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Im Gespräch mit dem japanischen Regisseur Yukisada Isao

Kei Okishima
Kei Okishima

Auf der Berlinale gewann Yukisada Isao mit seinen Filmen „Parade“ und „River‘s Edge“ den FIPRESCI-Jurypreis. Seine zahlreichen Verfilmungen von Romanen und Mangas feiern weltweit Erfolge. Nach welchen Maßstäben wählt er die Werke aus und wie setzt er diese um?

Regisseur Yukisada Isao

Der preisgekrönte japanische Filmregisseur Yukisada Isao, geboren 1968 in der Präfektur Kumamoto, ist vor allem für seine Verfilmungen von Mangas und Romanen bekannt. Dabei sind Meisterwerke wie “Parade” (2010) und “River’s Edge” (2018) entstanden, die national wie international, z.B. auf der Berlinale Preise wie den FIPRESCI-Jurypreis erhielten. Vor allem sein Film “GO” (2001), in dem es um einen rebellischen Teenager koreanischer Abstammung geht, der sich nach dem Wechsel an eine normale, japanische Oberschule mit Rassismus und der ersten großen Liebe konfrontiert sieht, thematisiert bis heute existierende gesellschaftliche Spannungen zwischen Japan und Korea. Bei den Japanese Academy Awards räumte der Film diverse Preise ab, u.a. als Bester Regisseur und Bestes Drehbuch.

Im Interview mit JAPANDIGEST erzählt er uns mehr über seine interessante Arbeit und Intentionen als Regisseur, was einen guten Film wirklich ausmacht und wie er die Lage der aktuellen japanischen Filmindustrie bewertet.


Zunächst, was halten Sie als Regisseur von Deutschland?

Für mich ist Deutschland ein Land der „Wohltäter“. Damit meine ich, dass auf der Berlinale meine Filme einem europäischen Publikum vorgestellt werden; man kann daher sagen, dass dieser Ort wie ein „Tor zur Welt“ ist. Besonders 2002, als mein Film „GO“ (2001) dort gewürdigt wurde, wurde dieser erst auf der ganzen Welt bekannt.

Woher kommt Ihre Leidenschaft zum Film?

Während meiner Grundschulzeit habe ich das in meiner Heimatstadt gelegene Schloss Kumamoto besichtigt, als es Drehort von Filmregisseur Kurosawa Akiras „Kagemusha“ war. Die Atmosphäre des Filmsets und der fertige Film haben mich inspiriert.

Ihre Vorlagen sind häufig Romane oder Mangas, doch was lässt in Ihnen den Wunsch aufkommen, diese verfilmen zu wollen?

Mir ist es wichtig, dass sie zu meinen eigenen Gefühlen passen. Der Schlüssel dazu liegt darin, ob ich selbst ähnliche Erfahrungen gemacht habe oder ob ich meine inneren Emotionen zum Ausdruck bringen kann. Ich denke nur darüber nach, wie ich diese Gefühle zu einem Film machen kann, unabhängig davon, ob es eine Verfilmung oder ein Original ist. Mich interessiert, wie ich ihn inszenieren und gestalten kann. Bei der Verfilmung von Romanen oder Mangas entsprechen die Charaktere zwar dem Original, doch man sollte Charaktere erschaffen, die die Originale noch übertreffen. Die Themen innerhalb der Werke sind von Bedeutung und so versuche ich, meine individuellen Gefühle im Film zu verarbeiten. Meine Werke handeln zwar von alltäglichen Grausamkeiten und tragischen Liebesgeschichten, doch das liegt daran, dass mich die „Menschlichkeit“ reizt. Ich möchte zeigen, dass die wahre Natur des Menschen zutage tritt, wenn er auf Hindernisse stößt. Dies soll nicht auf dramatische Weise zum Ausdruck gebracht werden, sondern bestenfalls in Form von universellen Ereignissen, die jedem passieren können. Ich persönlich denke nicht, dass ein Film so sehr eine Handlung braucht. Man kann auch Filme drehen, in denen Menschen im langweiligen Alltagsleben deutlich hervorstechen können.


“Die Tiefe von Zeit und Raum kann nur durch den Film ausgedrückt werden.”


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Was motiviert Sie bei der Arbeit am meisten?

Wenn in einem schönen Moment zufällig das Licht hervortritt. Doch da sich dieser Augenblick sofort verändert, ist es wohl eher die Jagd auf diese zur Erinnerung gewordene Szenerie. Die Tiefe von Zeit und Raum kann nur durch den Film ausgedrückt werden. Damit meine ich, dass es nur im Film möglich ist, Zeitsprünge zu machen und in nur einem Wimpernschlag den Ort zu wechseln, ohne dass weitere Erklärungen nötig sind.

Vor knapp zwanzig Jahren erschien der Film „GO“. Hat sich die zainichi-Problematik* seither verändert?

Ich hörte viele Stimmen, die sagten, dass „GO“ sie überhaupt erst auf die zainichi-Problematik aufmerksam gemacht hat. Es scheint, als ob diese ethnischen Grenzen in den letzten 20 Jahren kleiner geworden sind. Dennoch gelten Japan und Korea immer noch als „nah und doch so fern“ und schleppen bis heute ihre politische Vergangenheit mit sich herum. Es ist Fakt, dass viele Menschen die lange Geschichte zwischen den Ländern belastet. Diese Wahrheit darf man auf keinen Fall vergessen, man muss über die Ereignisse Bescheid wissen. Wir müssen die Kultur und Geschichte unserer beiden Länder kennenlernen, denn gerade die Kultur muss das Tor zur Beziehung zwischen Japan und Korea sein. Auch bezüglich der zainichi-Problematik konnten wir durch Verständnis und enge Zusammenarbeit langsam neue Beziehungen zueinander aufbauen.



