Vorgezogene Unterhauswahlen 2024: Japaner rechnen mit Regierung ab

Matthias Reich
Matthias Reich

Tumultartig – anders lässt sich die politische Lage in Japan im Jahr 2024 kaum beschreiben. Der neu gewählte Parteivorsitzende und damit auch automatisch zum Premierminister gekürte Ishiba Shigeru verneinte vorgezogene Wahlen, nur um dann eben diese zu verkünden. Doch die Rechnung hat er ohne das Volk gemacht.

Japans Premierminister und Vorsitzender der Liberaldemokratischen Partei (LDP), Shigeru Ishiba, am 27. Oktober 2024. © Associated Press / Alamy Stock Photo

Euphemistisch könnte man die japanische Nachkriegspolitik als äußerst stabil beschreiben. Immerhin sind seit vielen Jahrzehnten die Liberaldemokraten stärkste Kraft, mit einem nur kurzen Hiatus von 2009 bis 2012. Schaut man genauer hin, zeichnet sich zwar ein anderes Bild ab – seit Bestehen der Verfassung im Jahr 1947 sah man in Japan 33 Premierminister kommen und gehen, während es in Deutschland seit 1949 nur 9 Wechsel gab – doch eine gewisse Stabilität in der Parteienlandschaft lässt sich nicht leugnen.

Mit den nun doch vorgezogenen Neuwahlen am 27. Oktober 2024 wollte der frischgebackene Premier und Politikveteran Ishiba Shigeru Bestätigung für seinen Regierungskurs erhalten. Doch der Schuss ging nach hinten los, denn der viel propagierte Neustart war letztendlich nicht das, was versprochen wurde. Eigentlich wollte Ishiba in der Partei aufräumen und all jene außen vor lassen, die in Spendenskandale verwickelt waren. Im Wesentlichen ging es dabei um Spendengalas, die von zahlreichen Parteigranden abgehalten wurden. Dabei nahmen Politiker bis über umgerechnet eine halbe Million Euro an Spenden ein, doch die wurden nie richtig deklariert – und der Verwendungszweck lag und liegt im Dunklen. Mehr als 30 Abgeordnete der Liberaldemokraten waren verwickelt. Letztendlich bestand die Strafe jedoch nur darin, dass besagte Politiker ohne Parteiunterstützung Wahlkampf betreiben mussten, ansonsten aber nach wie vor von der Politik an Regierungsgeschäften beteiligt wurden. Das kam bei den Wählern nicht gut an, denn nach einem Großreinemachen sieht das nicht aus.

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Ein unerwarteter Wahlausgang

Der Wahlkampf fiel entsprechend kurios aus: Vielerorts sah man Politiker, die sich erstmal reihum entschuldigten und versprachen, dass jetzt alles anders werde. Das funktionierte bei einigen Abgeordneten sogar: In Hachiōji im Westen von Tōkyō wurde der Abgeordnete Hagiuda Kōichi wiedergewählt, und dass, obwohl er nicht nur tief im Spendenskandal verwickelt war, sondern auch nachweislich enge Kontakte zur Vereinigungskirche pflegt (in Deutschland besser bekannt als die Moon-/Mun-Sekte). Die Wähler verziehen ihm offensichtlich Beides, in Anerkennung seiner konservativen Gesinnung und der bisher für die Stadt erzielten Leistungen. Doch vielen anderen Abgeordneten erging es nicht so gut. In den 30 Wahlbezirken von Tōkyō errang die oppositionelle Konstitutionell-Demokratische Partei die Hälfte der Abgeordnetensitze, während die regierenden Liberaldemokraten gerade mal auf 11 Sitze kamen. Sowohl die Liberaldemokraten als auch der mitregierende Juniorpartner, die Kōmeitō, büßten ein Viertel ihrer Sitze ein – für Japan ein in dieser Deutlichkeit dann doch überraschendes Ergebnis. Zwar stand nur die Hälfte der Unterhaussitze zur Wahl, dennoch verlor die Regierung nun ihre bequeme Mehrheit im Unterhaus. Zur Erinnerung: Was die Gesetzgebung anbelangt, hat das Unterhaus in Japan das letzte Wort, denn die Abgeordneten können Entscheidungen des Oberhauses außer Kraft setzen.

Die Wahlen haben deutlich gezeigt, dass viele Japanerinnen und Japaner frustriert sind: Während seit ein paar Jahren die Preise kräftig steigen, der Yen stetig fällt und die Wirtschaft schwächelt, jonglieren dutzende Politiker mit Unmengen von Geld, ohne Rechenschaft abzulegen. Die Verquickung von Geld und Politik, anderswo gern auch Korruption genannt, ist ein altes Problem, vor allem bei den Liberaldemokraten, und die Wähler sind es leid. Viele wählten aus dem Grund entweder eine andere Partei – oder sie gingen gar nicht erst zur Wahl: Mit nur knapp 54 % Wahlbeteiligung war dies die drittschlechteste Unterhauswahl seit Kriegsende.

Wird sich nun etwas ändern? Sicher, da die Regierungsparteien nun ihre Mehrheit im Unterhaus eingebüßt haben, sind sie von nun an auf sich gestellt. Theoretisch könnte die Opposition sogar einen neuen Premierminister stellen, wenn sie sich einigen würde – doch das ist unwahrscheinlich. Die meisten Japaner scheinen dies auch nicht zu erwarten. Bei einer Umfrage ein paar Tage nach der Wahl [1] gab zwar mehr als die Hälfte an, Ishiba für nicht vertrauenswürdig zu halten, doch nur 24 % dachten, Ishiba solle aufgrund der Ergebnisse zurücktreten. Damit wird also – vorerst zumindest – Ishiba auf seinem Posten und die Liberaldemokraten im Sattel bleiben. Doch dies war eine dunkelgelbe beziehungsweise hellrote Karte an die Regierung: Schluss mit den Skandalen und der Korruption, kümmert euch um die Belange des Volkes.

Unterhauswahlen in Japan: LDP gewinnt erwartungsgemäß – Überraschungen gab es dennochAm 31. Oktober 2021 waren alle stimmberechtigten Japaner dazu aufgerufen, ein neues Unterhaus zu wählen. Die Wahlen bestimmten zwar im Wesen...16.11.2021


[1]  Siehe hier: https://www.asahi.com/ajw/articles/15494098

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