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Mein Leben nach Fukushima: Über Heimatverlust und die Kraft, weiterzumachen

Hannah Janz
Hannah Janz

Was empfinden jene Japaner, die ihre Heimat durch die Nuklearkatastrophe von Fukushima verloren haben? Die Bilder von Erdbeben, Tsunami und Super-GAU vom 11. März 2011 sind uns vor Augen – aber wie steht es um die Betroffenen 6 Jahre danach?

Fukushima Leben danach Zuversicht
„Ohne zu lachen könnten wir gar nicht weitermachen“ - Frauen in Iitate. © Mizue Furui

ドイツ語の記事の下に、日本語の原文を記載しております。Unsere japanischen Leser und alle Japanischlernenden finden unter dem deutschen Text die japanische Fassung.

Wenn ich die Bilder vom 11. März 2011 sehe, wird mir das Herz schwer. Durch das Erdbeben und den folgenden Tsunami an Japans Nordostküste verloren über 18.500 Menschen ihr Leben. Das Tōhoku-Beben hatte eine Stärke von 9,1 auf der Magnitudenskala. Es setzte die Energie von 780 Millionen Hiroshima-Bomben frei – und verschob damit die Erdachse um 17 Zentimeter. An vielen Küstenorten erreichten die Wellen des Tsunami eine zerstörerische Höhe von über 15 Metern. Das sind die abstrakten Zahlen.

Verknüpft sind sie aber mit unauslöschbaren Bildern. Wie die Menschen vor dem Tsunami auf ihre Hausdächer flüchten – aber die Hausdächer sind nicht hoch genug. Der Tsunami, sich stauend, brechend, rasend schnell, schwarz vor Schutt. Wie ganze Siedlungen von Holzhäusern aufs Meer hinausgetrieben werden, in den strudelnden Fluten gegeneinanderbersten. Obwohl ich die Bilder nur im Fernsehen sah, gehen diese Erschütterungen tief, sind nur schwer erträglich.

Die Reichweite des emotionalen Erdbebens

Und das Unglück war hier noch nicht zu Ende. Der Tsunami zerstörte Teile des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi. Die Kühlung der Reaktorblöcke fiel aus, und so kam es in den Blöcken 1, 2 und 3 zu Kernschmelzen. Wegen des massiven Strahlungsaustritts wurden über 150.000 Menschen evakuiert und der 20 Kilometer-Radius um das havarierte Atomkraftwerk Fukushima Daiichi zur Sperrzone erklärt. Die Katastrophe hat den Menschen den Boden unter den Füßen weggerissen.

Auch sechs Jahre nach der Dreifachkatastrophe finde ich bei meinen Recherchen auf großer Ebene nur schleppend Positives über den Wiederaufbau. Zwar wurden und werden viele zerstörte Städte wieder aufgebaut, die Fischer kehren zurück, die atomare Verschmutzung wird beseitigt. Aber immer noch wohnen viele Geflüchtete in Notunterkünften, die Selbstmordrate steigt kontinuierlich – und eine Lösung für Fukushima Daiichi wird erst in 30 bis 40 Jahren erwartet. Die Region muss sich langfristig mit diesen Problemen einrichten.

Als Nichtbetroffene, als Beobachterin aus der Ferne frage ich mich: Wie leben die Menschen, die von einem der schwersten Atomunfälle der bisherigen Menschheitsgeschichte unmittelbar betroffen sind? Wie gestalten diese Menschen ihren Alltag rund um die unsichtbare Gefahr? Und: Wie finden sie die Kraft, trotz und mit dem Trauma des Heimatverlusts weiterzumachen?

Die Foto-Journalistin Furui Mizue gibt in ihrer Dokumentation „Die Frauen von Iitate, die Erde von Iitate, zusammen“ (飯舘村の母ちゃんたち 土とともに) einen Einblick.

Der Heimatboden, der mich nährt

Als erstes sehe ich in der Dokumentation das Lachen der zwei Frauen. Es gibt auch mir sofort Mut. Dass Menschen, die durch die Nuklearkatastrophe von Fukushima ihre Heimat verloren haben, so lachen können! Sie haben so großes Leid erfahren, sind von so vielen Unsicherheiten umgeben, aber sie leben weiter mit diesem kraftvollen Lachen. „Ohne zu lachen könnten wir gar nicht mehr weitermachen“, sagen sie, die in Notunterkünften leben.

