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Puppen im Fluss: Die vom Aussterben bedrohte Tradition des Nagashibina

Marie Andrejkovits
Marie Andrejkovits

Das japanische Mädchenfest Hinamatsuri mit seinen Puppen ist mittlerweile sehr bekannt. In Vergessenheit droht aber das Nagashibina-Ritual zu geraten: Dabei werden die Puppen auf Stroh-Schiffchen den Fluss hinabgespült.

Nagashibina Matsuri Japan Puppen Hinamatsuri Tottori Mochigase
Mädchen in prächtiger traditioneller Kleidung beten mit ihrer Mutter, bevor sie ihre Puppen zu Wasser lassen. © Marie Andrejkovits

Japan ist eines der traditionsreichsten Länder der Welt. Ob Jahreszeiten, Feste oder religiöse Rituale – alles ist von traditionellen Bräuchen, einem Stück Aberglauben und Liebe zur eigenen Kultur geprägt.

Dennoch, auch in diesem Land gibt es Traditionen, die vom Aussterben bedroht sind. Darunter fällt das Ritual Nagashibina (流しびな). Das bedeutet wörtlich “hinabfließende Puppen” und bezeichnet eine mehrere hundert Jahre alte Tradition, bei der Puppen auf ein aus Stroh gefertigtes Schiffchen gelegt und vom Fluss fortgespült werden. Die Puppen, so der Volksglaube, können böse Geister in ihren Körpern einschließen, und somit das Unglück ihrer Besitzer mit zum Meer nehmen.

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Nagashibina: Kleine Puppen treiben auf Stroh-Schiffchen den Fluss hinab. © Marie Andrejkovits
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Das Ritual findet in Japan nur noch selten statt. © Marie Andrejkovits

Nagashibina: Vom Aussterben bedrohte japanische Tradition

Früher wurde Nagashibina zu Hinamatsuri, dem Mädchenfest im März, in allen Gebieten Japans abgehalten. Heute ist diese Tradition jedoch sehr stark zurückgegangen und nur noch in einigen wenigen Gebieten zu finden.

Zu diesen Orten gehört das abgelegene Dorf Mochigase im Verwaltungsdistrikt der Stadt Tottori. Das Dorf mit gerade mal 4000 Einwohnern versteckt sich zwischen mehreren hochgewachsenen Bergen. Vom Stadtkern Tottoris aus ist es in ca. 40 Minuten mit Bus oder Bahn zu erreichen. Der größte und wichtigste Fluss der Präfektur, der Sendaigawa, fließt auch hier entlang. Die Puppen des Nagashibina werden diesen hinabgespült.

In Mochigase wird das Nagashibina-Fest nicht zum herkömmlichen Hinamatsuri am 3. März ausgeführt, sondern noch nach alter Kalenderrechnung, weswegen das Datum von Jahr zu Jahr variiert.

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Zum Nagashibina gehört in Mochigase auch die Segnung alter Hina-Matsuri-Puppen durch einen Shintō-Priester. © Marie Andrejkovits
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Anschließend werden die Hina-Puppen auf dem Fluss ausgesetzt, um das Unglück ihrer Besitzer mit zum Meer zu nehmen. In Mochigase nehmen Jung und Alt an der Zeremonie teil. © Marie Andrejkovits

Mochigase: Reichhaltige Tradition um das Nagashibina-Ritual

Tagsüber finden in Mochigase alle möglichen Workshops und Vorführungen statt. Die Einwohner wie Besucher hatten zum Beispiel die Gelegenheit, das Basteln der Strohschiffchen und Puppen selbst zu erlernen und auszuprobieren.

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Workshop zum Basteln der Püppchen und der Stroh-Schiffe. © Marie Andrejkovits
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Präsentation der Nagashibina-Puppen: Die Kiesel stehen symbolisch für den Fluss, auf den die Puppen in ihren Schiffchen gesetzt werden. © Marie Andrejkovits

Obwohl die Festlichkeiten zum Hinamatsuri dazuzurechnen sind, schicken nicht nur Mädchen ihre Körbchen den Fluss hinab – Jungen und Mädchen, ältere Frauen und Männer sowie Mochigases Bürgermeister – alle lassen die kleinen Puppen ins Wasser hinab und pressen ehrfürchtig die Hände zum Gebet zusammen. Zudem zieht das Event zahlreiche Hobbyfotografen an, die die hinabschwimmenden Puppen sowie die in prächtige Yukata gekleideten Kinder in künstlerischen Fotos festhalten.

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Auch das ganze Dorf ist im Nagashibina-Thema dekoriert. © Marie Andrejkovits
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Die Dekoration erinnert an das Puppenaufstellen beim Mädchenfest Hinamatsuri. © Marie Andrejkovits

Die gesamte Stadt ist mit Dekorationen geschmückt und viele private Haushalte stellen ihre Sammlungen an Hina-Puppen zur Schau. Somit stehen die Türen vieler Geschäfte sowie privater Wohnungen offen zur Besichtigung und man kann selbst in kleinen Seitengassen noch geschmückte Fenster und kleine Schätze entdecken.

Auch traditionelle Tänze (teils zum Mittanzen), Shintō-Rituale, Zubereitung von Mochi-Klebreis, Kimono-Ankleide-Kurse und Ähnliches ergänzen das Event. Im Nagashibina-Museum Mochigases kann man sich außerdem detailliert über die Entstehung und Entwicklung des Festes in einer Ausstellung informieren.

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Einmal Mochi stampfen... © Marie Andrejkovits
Nagashibina Matsuri Japan Puppen Hinamatsuri Tottori Mochigase
...oder bei einem rituellen Tanz mitmachen... © Marie Andrejkovits
Nagashibina Matsuri Japan Puppen Hinamatsuri Tottori Mochigase
...in Mochigase zum Nagashibina kein Problem! © Marie Andrejkovits

Am Vorabend des Festes wird die Kleinstadt in ihren kleinen Gassen zudem mit zahlreichen Lichtern beleuchtet und lädt zu einem romantischen Illumination Spaziergang ein.

Die Anreise ist vom Tottori Hauptbahnhof in 40 Minuten per JR-Zug oder via Bus möglich. Das Fest findet jedes Jahr zu einem wechselnden Termin im März statt.

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