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Trennung von Staat und Religion: Bringt Abe Japans Laizismus in Gefahr?

Hannah Janz
Hannah Janz

Die aktuelle japanische Verfassung schreibt eine säkularistische Trennung von Staat und Religion vor. Was aber passiert, wenn sich ein Premierminister wie Abe Shinzō wieder auf den Topos Japans als „Land der Götter“ beruft?

Ise-Schrein G7 Ise jingu Abe Merkel
Screenshot der Homepage zum G7-Treffen im Mai 2017, links Premierminister Abe mit Staatsoberhäuptern am Ise-Schrein. © Japanisches Außenministerium / MOFA

Wussten Sie, dass bei royalen Empfängen das japanische Kaiser-Ehepaar als erstes angesprochen und begrüßt werden muss? Schließlich handelt es sich um eines der letzten verbliebenen Kaiserhäuser, und Kaiser kommen im Protokoll nun einmal vor Königen.

Der aktuelle Tennō Akihito blickt auf 117 Vorgänger und 8 Vorgängerinnen zurück. Das japanische Kaiserhaus ist, je nach Datenlage, bis ins 6. Jahrhundert n.Chr. zurückzuverfolgen. Das macht es zu einem der ältesten Herrschergeschlechter der Welt.

Wenn man dem genealogischen Mythos glaubt, bestieg Kaiser Jimmu den Chrysanthementhron bereits 1200 Jahre zuvor – als direkter Nachkomme der Sonnengöttin Amaterasu.

So behaupten es Kojiki und Nihonshoki, die zwei ältesten Schriften Japans, die historiografisch angelegt sind, de facto aber die Herrschaft der Regierenden im 8. Jahrhundert legitimieren sollten. Die Abstammung von den Göttern machte die Kaiser stets zu den obersten Priestern des Shintō, der genuinen Religion Japans.

Seinen göttlichen Status verlor Japans Tennō mit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg und durch die neue Verfassung von 1947. Seine mythische Verbrämung büßte Kaiser Hirohito ein, als er sich in einer Radioansprache an sein Volk wandte und Japans Kapitulation erklärte: Sein Volk hatte nie zuvor die Stimme des von Göttern Abstammenden gehört.

Bedeutung der Religion im modernen Japan

In der heutigen Welt herrschen nun andere Götter. „Auch dieses Jahr kommt die Wirtschaft zuerst“, so Premierminister Abe Shinzō in seiner Neujahrsansprache am 3. Januar 2017.

Wer über Japan liest, liest oft, dass viele Japaner gleichzeitig Buddhisten und Shintoisten sind. Geheiratet wird shintoistisch, gestorben wird buddhistisch. Der Buddhismus wird vor allem für jenseitige Zwecke genutzt, Shintō für diesseitige.

Und genau hier geht es den Politikern wie den Göttern: Premierminister Abe Shinzō verfolgt implizite Absichten, Religion und Staat wieder zusammenzubringen, um seine ganz diesseitigen, national ausgerichteten Ideale durchzusetzen.

Abe besucht zu Neujahr regelmäßig den wichtigsten Schrein des Shintō, den Ise Jingū in der Präfektur Mie – hier wird die Sonnengöttin Amaterasu verehrt, die Urmutter des japanischen Kaiserhauses.

Der Besuch zog auch dieses Jahr wenig Aufmerksamkeit der Medien auf sich: In Ise werden nur Götter verehrt, keine Kriegsverbrecher wie im kontrovers diskutierten, trotzdem aber immer wieder von konservativen Politiker besuchten Yasukuni-Schrein in Tōkyō.

Abe selbst besuchte den Yasukuni-Schrein zuletzt im Dezember 2013. Aufgrund territorialer Streitigkeiten um die Senkaku-Inseln mit der Volksrepublik China unterließ er weitere Besuche, sandte im Oktober 2016 aber eine Opfergabe (Japan Digest berichtete).

Auch die Staatsspitzen der G7 besuchten im Mai 2016 im Zuge des G7-Gipfeltreffens den Ise-Schrein – auf Abes persönliche Einladung hin. Aber: Ist der Ise-Schrein nur ein Symbol der reichhaltigen japanischen Tradition, eingebettet in schöne Natur, nach minimalistischen Kriterien erbaut? Oder hat der Bezug zum Shintoismus eine tiefergreifende politische Dimension?

Politik und Religion in Japan

Der Tennō ist zwar nachwievor oberster Priester des Shintō. Dabei kommt ihm aber nur rein zeremonielle Bedeutung zu. Wie die Debatte um die Abdankung von Kaiser Akihito zeigt (Japan Digest berichtete), ist er heute vielmehr Objekt politischer, juristischer – und vor allem extern getroffener, demokratisch legitimierter – Entscheidungen.

