Bei dem Begriff haniwa denkt man sofort an eine kleine Armee reich verzierter Tonstatuetten im koreanischen Stil, die bewaffnete Krieger und talentierte Reiter darstellen. In Wahrheit aber bilden die vermenschlichten Figuren, die den Weg zur Spitze eines Grabhügels schmücken, nur einen kleinen Teil der bekannten Tonkunstwerke. Welchen Zweck erfüllten haniwa und wann wurden sie verwendet? Dienten sie lediglich der Dekoration oder wurde ihnen eine wichtige Aufgabe zuteil?
Ein kurzer Einblick in die Kofun-Zeit
Um die materielle Kultur einer Epoche zu verstehen, ist es wichtig, die Eckdaten und den Zeitgeist zu kennen. Haniwa sind Produkte der Kofun-Zeit (ca. 250-536 n. Chr.), einer Ära des Umbruchs und der Innovation. Koreanische Einwanderer, die vor dem Krieg auf ihrem Heimatkontinent flohen, brachten sowohl Wissen über die Verarbeitung von Edelmetallen als auch neue kulturelle Bräuche mit auf die japanische Insel. Diese setzten sich vor allem in den elitären Kreisen schnell durch und beeinflussten nicht nur das Alltagsleben, sondern führten auch zu neuen Bestattungsformen. Es wurde üblich, verstorbene “Könige” in riesigen kofun (Grabhügeln) zu beerdigen und ihnen haniwa für ihre Reise ins Jenseits mitzugeben.
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Am Anfang war der Zylinder
Der Ursprung der allseits bekannten haniwa-Figuren geht auf die tokushukidai der späten Yayoi-Zeit zurück. Dabei handelt es sich um krugförmige Tongefäße, die reich verziert und mit kunstvollen Mustern bemalt waren. Diese wurden ausschließlich bei Begräbnisritualen bedeutender Persönlichkeiten verwendet und dienten als Grabbeigaben. Ab der frühen Kofun-Zeit nahmen sie zunehmend zylindrische Formen an, woraus sich die entō haniwa (zylindrische haniwa) entwickelten. Diese wurden nicht mehr ausschließlich in die Grabkammer, sondern wie eine Barrikade um den Grabhügel herum platziert, um die Verstorbenen höchstwahrscheinlich vor Flüchen oder bösen Einflüssen zu schützen.

Die Zahl der aufgestellten Exemplare variierte von Grab zu Grab, ging oftmals allerdings in die Tausende. Beim Fundplatz Hodotahachiman-zuka in der Präfektur Gunma konnten ganze 6.000 zylindrische haniwa gezählt werden. Daraus lässt sich nicht nur schließen, dass haniwa eine große Bedeutung hatten, sondern auch, dass es sich bei der Produktion um ein gut organisiertes Verfahren handelte.

Aus Zylindern werden Häuser
Die ersten nach bestimmten Motiven geformten haniwa werden keizō haniwa genannt und datieren je nach Region in die frühe bis mittlere Kofun-Zeit (ca. 3. bis 5. Jh.). Neben den üblichen entō haniwa wurden Tonhäuser und Schilde angefertigt, um die Seelen verstorbener “Könige” auf ihrem Weg ins Jenseits zu begleiten und vor irdischen Gefahren zu beschützen. Diese haniwa wurden nicht mehr nur um den Grabhügel herum, sondern auch an bestimmten Ritualplätzen aufgestellt, die in der Fachsprache tsukuridashi genannt werden. Dabei handelt es sich um eine kleine Plattform, die zwischen dem runden und dem quadratischen Bereich schlüssellochförmiger Gräber (zenpō kōenfun) angebaut wurde und den Übergang in die Welt der Toten darstellte.
Kein anderer Ort beherbergte so viele haniwa wie die tsukuridashi der Grabhügel. Mit voranschreitendem Zeitalter wurden dort neben Haus- und Gefäß-haniwa auch kleine Vögel und nachgebildete Wasseranlagen aufgestellt. Alles, was ein verstorbener Herrscher zum Leben brauchte, wurde ihm in Form von haniwa auf seine Reise ins Jenseits mitgegeben.

Die ersten haniwa-Menschen
Im 5. Jahrhundert nahmen die keizō haniwa zunehmend menschliche und tierische Formen an, die mit Waffen und Rüstungen ausgestattet waren. Diese wurden an gut sichtbaren Standorten bei Grabhügeln aufgestellt, um Angreifer abzuschrecken und dem Volk die militärische Macht ihrer „Könige“ zu demonstrieren. Aus den vermehrt auftretenden kriegerischen Motiven lässt sich erschließen, dass gewaltsame Auseinandersetzungen den Alltag der japanischen Bevölkerung zunehmend beeinflussten. Daraus entnehmen Historiker, dass just zu dieser Zeit zahlreiche Clans, unter denen die in Yamato (heutige Präfektur Nara) ansässigen Herrscher letztlich als Sieger hervorgingen, um die Vorherrschaft im Land kämpften. Diese These wird auch durch Grabbeigaben wie Waffen, Rüstungen oder Reitutensilien gestützt, die ab dem 5. Jahrhundert immer häufiger in die Grabkammern bedeutender Machthaber gelegt wurden.
Neben kriegerischen haniwa entstanden zahlreiche weitere Figuren, die dem Herrscher nicht nur auf militärischer, sondern auch auf religiöser und gesellschaftlicher Ebene Treue beweisen sollten. Von Priestern, Tänzern, Jägern, Ringerfiguren bis hin zur Kavallerie war alles dabei. Forscher gehen heute davon aus, dass die Tonfiguren nicht nur den Schutz des Verstorbenen garantieren sollten, sondern auch die Aufgabe hatten, dessen Lebenserfolge zu dokumentieren.

Die haniwa des modernen Japan
Aufgrund der zahlreichen Formen und ulkigen Gesichtszüge sind haniwa-Nachbildungen zu beliebten Souvenirs geworden, die nach einem Besuch im Tōkyō Nationalmuseum keinesfalls fehlen dürfen. Auch bei den jüngeren Generationen erfreuen sich die Tonfiguren immer größerer Beliebtheit. So entstanden in Zusammenarbeit eines Gachapon-Herstellers mit dem Keramikkünstler Etsu die ochamena haniwa („schelmische haniwa“), kleine Figuren mit überraschten Gesichtern, deren Posenvielfalt von einem Bananen essenden haniwa bis hin zu einem „sexy“ haniwa reicht.
Diese können mittlerweile auch auf Internetseiten wie Rakuten oder Mercari (japanisch) erworben werden. Mit den ursprünglichen Tonfiguren haben die ochamena haniwa nur wenig gemein, schließlich dienen letztere weder als Talismane zur Abwehr böser Geister noch als dreidimensionale Reichsannalen. Dennoch schüren sie das Interesse junger Menschen an der Geschichte ihrer Heimat und halten eine Kultur am Leben, die mit dem letzten kofun-Grab ausgestorben zu sein schien.
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