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Richtig verhalten: 10 Tabus in japanischen Zügen

Matthias Reich
Matthias Reich

Warum funktioniert das japanische Bahnsystem so gut? Mitunter liegt es an der eisernen Disziplin des Personals und dem - in der Regel - rücksichtsvollen Verhalten der Fahrgäste. Hier eine Liste der größten Tabus im japanischen Stadtbahnverkehr.

japanischer Zug mit einsteigenden Passagieren am Bahnhof
Erst aus-, dann einsteigen - in Japan klappt das. (c) すしぱく / pakutaso

Bahn-Tabu Nr. 1: In letzter Sekunde einsteigen

Die klare Nummer 1 ist das kakekomi jōsha (駆け込み乗車), das “stürmische Betreten der Bahn”. Gerade im Berufsverkehr ist das mitunter sehr gefährlich, da die Züge bereits schon sehr voll sind und damit die Gefahr steigt, dass ein Körper- oder Gepäckteil von den Türen eingeklemmt wird. Das führt letztendlich dazu, dass alle Türen wieder geöffnet werden müssen – und nicht selten nutzt ein eilender Fahrgast dann die Chance, das gleiche Procedere von vorn zu beginnen.

Das führt regelmäßig zu, wenn auch relativ kleinen, Verspätungen, und ist bei der hohen Taktung der Züge eigentlich nicht nötig. Wer trotzdem bei schließenden Türen ins Waggoninnere hechtet, wird häufig mit einer eigens für den Übeltäter erstellten Zugdurchsage bedacht. Und dennoch: Kakekomi jōsha ist trotz all der Warnungen keine Seltenheit.

Wer in letzter Sekunde in den Zug springt, behindert oft die Weiterfahrt – unangenehm für alle Beteiligten.

Bahn-Tabu Nr. 2: An der Warteschlange vordrängeln

Man stellt sich an beim Einsteigen, basta. Das funktioniert, da an jedem Bahnhof ganz genau markiert ist, wo die Türen der einfahrenden Züge halten. Darin wird sich auch in 99,99 % der Fälle gehalten – wer sich von der Seite hereindrängelt, outet sich umgehend als schwarzes Schaf und wird dementsprechend entweder sehr schräg angesehen oder weggedrückt.

wartende bahnfahrer am Bahngleis
Markierungen am Boden zeigen an, wo die Türen sich öffnen werden. (c) すしぱく / pakutaso

Bahn-Tabu Nr. 3: Prioritätenplätze besetzen

In vielen Stadtbahnen gibt es “Frauenwaggons” , in denen zu festgesetzten Zeiten nur Frauen und Kinder mitfahren dürfen. Fast alle Passagiere halten sich daran – logisch, wer möchte schon als Mann plötzlich in einem Waggon voller Frauen landen, die dem Eindringling mit festem Blick andeuten, sich schleunigst aus dem Staub zu machen? Das größere Problem ist jedoch die Disziplin bezüglicher der yūsenseki (優先席, wörtlich: Prioritätensitze), oftmals auch “silver seat” (da hauptsächlich für die graumelierten Zeitgenossen gedacht) genannt.

Diese Sitze gibt es in jedem Bahnwaggon und in jedem Bus, und eigentlich sind sie den Alten, Gebrechlichen, Schwangeren und kleinen Kindern vorbehalten, doch die “Ich-setze-mich-trotzdem-hin-und-tue-so-als-ob-ich-nichts-mitbekomme”-Masche ist weitverbreitet, und zwar nicht nur bei den Jüngeren, sondern auch bei gestandenen Männern zum Beispiel. Da kann man selbst hochschwanger direkt vor besagten Sitzreihen stehen und warten, bis man schwarz wird.

