Japanisches Mentorenprogramm: Senioritätsprinzip Sempai – Kōhai

Christiane Süßel
Christiane Süßel

Der Respekt gegenüber höher Gestellten und Älteren bestimmt in Japan die zwischenmenschlichen Beziehungen. Ausgeprägt ist es im System von Sempai-Kōhai. Es findet sich sowohl in der Schule als auch der Universität, im Sport wie auch am Arbeitsplatz wieder.

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Für Kōhai gilt eine Etikette. Dazu gehört sowohl die Verbeugung vor ihrem Sempai als auch das Verwenden der Höflichkeitssprache. (c) Akuppa John Wigham CC 2.0 Generic

Es ist eine konfuzianistische Tugend, Älteren Respekt zu zollen. Aus diesem Senioritätsprinzip hat sich in Japan ein System geformt – das Sempai-Kōhai-Beziehungsgeflecht. Sempai (先輩) ist dabei der Ältere, höher Gestellte und Kōhai (後輩) der Jüngere oder Unterstellte. Das System basiert darauf, dass dem Älteren mehr Erfahrung zugesprochen wird und er daher die Anerkennung des Jüngeren verdient. Alter ist dabei nicht zwingend das tatsächliche Lebensalter, sondern vielmehr die Länge der Zugehörigkeit zu der Institution, der beide angehören. Ein Student im vierten Semester ist dabei einem Zweit- oder Erstsemester „überlegen“. Das gilt auch, wenn der Kōhai tatsächlich älter ist als der Sempai.

Götter, Adlige, Untergebene und Sklaven

Seinen Ursprung hat dieses System in den japanischen Kampfsportarten. Hier übernimmt der Sempai, der oft Träger eines höheren Gürtels ist, die Ausbildung der ihm Unterlegenen. Die Sempai-Kōhai-Beziehung ist vor allem in der Junior und Senior High School aber auch an der Universität unübersehbar. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die Bildungsinstitutionen. Spielfeld dieser Beziehungen sind vor allem die Sportclubs und die Kultur-AGs der Schule oder Uni. Aber sie reichen auch weit ins Berufsleben hinein. An den Unis gilt der Satz: „Ein Gott im vierten Jahr, ein Adliger im dritten, ein Untergebener im zweiten und ein Sklave im ersten Jahr.“

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Das Sempai-Kōhai-System hat seinen Ursprung in den traditionellen Kampfkünsten. (c) Schnuffel2002 / CC BY-SA 3.0

Die Sempai-Kōhai-Beziehung ist für die meisten Schüler während ihrer Schulzeit in der Junior und Senior High School die prägende Beziehung, so eine Untersuchung von Wissenschaftlern der Waseda und Tsukuba Universität. Besonders die Schüler der ersten Klassen der Junior und Senior High School gaben das an. Die Wissenschaftler fanden dabei heraus, dass Mädchen diese Beziehung ernster nehmen als ihre männlichen Mitschüler. Und: Das Beziehungsgeflecht tritt in Schul-AGs mit hoher kompetitiver Ausrichtung – meist im Sport – stärker zu Tage als in etwa kulturell geprägten Schulclubs.

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Vor allem in Sportclubs wird die Sempai-Kōhai-Beziehung sehr ernst genommen. (c) Pokotarou CC BY-SA 3.0

Ehrerbietung auch in der Sprache

Die Beziehung zwischen dem Sempai und seinem Kōhai ist auf den ersten Blick von Respekt und Ehrerbietung geprägt. So wird von dem Kōhai erwartet, dass er den Sempai mit dem Namenszusatz „xy-Sempai“ anspricht und ihm gegenüber die Höflichkeitssprache Keigo (敬語) nutzt, die sich der desu-masu-Form bedient. Der Sempai hingegen redet seinen Kōhai mit „xy-san oder xy-kun“ an oder lässt den Zusatz gar ganz weg. Dieses sogenannte Yobisute (呼び捨て) ist sehr unhöflich. Es wird unter Umständen erwartet, dass sich Kōhai vor ihrem Sempai verbeugen, wenn sie ihn treffen.

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In Uni-Sportclubs haben vor allem die Sempai das Sagen. (c) Jorge Hernandez Valinani CC BY 2.0

Anweisungen des Sempais müssen befolgt werden. Vor allem in den Sportclubs müssen Kōhai ihren Sempai Gefälligkeiten erweisen. Oft heißt das, dass ein Kōhai die Sportsachen der Älteren waschen muss, Botengänge macht oder sonstige niedere Arbeiten erledigt. Im Gegenzug nimmt der Sempai ihn unter seine Fittiche und gibt seinen Erfahrungsschatz an den Kōhai weiter und fördert ihn so. Nicht zuletzt funktioniert dieses System, weil jeder einmal im Laufe seiner Karriere die Rolle des Kōhais und Sempais übernimmt.

Sempai: Mentor oder Schikaneur

Die Beziehung ist dabei auf den zweiten Blick auch ein Geben und Nehmen. Sempai haben nicht einfach bloße Macht über den Kōhai, sondern sie empfinden ihre Aufgabe auch als Ehre und Verantwortung. So wird etwa vom in der Regel besser verdienenden Sempai erwartet, dass er bei Trinkgelagen die Rechnung seines Kōhais begleicht. Dieser muss dafür seinen Sempai geduldig die Gläser nachfüllen. Aber die Sempai übernehmen auch Verantwortung. So können erfolgreiche Sempai in ihrer Firma ein gutes Wort für ihre Kōhai einlegen, diese also protegieren. Sie helfen ihren Schützlingen, sich in der neuen Firma zu orientieren und einzuleben. Das System ist so ein tradiertes und funktionierendes Mentorenprogramm.

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Sempai können Kōhai aus ihrer Schulzeit beim Eintritt in eine Firma protegieren. (c) Dick Thomas Johnson CC BY 2.0

Doch es ist auch hier nicht alles Gold, was glänzt: Natürlich gibt es nicht nur ehrenvolle Sempai. Vor allem in Sportclubs in den Schulen arten Sempai-Anweisungen mitunter in Schikanen (ijime いじめ) aus. Kōhai werden etwa gedemütigt. Ein Problem taucht auch dann auf, wenn ein Sempai in einer Firma ein Problem mit dem übergeordneten Chef hat, dem sowohl der Sempai als auch der Kōhai unterstellt sind. Gibt der Sempai dann unpassende Kommandos muss der Kōhai ein Gespür dafür entwickeln, wie er sich am besten verhält, um nicht bei beiden anzuecken.

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