Die beiden sind der Überzeugung, dass man Lebensmittel selbst anbauen sollte. Von ihrem selbstbestellten Feld bei der Notunterkunft ernten sie die verschiedensten Gemüsesorten: Tomaten, Gurken, Kartoffeln, Sojabohnen, Rettich… Sie wollen nicht, dass die Esskultur ihres Dorfes, des Dorfes Iitate, abbricht, mehr noch: wollen die traditionellen, seit Jahrhunderten unveränderten Rezepte ihrer Heimat weitergeben, auch wenn sie gerade nicht dort, sondern einstweilig umgesiedelt sind.

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Der Heimatboden von Iitate. © Mizue Furui

Iitate: Idyllischer Rückzugsort

Das Dorf Iitate in der Präfektur Fukushima hat eine Fläche von 230.13 Quadratkilometern – davon bestehen etwa 75% aus Bergwäldern. Iitate hat also vor allem viel schöne Natur zu bieten. Um die einmalige Landschaft und die einzigartige Kultur des Bauerndorfes zu bewahren, trat Iitate der Kampagne „Japans schönste Dörfer“ bei.

Das Wörtchen madei aus dem Fukushima-Dialekt beschreibt Iitates Alltagskultur, jene Einstellung, mit der alle, auch die Gäste, bedacht werden sollen: mit demütigem, aber fröhlichen Herzen bescheiden und höflich sein und auf das Gegenüber Rücksicht nehmen.

Mit dem Übergang ins 21. Jahrhundert nahm in Japan die Zahl derer stetig zu, die den Lifestyle der Massenproduktion und der Luxusgüter gegen einen langsameren Lebensstil tauschen wollten. Nach Iitate zogen nun die Leute, die sich nach einem Gegenentwurf zum modernen Leben sehnten.

In Iitate konnte man Lebensmittel direkt von den Produzenten kaufen, Bauernhofrestaurants und kleine Herbergen wurden liebevoll restauriert. Es wurde auch viel Aufwand in die Tierzucht gesteckt: Das Iitate-Rind war für seine Fleischqualität geschätzt und erzielte hohe Preise.

Diese Idylle änderte sich schlagartig durch die Nuklearkatastrophe von Fukushima. Am 20. März 2011 wurde die mit Abstand höchste radioaktive Kontamination festgestellt, die während der gesamten Fukushima-Katastrophe außerhalb des Kraftwerks gemessen wurde. Das Dorf lag plötzlich nicht mehr idyllisch, sondern in der atomaren Sperrzone. Die Bewohner mussten fliehen. Seitdem ist Iitate unbewohnt. Eine Geisterstadt.

Wiederaufbau = Erdabbau

Zwar sind die Dekontaminierungsarbeiten in vollem Gange. Die Wiederbesiedlung ist für diesen März geplant, sechs Jahre nach der Evakuierung sollen Iitates Anwohner in ihre Stadt zurückkehren können.

Aber Iitates Natur, Iitates Heimatboden hat sich durch die hohe Strahlenbelastung unwiederbringlich verändert. Das Leben dort wird nicht mehr dasselbe sein. In der Natur lauert nun ein unsichtbarer Feind.

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Kann man die Gefahr abtragen und in Müllsäcke bannen? © Furui Mizue

Die obersten Erdschichten sind abgetragen worden, sie sind am stärksten verstrahlt. Davon zeugen die allgegenwärtigen schwarzen Müllsäcke, voll mit kontaminierter Erde. Aber was ist mit der Strahlung, mit den Giftstoffen, die in das Grundwasser gespült wurden? Von dem die Feldpflanzen ziehen, die Rinder trinken? Können die entrissenen Bewohner hier wieder mit Seelenruhe alte Wurzeln neu schlagen? Offizielle Belastungsgrenzen kann man politisch verändern, organisch ist aber jegliche Strahlenbelastung zuviel.

Und was ist mit der emotionalen Belastung? Kann eine Rückkehr in die Heimat das Trauma besänftigen? Oder hält die Anwesenheit des unsichtbaren Feindes Strahlung die Nerven blank, die dringend Beruhigung brauchen?

