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Japan und #MeToo: ein Zeitschriftenartikel und seine Folgen

Matthias Reich
Matthias Reich

Die japanischen Printmedien bieten eine Fülle an diversen Publikationen, unter anderem das ziemlich verruchte Wochenblatt „Nikkan Spa!“ der Fuji-Sankei-Mediengruppe. Das Blatt löste jüngst mit einem Ranking von Frauenuniversitäten und wie „leicht“ deren Studentinnen zu haben seien einen Skandal aus.

Zeitschriftenstand in Japan

In Japan mangelt es nicht an schmutzigen Wochenblättchen. Mit dem Feigenblatt des einen oder anderen ernsthaften Themas wird dem Leser dort Banales bis Sinnloses, oft auch plumpe politische Propaganda, sehr oft aber auch Sexistisches kredenzt. Viele der Blätter sind stramm rechts, und nicht selten werden sie auch benutzt, um aus der Gunst gefallene Politiker und Künstler dermaßen zu verunglimpfen, dass diese ihre Karriere vorerst an den Nagel hängen müssen. Kurzum – als halbwegs vernünftig denkender Mensch möchte man nicht gern mit diesen Blättern – und deren Lesern – zu tun haben. Zu diesen gehört das Wochenmagazin „Nikkan Spa!“, ein von der Fuji-Sankei-Verlagsgruppe herausgegebenes Blatt für die männliche Leserschaft. Bei den Wochenmagazinen liegt es mit seinen rund 110.000 Lesern in Sachen Auflage lediglich auf Platz 10, aber jeder kennt die Zeitschrift natürlich.

Ein Sonderartikel in der Ausgabe vom 25. Dezember 2018 drehte sich um ein von den Redakteuren recherchiertes yareru joshi daigakusei ranking ヤレる女子大学生RANKING. Yareru ist umgangssprachlich für „sich verführen lassen“ (vorsichtig ausgedrückt!); joshi daigakusei sind Studentinnen im Allgemeinen, gemeint sind allerdings meistens Studentinnen von Frauenuniversitäten, von denen es in Japan noch etliche gibt. Festgemacht wurde das Ranking an den sogenannten gyara nomi ギャラ飲み. Gyara bedeutet Gage bzw. Honorar; nomi steht für das Trinken. Männer bezahlen hier Frauen Geld, um mit ihnen irgendwo etwas zu trinken. Abgerechnet wird meist nach Zeit, zum Beispiel 10.000 Yen (rund 80 Euro) für zwei Stunden. Im Ranking sollte nun wiedergegeben werden, welche Studentinnen nach Ablauf der Zeit für mehr zu haben waren.

Sexuelle Belästigung von Frauen ist auch in Japan ein viel diskutiertes Phänomen. Die Hashtag-Bewegung MeToo lenkte auch in Japan neue Aufmerksamkeit auf das Thema.Sexuelle Belästigung – MeToo auf JapanischIn Japan entbrannte die Diskussion um sexuelle Belästigung von Frauen zu Beginn der 90er Jahre erstmals. Das Phänomen wurde lange als sekuha...27.09.2018

Vielen Frauen in Japan stieg der Artikel sauer auf. Dazu gehörte Yamamoto Kazuna, eine Studentin der Tōkyōter Eliteuniversität ICU. In einer Petition auf Change.org sammelte sie Stimmen, die fordern, dass sich die Redaktion der Zeitschrift entschuldigt, den Artikel zurücknimmt (was freilich schwer möglich ist) und aufhört, in ihren Artikeln die Würde der Frauen zu verletzen. Zitat:

„Laut (Titel einer Studie) erfahren 18,5 % der Frauen (in Japan) sexuelle Gewalt. Und die restlichen 81,5 %? Schweigen.“

Innerhalb kurzer Zeit unterzeichneten über 50.000 Menschen die Petition und Spa! entschuldigte sich. Der Artikel und die Petition fanden dabei durchaus ein gewisses Echo, das jedoch in der ausländischen Presse größer war als in Japan, wo die Geschichte schnell verpuffte. Und das hat mehrere Gründe: Der erwähnte Artikel ist nämlich weiß Gott kein Einzelfall – weder in der Spa! noch in anderen Zeitschriften, vom Fernsehen ganz zu schweigen. Ein wichtigerer und direkt damit verbundener Grund ist jedoch, dass die Verhältnisse so hingenommen werden, wie sie sind: Frauen stehen da nicht im Mittelpunkt, sondern sind schmückendes Beiwerk, die dem Manne zu dienen haben – inklusive seiner sexuellen Bedürfnisse. Kennzeichnendes Beispiel: Einer Freundin wurde nach ein paar Monaten ihre neue Stelle gekündigt. Der Grund: Die junge Mutter nahm nicht an den Trinkgelagen mit Kollegen und Kunden teil. Der Chef gab an, er habe sie eigentlich als hana (eigentlich „Blume“, hier aber im Sinne von „schmucker, weiblicher Begleitung“) eingestellt, und da sie dieser Aufgabe nicht nachkäme, hätte er keine Verwendung für sie. Natürlich stand davon absolut nichts in der Stellenanzeige – man suchte eine Bürogehilfin.

Die gyara nomi sind letztendlich nur eine logische Fortsetzung des enjo-kōsai-Modells援助交際, bei denen junge Frauen (oft noch Oberschülerinnen) für gutes Geld und teure Geschenke ältere Männer begleiten. Die Hemmschwelle scheint dafür in Japan (noch?) gering zu sein, da zum Beispiel das zur Keuschheit mahnende Christentum fehlt, aber das ist nur eine von vielen Ursachen. So gesehen ist man von der #MeToo-Debatte und einer breiten gesellschaftlichen Diskussion zum Thema Frauenrechte noch ein gutes Stück weit entfernt. Die Behauptung, dass 100 % aller japanischen Frauen sexuelle Gewalt erfahren, kann man allerdings so auch nicht stehen lassen.

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