Schwangere erkennt man in Japan übrigens nicht nur am runden Bauch, sondern auch oft an einem bekannten Anstecker mit der Aufschrift “Baby im Bauch” (ob das immer so stimmt, steht auf einem anderen Blatt, so manche Japanerin steckt sich das auch an, um einfach in Ruhe gelassen zu werden….)

sitzende Bahnfahrer in Japan
Bahnreisende auf Prioritätensitzen. (c) Matthias Reich

Bahn-Tabu Nr. 4: Handygespräche

Auch darauf wird dutzende Male während einer Bahnfahrt sowie auf unzähligen Plakaten und Aufklebern gewarnt: Das Handy soll auf manā mōdo (マナーモード), also auf lautlos gestellt werden, Gespräche sollen nicht angenommen werden. Der Grund liegt natürlich auf der Hand – wer will in vollbesetzten Zügen schon unfreiwilliger Zeuge von Telefonanrufen werden, ganz zu schweigen von fremder Leute Klingeltöne?

Interessant daran ist, dass man sich im Raum Tōkyō auch größtenteils daran hält. Da geht höchstens mal jemand leise flüsternd ans Telefon, um sich zu entschuldigen, dass man gerade im Zug sei und gleich wieder zurückrufe. Im Raum Ōsaka scheren sich weitaus weniger Menschen um das Verbot. Dementsprechend ist das, was man zu hören bekommt, wenn mal einer in Ōsaka im Zug am Handy quasselt, breitester Kansai-Dialekt. Das können Japanbesucher des Interssantheitsfaktors wegen dann auch schon mal verzeihen.

ein Plakat zum richtigen Verhalten in japanischen Zügen
Wer im Zug in Japan nicht unangenehm auffallen will, stellt sein Handy auf lautlos. (c) Matthias Reich

Bahn-Tabu Nr. 5: Lautstarkes Reden

Über die Reihenfolge lässt sich streiten, aber ausländische Besucher, vor allem in der Gruppe, fallen erstaunlich häufig durch übermäßig laustarke Unterhaltungen auf – das wird in Japan als ziemlich unangenehm empfunden, ob es nun in der eigenen Sprache ist oder nicht. Dieses Tabu wird natürlich gelegentlich auch von Japanern gebrochen – vor allem nachts, wenn die Betrunkenen die Züge füllen.

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Bahn-Tabu Nr. 6: Aufdringliches Parfüm oder Rasierwasser

Vor allem in vollbesetzten Zügen hat man nicht selten schon mit diversen Körperausdünstungen, inklusive Mundgeruch, zu kämpfen. Da braucht man nicht noch extra stechende Parfüme und dergleichen. Zum Glück hält sich der Großteil daran.

Bahn-Tabu Nr. 7: Essen

Was zu einer Shinkansen– oder Überlandfahrt einfach dazu gehört, ist in den Stadtbahnen eher verpönt: Das S- in S-Bahn steht nicht für Essen. Dabei ist das Essen als solches kein Problem – es sind die Gerüche und Geräusche, die man in den vollbesetzten Zügen ganz sicher nicht braucht.

Bahn-Tabu Nr. 8: Schalldurchlässige Kopfhörer

Nein, auf die Enka (japanische Schlagermusik) oder den Death Metal des Nachbarn kann man gern verzichten. Aber immerhin benutzt jeder wenigstens Kopfhörer…

eine grafik zu Fehlverhalten in japanischen Zügen
Auch von Halloweenparties im Zug sollte abgesehen werden. (c) Matthias Reich

Bahn-Tabu Nr. 9: Rucksack auf dem Rücken

Es gibt große und kleine Menschen, so ist das nun mal. Den Rucksack in einer vollbesetzten Bahn zu schultern ist da schon ziemlich fies – eine kurze, unvorsichtige Drehung, und schon hat der Hintermann oder die Hinterfrau das Malheur.

Bahn-Tabu Nr. 10: Lautes Naseschneuzen

Laut schmatzen oder Nase-Hochziehen ist in Japan üblich, aber Schneuzen muss leise vonstatten gehen. Tōkyō ist “dank” des vielen Bahnverkehrs mit permanent überfüllten Bahnen übrigens Erkältungshauptstadt – wer vorsichtig ist, greift da besser zur in Japan allseits beliebten Gesichtsmaske.

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