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Welche unterschiedlichen Reaktionen erhielten Sie aus dem Ausland, als ihre Filme veröffentlicht wurden?

Ein Punkt, der anders ist, sind die Stellen, an denen gelacht wird. Japaner lachen selten mit lauter Stimme. Als im Film „River’s Edge“ gezeigt wurde, wie Oberschüler Drogen nehmen und in der Schule Sex haben, herrschte eine Grabesstille im Saal. Es war, als ob dieses Thema noch schwerer als in Japan aufgenommen wurde. Nach der Filmvorführung konzentrierten sich die Fragen darauf, ob dieses Verhalten der Oberschüler wirklich realistisch sei. Es schien wohl ziemlich schockierend gewesen zu sein.

Welche Filme von anderen Regisseuren haben Sie besonders inspiriert oder beeindruckt?

Naruse Mikios „Ukigumo“ (Treibende Wolken, 1955). Der Film zeigt die Faulheit eines Mannes, die Hingabe einer Frau und die Hilflosigkeit beider, sodass man glaubt, die Essenz des Menschen zu erkennen. Unter den deutschen Regisseuren hat mich am meisten Wim Wenders beeinflusst, insbesondere sein Film „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1972). Die Unfähigkeit und die unheimliche Aura des Protagonisten, während im unbekümmerten Fluss der Zeit Nichtigkeit und Einsamkeit deutlich hervorgehoben werden. Als ich noch jung war, war ich überrascht und überwältigt davon, dass Filme solche Dinge zum Ausdruck bringen können.

Eröffnung der Berlinale 2018: (v. r.) Yukisada Isao, Nikaidō Fumi, Yoshizawa Ryō und ein nicht genannter Gast.
Eröffnung der Berlinale 2018: (v. r.) Yukisada Isao, Nikaidō Fumi, Yoshizawa Ryō und ein nicht genannter Gast. © Britta Pedersen/DPA/PA Images

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Gab es Pläne, die trotz langer Vorbereitung nicht umgesetzt wurden, oder die Sie als Regisseur unbedingt verwirklichen wollten, aber nicht konnten?

Ich habe etwa 20 Projekte, die nicht zustande gekommen sind. Da ich glaube, dass diese auch nach langer Zeit ihrer Ära angemessen sind, gebe ich nicht auf. Ich habe zum Beispiel einen Film gedreht, bei dem ich erst nach 10 Jahren den passenden Schauspieler fand. Wenn man seine Pläne realisieren will, darf man nicht aufgeben.

Wie sollte ein idealer Film in Ihren Augen aussehen?

Ein Film muss vielfältig sein. Wenn Sie 10 Regisseure haben, haben Sie 10 verschiedene Methoden. Ein Regisseur muss eine Originalität vorweisen, die nur er besitzt. Im Japanischen gibt es den Ausdruck fueki ryūkō („Unvergänglichkeit und Flüchtigkeit“). Laut dem Haiku-Meister Matsuo Bashō bedeutet es: „Man soll an die wesentlichen Dinge denken, die sich nie verändern und die neuen Dinge berücksichtigen, die ständig im Wandel sind“. Ein Film, der Gefühle, die zu jeder Zeit ihre Gültigkeit haben, auf eine Weise ausdrückt, wie es nur in der Gegenwart möglich ist, wird in Erinnerung bleiben.

Wie schätzen Sie die aktuelle japanische Filmindustrie ein?

Das Problem in Japan ist, dass nur Filme produziert werden, die ihre Produktionskosten wieder einspielen können. Filmpläne werden aufgegeben, wenn sie den internationalen Markt in Angriff nehmen wollen. Man kann sagen, dass in der Branche jedes Potenzial zur Expansion erlischt. Wenn man nur darauf aus ist, Filme zu produzieren, die in Japan große Hits werden, dann geht die Vielfalt verloren und so auch die Einzigartigkeit japanischer Filme. Als ich in den 90ern als Regieassistent arbeitete, hat der Großteil des japanischen Publikums keine japanischen Filme geschaut, weil Hollywood viel beliebter war. Im Jahre 2000, als ich selbst Regisseur wurde, kehrte man zum japanischen Film zurück. Insbesondere meinen Film „Crying Out Loud in the Center of the World“ (2004) sahen sich über sechs Millionen Zuschauer an.

Doch seitdem hat das japanische Publikum nur noch Interesse an Verfilmungen von Bestsellern oder populären Mangas, und so orientieren sich auch die Kreativschaffenden an dieser Zielgruppe. Auf diese Weise werden keine neuen provokativen Filme mit Überraschungen erschaffen oder ambitionierte Werke werden nicht veröffentlicht. Dagegen kämpfe ich zwar, doch es kommt selten vor, dass Filme, die ich nach meiner Vorstellung geschaffen habe, bevorzugt werden. Mit dem Einstieg von Netflix und dergleichen in die Industrie wächst jedoch das Spektrum der Projekte, und hoffentlich erhält die Vielfalt wieder Einzug in die japanische Filmwelt.

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Welche Projekte und Ziele für die Zukunft haben Sie?

In diesem Sommer werde ich etwas verfilmen, das mir in meiner Kindheit passiert ist. Da ich dem Film sehr viel künstlerischen Ausdruck verleihen werde, wird er wohl ein wenig anders als meine bisherigen Werke. Es ist quasi eine Verfilmung meines eigenen privaten Romans. Nach der Hälfte meines Lebens als Regisseur werde ich von nun an wohl eigene Originalfilme drehen. Gleichzeitig habe ich auch vor, grenzüberschreitend im Ausland zu drehen.


Dieser Artikel wurde für die April-Ausgabe des JAPANDIGEST 2020 verfasst und für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.

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