Wie sieht es aber aus mit der Religion und den demokratisch gewählten Volksvertretern? Die Verfassung ist da eindeutig: Artikel 20 sagt, dass der Staat und alle seine Organe sich nicht an religiöser Erziehung oder anderen religiösen Aktivitäten beteiligen dürfen – also strikte Trennung von Staat und Religion, Laizismus, weltliche Ausrichtung.

Aus diesem Grund besuchen hochrangige Politiker den Yasukuni-Schrein nicht in offizieller Funktion, sondern als Privatpersonen – von den diplomatischen Implikationen eines solchen Besuches ganz abgesehen.

Und so kritisieren japanische Politikbeobachter Premierminister Abes Entscheidung, die Staatsspitzen der G7 nach Ise zum Großschrein einzuladen, denn Abe beruft sich dabei nicht nur auf die kulturell gewachsene Tradition Japans. Er beruft sich auf die Ursprungsmythen, die untrennbar mit jenem Kaiserkult verbunden sind, der Japan einst in einen kriegstreiberischen Nationalismus führte.

Verfassungsänderung: Verknüpfung mit Revisionismus

Zwar wurde die von der Besatzung vorgeschlagene Verfassung 1947 vom japanischen Parlament bestätigt, ist also demokratisch legitimiert. Dass nach US-amerikanischem Willen aber der Tennō durch Japans Niederlage und die Verfassung seine Göttlichkeit verlieren sollte – das verhinderte den Kapitulationswillen der politischen Elite und den Willen, die Verfassung als etwas anderes als aufoktroyiert anzuerkennen.

Die konservativen Politiker sind sich einig: Japan ist entgöttlicht, entmystifiziert durch die beschnittene Rolle des Kaisers in der Verfassung von 1947, aufgezwungen durch die US-Besatzung. Dieser Stachel im Nationalverständnis sitzt tief. Die neue Verfassung hat aber nicht umsonst die Göttlichkeit des Kaisers als Bezugspunkt nationalistischer Ideologie entfernt: Nie wieder sollte unter diesem Vorwand Japan internationale Aggression ausüben.

Und so strebt die konservative, nationalistisch ausgerichtete Elite Japans danach, diese Verfassung zu revisionieren. Premierminister Abe sagte gar, dass diese Verfassungsänderung, eines seiner persönlichen Großprojekte, seit Gründung der Liberaldemokratischen Partei im Jahre 1955 deren oberstes Ziel gewesen sei.

Abes Ziel ist es, Verfassungsartikel 9 zu ändern. Dieser erlaubt Japan nur die individuelle Selbstverteidigung. Bisher bahnte die Abe-Regierung noch keinen konkreten Versuch zur Verfassungsänderung an, setzte sich für aber eine Neuinterpretation der Verfassung ein, um kollektive Selbstverteidigung zu ermöglichen (Japan Digest berichtete).

Abe Shinzō: So religiös wie kein anderer Nachkriegs-Premierminister

Abe orientiert sich stark am Shintō und macht keinen Hehl daraus, dass er der Religion mehr politisches Gewicht einräumen möchte. Er ist Mitglied der Shintō seiji renmei 神道政治連盟, einer Organisation, die sich auf Englisch Shinto Association of Spiritual Leadership nennt, deren japanischer Name aber eher mit Bündnis für Shintō und Politik zu übersetzen ist.

Die Organisation setzt sich dafür ein, die Interessen des Shintō durch hohe politische Funktionäre vertreten zu lassen. Der handfeste Bezug zu einer nur mythisch belegten Vergangenheit verweist auf ihr nationalistisches, auf den Kaiser ausgerichtetes Verständnis des eigenen Landes – Japan eben als „Land der Götter“.

Zum Ideal erklärt die Organisation die Meiji-Verfassung von 1890: Nach dem Ende des Tokugawa-Shogunats 1868 reinstallierte diese den Kaiser und machte ihn zu jener zentralen Säule, an der sich Volk und Politik ausrichten sollten – und später auch der Militarismus.

Deshalb bedeutet die von Abe angestrebte Verfassungsänderung für viele kritische Beobachter nicht nur eine sicherheitspolitische Neuausrichtung, sondern den Versuch, die grundlegende Idee der japanischen Verfassung außer Kraft zu setzen: Für alle Zukunft japanische Aggression zu verhindern – und dazu alle gefährdenden Faktoren wie den Kaiserkult oder die Unterhaltung einer kriegsfähigen Armee zu unterbinden.

Dieser Argumentation nach wird Abes religiöses Verständnis, das sich um den Kaiser zentriert, zu einem die Verfassung gefährdenden Faktor. Noch gibt es keine konkrete Umsetzung – die Hinweise mehren sich aber.

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