteriöse Atmosphäre der Ruinen bietet eine wunderbare Fotokulisse, die auch gerne von Cosplayern genutzt wird. Sie reisen nach Okinoshima, um in den erfolgreichen Anime-Film „Das Schloss im Himmel“ (1986) von Studio Ghibli einzutauchen.

Die Idee für die künstlerische Umsetzung der fliegenden Insel Laputa soll dem Regisseur Miyazaki Hayao bei einem Besuch der Inselgruppe gekommen sein. Die Cosplayer posieren meist vor den Ruinen, die an manchen Stellen fast haargenau den animierten Zeichnungen aus dem Film gleichen. Wer sich in das Innere der Ruinen vorwagen möchte, dem sei geraten eine Taschenlampe mitzuführen, um die großen Spinnen und Schlangen rechtzeitig zu entdecken. Um die in den letzten Jahren gestiegene Population der (teils giftigen) Schlangen einzudämmen, wurden vor Kurzem zahlreiche Pfaue auf der Insel als natürliche Fressfeinde ausgesetzt.

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Militäranlage: Wie aus dem Film "Das Schloss im Himmel" von Studio Ghibli. © Marie-Louise Helling

Vom Mittelpunkt der Insel aus führen verschlungene Pfade mit wilden Kamelien-Sträuchern bis zu einem weißen Leuchtturm an der Küste, der fast genau auf dem 139. Längengrad steht. Dieser wurde 1872 von Richard Henry Bruton, einem britischen Ingenieur, der die ersten Leuchttürme Japans baute, entworfen. Bis heute ist er betriebstüchtig und weist Schiffen ihren Weg.

Einer der ältesten funktionstüchtigen Leuchttürme Japans. © Marie-Louise Helling

Die Legenden der Inseln

Das Kojiki („Aufzeichnungen alter Geschehnisse“, das älteste überlieferte Schriftstück Japans aus dem Jahre 712) beschreibt den japanischen Entstehungsmythos wie folgt: die Urgötter Izanami und Izanagi warfen einen juwelenbesetzten Speer in das Urmeer. Als sie ihn wieder herauszogen, fiel von seiner glänzenden Spitze ein Tropfen Salz in das wogende Wasser. Aus diesem Tropfen bildete sich das erste Land Japans. Der große Gelehrte Motoori Norinaga (1730-1801) erwähnt im Kojiki-den („Kommentar zum Kojiki“ aus dem Jahre 1798), dass es sich um die Inseln Tomogashimas handelt. Auf Okinoshima findet sich der zugewachsene Shinja-ike Teich („Tiefer Drachenteich“), der zu den Pilgerorten der yamabushi (Mönche der buddhistisch-shintonistischen-daoistischen Religion, namens Shugendō) zählt. In der Mitte des Teichs steht ein Steinmonument, welches der Legende nach einen Drachen versiegelt hält. Dieser wurde vom Asketen En no Gyōja, dem Ahnherrn der Shugendō-Mönche, besiegt und darf nur bei einem nächtlichen Pfeifenpfiff den Teich verlassen. Ob nun ein Drache erscheint, wenn dort gepfiffen wird, bleibt ein Geheimnis.

Auch auf Kamishima befindet sich ein sagenumwobener Teich, in dem ein magisches Schwert liegen soll. Die yamabushi, die nach wie vor ihr asketisches Training praktizieren, besuchen jährlich während ihrer Katsuragi-Pilgerreise im April die Inselgruppe. Dabei folgen sie einer bestimmten Reihenfolge: der Shinja-ike Teich und der Ort Akai auf Okinoshima; die Kannen-tsuku und Johin-tsuku Höhlen auf Torashima; der Tsurugu-ike Teich auf Kamishima.

Tsurugu-ike Teich: Verwunschenes Wasser auf Kamishima. © Marie-Louise Helling

Anreise und der Awashima-Schrein

Mit dem Zug von der Stadt Wakayama aus mit der Kada-Linie bis zur Endstation Kada: Ab neun Uhr fährt das erste Schiff vom Hafen in Kada Richtung Okinoshima. Eine Fahrt dauert circa 20 Minuten und kostet 1100 Yen pro Person (Achtung: auf dem Schiff können maximal 100 Passagiere mitfahren). Eine Abfahrt ist viermal am Tag möglich. Wer wegen der begrenzten Kapazität des Verkehrsmittels auf das nächste Schiff warten muss, der kann den berühmten Puppenschrein in Kada besuchen, welcher tausende traditionelle Puppen beherbergt. Im 4. Jahrhundert befand er sich auf Kamishima. Für eine bessere Erreichbarkeit wurde der Schrein nach Kada verlegt.

Der 3. März ist in ganz Japan ein Feiertag (genannt Hina-Matsuri oder Mädchenfest), der den Mädchen gewidmet ist. Jedes Jahr werden an diesem Tag zum regionalen Hina-Nagashi-Matsuri („Festival der schwimmenden Puppen“) hunderte von Puppen mit kleinen Holzbooten dem Meer übergeben und versinken darin. Wenn das Touristenboot dann in See sticht und man mit scharfem Auge auf den Meeresgrund blickt, kann es sein, dass einem ein Puppengesicht entgegenlächelt.

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