EDO TATTOO

Ein delikater Fall: Der Kriminalroman “Butter” von Asako Yuzuki

Constanze Thede
Constanze Thede

Asako Yuzukis internationaler Bestseller "Butter" ist ein spannender, psychologischer Kriminalroman mit feministischem Hintergrund, der das japanische Weiblichkeitsideal messerscharf unter die Lupe nimmt. Für wen lohnt sich die Lektüre?

Coverbild Roman "Butter" von Asako Yuzuki

Manako Kaji liebt Butter. Am liebsten teure Importbutter aus dem Feinkostladen. Sie verabscheut Margarine und Feministinnen. Außerdem ist sie zu lebenslanger Gefängnishaft verurteilt worden, weil sie mutmaßlich drei Männer ermordet hat. Diese 40- bis 70-jährigen Herren waren ihre Geliebten und finanzierten ihr u. a. Kochkurse an einer exklusiven Kochschule. Kaji hat auch viele weibliche Fans, die ihren Blog verfolgen, auf dem sie ihre Leserinnen in exklusive Genusswelten entführt.

Kein Wunder, dass die Journalistin Rika von diesem Fall fasziniert ist und Kaji unbedingt für ein Interview gewinnen will. Diese empfängt sie tatsächlich, allerdings unter der Bedingung nur über Rezepte und nicht über den Fall zu reden. Je häufiger Rika die mutmaßliche Mörderin im Gefängnis besucht, desto stärker wird sie in deren Welt hineingezogen. Denn Kaji übt als Genussmensch und Gourmet eine verführerische Wirkung auf andere aus: Zwar lernt Rika dank Kaji immer besser zu kochen und leckeres Essen zu genießen ohne Kalorien zu zählen, doch mit der Zeit erkennt sie, dass Kajis Einfluss auf andere auch eine Schattenseite hat. Als auch noch ihre enge Freundin Reiko darin verwickelt wird, bekommt Rika es mit der Angst zu tun…

Buchcover "Butter" von Asako Yuzuki
"Butter" von Asako Yuzuki (442 Seiten, gebundene Ausgabe). Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Erschienen am 14. Februar 2022 im Blumenbar Verlag.

Ein feministischer Kriminalroman

Asako Yuzuki entwirft mit ihrem ersten, auf Deutsch erschienenen Roman ein spannendes Psychogramm einer unter Mordverdacht stehenden Genießerin. Diese will sich einerseits nicht den Erwartungen stellen, welche die japanische Gesellschaft ihr als Frau gegenüber hat, andererseits besitzt sie aber selbst rigide Vorstellungen von Feminität. Kaji sieht es als ihre “gottgegebene Aufgabe” an, Männer zu bekochen und sich um sie zu kümmern und hält nichts von berufstätigen Frauen, die in ihren Augen jegliche Weiblichkeit und Liebe verloren haben. Anhand des Kriminalfalls weist Yuzuki geschickt auf Schwachstellen in Bezug auf die Gleichstellung von Mann und Frau hin, die in Japan im internationalen Vergleich noch zahlreich vorhanden sind.

Psychologisch besonders kompliziert gestaltet sich der Fall Manako Kaji, da die Protagonistin Rika zwar Mitgefühl für die ermordeten Männer empfindet, andererseits aber in Kaji auch ein Beispiel für eine Frau sieht, die ebenso unter Diskriminierung leidet wie sie selbst und so viele andere Frauen in Japan. Zudem ist auch ihr eigenes Verhältnis zu Männern kompliziert, da sie eine schwierige Beziehung zu ihrem Vater hatte. Als Reporterin muss sie möglichst nah an Kaji herankommen, um diese für ein Exklusivinterview zu gewinnen, darf aber gleichzeitig ihre berufliche Distanz nicht verlieren, was sich als zunehmend schwierig erweist, da Kaji durchaus geschickt mit ihren Mitmenschen zu spielen weiß.

Genuss ohne Reue?

Da wir als Leser*innen nicht wissen, ob Kaji die Männer tatsächlich ermordet hat, können auch wir uns kein klares Bild von ihr machen, und gehen mit der Journalistin Rika durch ein Wechselbad der Gefühle. Dabei steht die titelgebende Butter als Motiv im Vordergrund und sinnbildlich für ausschweifenden Genuss. Butter ist in Japan generell wesentlich teurer als in Deutschland, da nur wenig lokale Milchprodukte produziert werden. In Yuzukis Roman wird dies noch auf die Spitze getrieben, weil die Geschichte zu einer Zeit spielt, in der Butter Mangelware ist, da es immer weniger Milchbauern gibt und aufgrund eines extrem heißen Sommers angeblich viele Kühe erkrankt sind. Solche Engpässe kommen in Japan tatsächlich immer wieder vor:

PommesKeine Kartoffeln mehr: McDonalds Japan gehen die Fritten ausEs war selbst den großen Nachrichtensendern und Zeitungen eine Meldung wert: Ende 2021/Anfang 2022 musste McDonalds in Japan bekanntgeben, d...14.02.2022

Ein immerwährendes Thema im Roman ist das Schlankheitsideal, das besonders Frauen betrifft und dem Kaji sich bewusst verweigert, da sie nicht auf den Genuss köstlicher Speisen und insbesondere Butter verzichten will. Der Öffentlichkeit ist nicht nur dies ein Dorn im Auge, sondern auch ihr maßloser Lebensstil. Kaji hat keinerlei Heiratsabsichten und genießt ein Luxusleben, das sie sich durch ihre Liebhaber finanzieren lässt, ohne selbst je einer geregelten Arbeit nachzugehen. Ihre mutmaßlichen Opfer wiederum ließen sich gern bekochen, sprachen aber mit anderen eher abfällig über sie. Auch in den Medien wird Kaji regelrecht durch den Kakao gezogen und selbst die Staatsanwaltschaft wirft Kaji “Mangel an Anstand” vor, anstatt auf die Punkte der Verteidigung einzugehen. Das von Yuzuki aufgebaute Szenario lässt Kritik am japanischen Weiblichkeitsideal und am Umgang der Öffentlichkeit mit mutmaßlichen Straftäter*innen durchscheinen.

Kein klassischer Kriminalroman

Interessant ist die Reporterinnenperspektive, aus der die Geschichte erzählt wird. Im Gegensatz zum klassischen Kriminalroman haben wir es hier nicht mit einer Verbrecherjagd zu tun, da die mutmaßliche Mörderin bereits inhaftiert ist. Dennoch geht Rika beinahe mit detektivischem Spürsinn ihrer Recherche nach und die Tatsache, dass es für die Morde (noch) keine Beweise gibt, macht die Lektüre umso spannender.

Besonders raffiniert konstruiert die Autorin den Kontrast zwischen den von Kaji empfohlenen köstlichen Speisen und ihrer manipulativen Persönlichkeit. Rika kocht einige dieser Gerichte zuhause nach und diese werden so detailliert und genussreich beschrieben, dass einem beim Lesen regelrecht das Wasser im Munde zusammenläuft. Niemand kann sich auf Dauer leckerem Essen entziehen und dies ist wohl das Geheimnis hinter Kajis Einfluss auf andere: Ihre Geliebten geraten allerdings in eine völlige Abhängigkeit zu ihr, da sie nicht bereit oder nicht fähig sind, selbst für sich zu kochen.

Die Autorin kritisiert hier auch bestimmte Formen von männlicher Hilflosigkeit, die in Wechselbeziehung zu dem von Kaji propagierten Ideal der hilfsbereiten Frau stehen, die sich um andere kümmert. So steht auch nicht die Auflösung der Mordfälle im Vordergrund der Geschichte, sondern eher die persönliche Entwicklung der Journalistin Rika, die durch die Recherche auch viel über sich selbst lernt.

Zeitschriftenstand in JapanJapan und #MeToo: ein Zeitschriftenartikel und seine FolgenDie japanischen Printmedien bieten eine Fülle an diversen Publikationen, unter anderem das ziemlich verruchte Wochenblatt „Nikkan Spa!“ der...21.02.2019

Für Fans psychologischer Krimis

Das Buch ist sicher nicht für Fans spannender Thriller zu empfehlen, sondern für alle, die psychologische Krimis und feministische Literatur mögen. Dem Druck, schlank sein zu müssen, sind Frauen vieler Gesellschaften ausgesetzt und auch der fragwürdige Umgang der Öffentlichkeit mit Tatverdächtigen ist kein rein japanisches Phänomen. Daher muss man sich nicht für Japan interessieren, um Gefallen an diesem Buch zu finden. Außerdem kommen hier alle auf ihre Kosten, die ein Faible für leckeres, genussvolles Essen haben – die Lektüre ist dermaßen inspirierend, dass sie anschließend vielleicht sofort zum Kochlöffel greifen werden.


Zur Autorin

Asako Yuzuki veröffentlichte in ihrem Heimatland bereits zahlreiche Romane und erhielt zwei Literaturpreise. Ihr Roman BUTTER erschien in Japan 2017, wurde dort zum Bestseller und in zehn Sprachen übersetzt.

Autorin Asako Yuzuki
Autorin Asako Yuzuki © Komoto Mayumi

Kommentare

TOKYO INK

Diese Woche meistgelesen

Top Stories

Autoren gesucht

Lesen Sie hier, wie Sie Teil unseres Teams werden!