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Die Politik von Abe Shinzō und ihre Baustellen

Matthias Reich
Matthias Reich

Aus gesundheitlichen Gründen verkündete Japans nun Ex-Premierminister bereits zum zweiten Mal seinen Rücktritt. Abe Shinzōs Amtszeit war geprägt von aggressiver Geldpolitik, diversen Skandalen und letztlich auch der Corona-Pandemie, die einen Schatten auf sein politisches Erbe werfen.

Abe Shinzô bei Pressekonferenz
Ex-Premierminister Abe Shinzō nach der Pressekonferenz am 28. August 2020, bei der er seinen Rücktritt verkündete. © Franck Robichon/Xinhua News Agency/PA Images

Aufmerksame Beobachter waren nicht sonderlich verwundert über die Rücktrittsankündigung des Premierministers Abe Shinzō – seine öffentlichen Auftritte wurden immer seltener und seine Gesichtsfarbe immer blasser. Immerhin hat er gerade noch so den Titel des „am längsten regierenden Ministerpräsidenten Japans“ erreicht. Zeit, zu reflektieren: Was bleibt von seiner Amtszeit und welche Baustellen werden von ihm hinterlassen?

Abe Shinzō hat zwei Mal das Land geführt – beim ersten Mal von 2006 bis 2007, jedoch nur ein Jahr, dann trat er aus gesundheitlichen Gründen zurück. Aus diesem Grund war der zweite Rücktritt keine große Überraschung – sein chronisches Leiden hat ihn wieder eingeholt, möglicherweise begünstigt durch den Stress, den die Corona-Situation mit Sicherheit verursacht hat. Acht lange Jahre, in der japanischen Politik eine richtige Sensation, war Abe am Steuer. Kritiker warfen und werfen ihm noch Hemdsärmeligkeit vor, vom Anti-Intellektuellen ist die Rede, oder von einem japanischen Trump-Verschnitt. Darüber lässt sich streiten, aber Freunde und Gegner sind sich einig, dass Abe ein Stoiker vor dem Herren ist, der die Opposition nicht mit Samthandschuhen anfasst und das Talent dazu hat, jeglichen Skandal (und davon gab es in seiner Amtszeit reichlich) an sich abperlen zu lassen. Seine souveränen Auftritte waren beliebt, und es sah lange Zeit nicht so aus, als ob ihm jemand das Wasser reichen könnte. Dennoch sanken seine Zustimmungswerte rapide während der letzten Monate – im Zuge der Corona-Krise wurde ihm von der Mehrheit der Bevölkerung Führungsschwäche vorgeworfen.

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Bescheidene Wirtschaftsreformen

Abes erklärtes Ziel war es, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, und das sollte mittels eines ganz bescheidenen, „Abenomics“ genannten Maßnahmenpakets geschehen. Unter etwas veränderten Vorzeichen hatte das schon einmal jemand versucht – damals wurde es „Reaganomics“ genannt. Drei Grundpfeiler gab es für das Programm (im Japanischen sprach man allerdings von „Pfeilen“):

  1. Aggressive Geldpolitik: Seit Jahrzehnten kämpft Japan mit einer Deflation, die beendet werden sollte
  2. Flexible Steuerpolitik, vor allem für Unternehmer
  3. Revitalisierung der Wirtschaft

Davon versprach sich Abe wichtige Nebeneffekte: Mehr Produktion und mehr Zuversicht bedeuten eine höhere Binnennachfrage, die wiederum die Produktion steigert usw. Das Ziel war ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Doch es zeichnete sich schon vor Corona ab, dass es nicht ganz so kommen würde wie geplant. Die Deflation wurde nicht gestoppt, das Wachstum fiel bescheiden aus und lässt sich allein mit der weltweit guten Konjunktur (vor Corona wohlgemerkt) erklären. Zudem haben die ganz normalen Bürger heute im Schnitt 4% weniger verfügbares Einkommen als 2011, bevor Abe an die Macht kam. Ein Grund dafür ist der enorme Anstieg der Teilzeit- und Leiharbeiter und damit ein Trend, der auch in so vielen anderen Ländern um sich greift: Immer mehr Menschen haben, obwohl sie permanent hart arbeiten, kaum Geld übrig. Der Arbeitsmarkt brummt zwar in Japan, und es wurden hunderttausende neue Stellen geschaffen, doch 75% dieser Stellen sind „irregulär“, sprich Teilzeit- oder anderweitig stark begrenzte Stellen.

Außen- und innenpolitische Kontroversen

Auch in der Außenpolitik gibt es Baustellen, aber die gab es schon immer. Abes Kurs war sehr amerikafreundlich, und er kam offenbar sehr gut mit seinem Golffreund Trump aus. Zwei besondere außenpolitische Projekte standen zudem auf seiner Agenda: Die Rückführung einiger vor Jahrzehnten nach Nordkorea verschleppter Japaner, und messbare Fortschritte bei der Verhandlung mit Russland um die Rückgewinnung der Südkurilen, die in den letzten Wochen des 2. Weltkrieges von der Sowjetunion annektiert wurden. In beiden Fällen, das verwundert allerdings kaum, war es leider verlorene Liebesmüh.

Die Änderung der pazifistischen Nachkriegsverfassung, vor allem des Artikels 9, der Japan die Unterhaltung von Streitkräften und kriegerische Aktivitäten verbietet, war ein weiteres Herzensanliegen. Trotz satter Mehrheit im Parlament gelang auch das nicht, doch Abe ließ sich nicht beirren und nahm die Hintertür – mit ein paar Gesetzesänderungen hebelte er quasi den Pazifismusartikel der Verfassung aus. Und noch ein Gesetz war beziehungsweise ist heftig umstritten – jenes zum Schutz von Staatsgeheimnissen, verabschiedet im Jahre 2013. Japan war noch nie für seine hohe Pressefreiheit berühmt, aber vor über 10 Jahren lag es immerhin einmal auf Rang 26 (von 180 Ländern) im internationalen Ranking. Unter der Regierung Abe rutschte man auf einen Rang in die 70er ab.

Mit dem neuen Ministerpräsidenten, Suga Yoshihide, wird sich nicht viel ändern. Der Chefkabinettssekretär war Abes rechte Hand und vertrat schon immer dessen Linie. Allerdings ist Suga diplomatisch sehr unerfahren, weshalb es außenpolitisch holprig werden könnte.

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