Am 18. und 19. Januar 2025 fanden in Japan – wie jedes Jahr – die allgemeinen Aufnahmeprüfungen für Universitäten statt. Knapp eine halbe Million junge Japaner:innen nahmen daran teil. Bei diesem ersten Aussiebverfahren geht es darum, an welche der über 800 Universitäten die angehenden Studierenden lernen können. Viele umgehen die schweren Prüfungen, in dem sie mittels Empfehlungen und anderen Methoden an Universitäten gelangen, doch der Großteil muss hier durch.
In Japan gibt es 86 staatliche, 99 kommunale und 607 private Universitäten – eine große Auswahl also. Dabei lässt sich nicht ohne weiteres sagen, welche besser ist. Es gibt bei allen Trägerschaften renommierte wie weniger angesehene Universitäten, doch da die Studiengebühren bei den öffentlichen Unis gedeckelt sind und die Popularität daher groß ist, ist es naturgemäß schwer, an diese zu gelangen. Doch selbst bei den staatlichen und kommunalen Universitäten muss man mit Studiengebühren um die 2,5 Millionen Yen, umgerechnet ca. 15.000 Euro, für das im Schnitt vierjährige Studium rechnen. Und da sind natürlich andere Kosten wie Unterkunft und dergleichen nicht mit inbegriffen. An privaten Universitäten können die Kosten gern auch mal das Doppelte betragen.
Langfristige Belastung durch Studienschulden
Viele Familien bereiten sich quasi seit der Geburt der Kinder darauf vor, indem sie eine „Bildungsversicherung“ abschließen – das ersparte Geld wird dann ausgezahlt, wenn es so weit ist. Bei anderen Familien springen die Großeltern auch mal ein. Doch nicht alle Familien sind mit genügend Geld gesegnet, zumal die Kosten natürlich bei mehreren Kindern enorm ansteigen. Für diese Fälle gibt es in Japan zwar Stipendien, doch ein staatliches BAFöG-System wie in Deutschland gibt es in diesem Sinne nicht. Bei Stipendien wird zwischen der „Ersten“ und „Zweiten“ Kategorie entscheiden. Bei der 1. Kategorie handelt es sich um ein zinsloses Darlehen, welches nach Studienende in voller Höhe zurückbezahlt wird. Bei der 2. Kategorie werden Zinsen in Höhe von maximal 3 % fällig.
Bei einer im Jahr 2022 durchgeführten Umfrage unter Stipendiaten[1] stellte man fest, dass knapp die Hälfte der Befragten ein Darlehen der Kategorie 1 erhielten. Im Schnitt erhielten sie ca. 3 Millionen Yen während des Studiums, und diese Summe wurde, im Durchschnitt, über knapp 15 Jahre lang mit Zahlungen von 15.000 Yen pro Monat, also weniger als 100 Euro, abgestottert. Das klingt erstmal nach passablen Bedingungen. Dennoch gab die Hälfte der Befragten an, die Rückzahlung als enorme Belastung zu betrachten. Fast 40 % sagten, dass die abzuzahlenden Schulden einen großen Einfluss auf die Hochzeitsplanung haben (in der Tat nehmen in Japan beim Wort „Schulden“ die meisten potenziellen Ehepartner Reißaus) – für etwa 30 % werde auch der Kinderwunsch durch die Schulden beeinträchtigt. Die Bildungsschulden haben damit also einen direkten Einfluss auf die in Japan seit Jahrzehnten viel zu geringe Geburtenrate – insbesondere wenn man bedenkt, dass mehr als die Hälfte der Studierenden ein Darlehen aufnimmt[2]. Das Problem darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden: Seit 2022 taucht die Unterkategorie „Probleme mit der Stipendienrückzahlung“ in der von der Polizei erstellten Selbstmordstatistik auf. Dieser Statistik zufolge nahmen sich 2022 10 Menschen und 2023 6 Menschen wegen der Studienschulden das Leben[3].
Rückzahlung wird immer schwieriger
Diese Situation führt auch zu weiteren Problemen: Die Darlehen werden von diversen Körperschaften (die Bekannteste darunter ist die Organisation JASSO) vergeben, doch sie sind nicht selten an das Einkommen der Eltern geknüpft. Übersteigt das Haushaltseinkommen die Untergrenze nur knapp, bekommen die Kinder kein Darlehen – und die Eltern ächzen unter der finanziellen Last. Seit einiger Zeit ist zu beobachten, dass sich manche Studierende sogar prostituieren, um die Schulen bezahlen zu können, was in Japan eigentlich illegal ist[4]. Während die meisten Universitäten bis in die 2010er weniger streng waren, wenn es um die Teilnahme an Vorlesungen ging – die Studierenden konnten somit durchaus einen guten Teil ihres Lebensunterhaltes selbst verdienen –, hat sich das in den letzten Jahren verändert. Die Unis werden fordernder, und die Studierenden haben somit weniger Zeit – und damit auch viel weniger Geld.
Die Präfektur Tōkyō hat das Problem nun offensichtlich verstanden: Dort wurden Studierende bis zu einem gewissen Maße bezuschusst, doch das war in der Regel abhängig vom Haushaltseinkommen. Das als Grenze angesetzte Jahreseinkommen von weniger als 5 Millionen Yen ist jedoch zu niedrig angesetzt – weshalb diese Grenze nun mit Wirkung von April 2024 aufgehoben wurde. Allerdings gilt dies nur für Studierende der öffentlichen Tokyo Metropolitan University.
Problematik von Politik vernachlässigt
Weitere Maßnahmen werden diskutiert, doch auch hier zeichnen sich wieder Einschränkungen ab – wie zum Beispiel Einkommensgrenzen oder die Bedingung, dass nur Familien mit drei oder mehr Kindern unterstützt werden. Doch das ist nicht das einzige Problem: Viele Universitätsabsolventen haben in den vergangenen Jahren große Mühe, eine ordentliche Festanstellung zu finden. Stattdessen landet fast die Hälfte in schlecht bezahlten und befristeten Arbeitsverhältnissen, die dazu führen, dass die Rückzahlung der Darlehen zu einer langfristigen finanziellen, psychischen und sozialen Belastung wird. Hier ist seitens der Politik also noch viel Handlungsbedarf vorhanden – was von den Liberaldemokraten als quasi-alleinregierende Partei bis 2024 viel zu sehr vernachlässigt wurde. Es bleibt abzuwarten, ob in den kommenden Jahren politisch etwas bewegt wird.
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