Die japanische Design-Devise der Gegenwart lautet kawaii (かわいい). Das Prinzip des Süßen, Niedlichen und Kindlichen beeinflusst in Japan die Mode und die Musikwelt. Auch große Firmen der Schwerindustrie, die Selbstverteidigungsstreitkräfte und japanische Präfekturen werden von putzigen Maskottchen (kyara vom englischen Character) vertreten, da diese einen freundlichen, weichen Eindruck vermitteln. Auch Roboter und Baustellen-Absperrungen sind auf niedlich designt.
Kawaii ist längst über die Grenzen Japans berühmt und Teil von Cool Japan, einer Image-Kampagne der japanischen Regierung. Cool Japan-Kritiker sind skeptisch, ob die „süße“ Konsum-Kultur der Jetztzeit in einer historischen Linie mit der traditionellen japanischen Ästhetik steht.


Kein Prunk: Japanischer Minimalismus
Im (vermeintlichen) Gegensatz zur bunten, niedlichen Pop-Kultur Japans steht die Maxime der Einfachheit. Sie gilt vor allem im Produkt- und Innendesign als besonders japanisch. An die Stelle von Extravaganz treten schlichte Formen und natürliche Materialien. So folgt z.B. der japanische Einzelhändler MUJI, der heute weltweit Filialen betreibt, im Design seiner Produkte der Philosophie von Schlichtheit (simplicity) und Leere (emptiness).
Der japanische Minimalismus wird häufig auf den Einfluss des Zen-Buddhismus zurückgeführt. Besonders die Samurai der Edo-Zeit pflegten dieses Prinzip, beispielsweise in der Teezeremonie. Sie verzichteten auf den Prunk europäischer Eliten im Barock. Bei der Bemalung von japanischen Wandschirmen byōbu sowie bei Farbholzdrucken ukiyo-e wurden zudem bewusst Stellen freigelassen yohaku, um dem Betrachter Raum zur Entfaltung seiner Gedanken zu geben.

Vergänglichkeit und unperfekte Perfektion
Die Schönheit der Vergänglichkeit mono no aware ist eines der berühmten Ideale der japanischen Ästhetik. Ihr prominentestes Symbol ist bis heute die Kirschblüte, deren Pracht nur während der kurzen Blütezeit währt. Ihr Verblühen soll hakanasa, das wehmütige Gefühl der Flüchtigkeit des Augenblicks, hervorrufen.
Das ästhetische Ideal wabi-sabi, das die Schönheit des Alterns und der Verborgenheit bezeichnet, wird ebenfalls aus den Lehren des Buddhismus hergeleitet und hat noch heute Bestand: So entfalten japanische Gärten ihren wahren Reiz erst mit der Zeit, wenn sich Moos auf den Steinen bildet und Farne natürlich zu wachsen beginnen.

Verschmelzung östlich-westlicher Ästhetik
Mit der Öffnung Japans im 19. Jahrhundert wurde auch japanische Kunst vermehrt nach Europa exportiert. Vor allem die Farbholzdrucke der Edo-Zeit inspirierten eine ganze Generation von westlichen Künstlern zum Japonismus. Die Theoretisierung der japanischen Ästhetik beginnt erst in dieser Zeit. Der Schriftsteller Tanizaki Jun’ichirō grenzt in seinem Essay „Lob des Schattens“ (In’ei Raisan) die in seinen Augen „japanische“ Ästhetik von der westlichen ab.
Indigoblau verbindet Zukunft und Vergangenheit
Das Logo der Olympischen Spiele 2020 in Tōkyō steht fest: Der Künstler Asao Tokolo greift mit einer Kombination blauer Rechtecke das traditionelle ichimatsu-mōyō auf. Das Karo-Muster galt ebenso wie die Farbe Indigo bereits während der Edo-Zeit auf dem Kimono als modisch. Es wird auch heute noch verwendet und als klassisches japanisches Muster identifiziert. Trotzdem greift das Motiv alle Aspekte westlicher Logo-Gestaltung auf.

Heute lässt sich auch westliches Design ohne japanische Einflüsse kaum denken: So hat der Japonismus den Impressionismus und Jugendstil inspiriert, der Minimalismus ist zur Maxime bei moderner Technik geworden und die Niedlichkeitsästhetik ist in der Form von Emoji, Pokémon und Manga längst in Deutschland angekommen.
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