Die zwei alten Frauen lachen auch dann noch, als sie weinen müssen. Sie wollen versuchen, mit dieser vorher nicht gekannten Furcht und Unsicherheit zu leben. Sie wollen zurück, zurück in ihre Heimat. Müssen zurück. Ihre Wurzeln werden sich neue Wege in den Heimatboden suchen. Aber auch dann kann ich mir nur vorstellen, wie das sein muss, 6 Jahre danach, nach dem großen Beben. Und für diese Furcht gibt es keine Bilder – wohl aber für die Resilienz: Das Lachen der alten Frauen. ■

fukushimaSieben Jahre nach der Katastrophe: Leben in FukushimaSieben Jahre nach dem Reaktorunglück von Fukushima Daiichi erobert die Natur ein Dorf zurück. Das Dorf Namie zählt zu den „schwer wiederbesi...04.02.2018

Zu den Bildern

Die Bilder für diesen Artikel wurden von der Foto-Journalistin Furui Mizue zur Verfügung gestellt. Auf der Webseite Iitate Mother zeigt sie in bewegenden Bildern, wie die Menschen in Japans Nordosten mit den Folgen der Dreifachkatastrophe leben. Die zugehörige Dokumentation „Die Frauen von Iitate, die Erde von Iitate, zusammen“ (飯舘村の母ちゃんたち 土とともに), auf der dieser Artikel basiert, ist in Deutschland noch nicht verfügbar.

Furui Mizue

1948 in der Präfektur Shimane geboren, Mitglied der Japan Visual Journalists Association (JVJA, 日本ビジュアル・ジャーナリスト協会). Sie berichtete unter anderem 1988 aus Israel über die Erste Intifada, später aus Indonesien, Afghanistan und afrikanischen Ländern. Dabei interessiert sie besonders der Alltag von Frauen und in Kindern. Ihre Beiträge wurden in Zeitungen, Zeitschriften und im Fernsehen veröffentlicht.

Furui Mizue
Foto-Journalistin Furui Mizue. © Mizue Furui

Japanisch – 日本語

彼女たちの笑顔は勇気をくれる。
福島の原子力事故の影響で故郷を奪われた人の今の姿だ。
さまざまの悲しみ、不安を抱えながら、力強く笑顔で生きている。
「笑ってねぇど、やってらんねぇ」
そう言って笑いながら彼女たちは未だに仮設住宅で暮らしている。

2人は今も大地に尊敬の念を抱きながら、食べるものは自分で作っている。
トマト、キュウリ、芋、大豆、大根など、植物は人間の命の源だ。仮設住宅で畑を耕し、大地が生み出したものに対して、感謝の気持ちを忘れない。
村の食文化を途絶えさせたくないと、今も昔から伝わる郷土料理作り、食べて、各地で教えている。

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Der Heimatboden von Iitate. © Mizue Furui

福島県飯舘村は、総面積230.13k㎡の約75%を山林が占めた地形で豊かな自然に恵まれた美しい村だ。
失ったら二度と取り戻せない日本の景観・文化を守りたい村人の気持ちは、やがて自立を目指す運動になり「日本で最も美しい村」の加盟認定を受けた。
「丁寧に心を込めて」「相手を思いやる」「慎ましく」という意味の方言「までい」な文化が残っている飯舘村。

日本では21世紀に入って、大量生産、高速型のライフスタイルを見直すスローライフを求める人が増えていった。
村作りの一環として直売場、農家レストラン、民宿なども整備され、地域作りは成功。産業では畜産に力を入れ、黒毛和牛の「飯舘牛」はブランド牛として全国に知られるようになった。もちろん「までい」な暮らしはいつも忘れず、自然を四季折々に感じ、慎ましくゆるやかに生活していた。
そんな人間の知恵が詰まった村だった。

そんな村の穏やかな暮らしが「原子力事故」によって一変した。
飯舘村では放射線の除染作業が行われているが、いまだに高い放射線量、戻らない町並み、崩れ落ちた村人の心・・・・・・。

Fukushima Iitate Wiederaufbau Kontaminierung Dekontaminierung
Kann man die Gefahr abtragen und in Müllsäcke bannen? © Furui Mizue

彼女たちは村人と不安を分かち合い、時に泣き、痛みを軽減してくれる笑いで感情をリセットしながら、これからを手さぐりで捜していく。村の誇りは色あせずに持ち続けて・・・・・・。■

画像について

この画像は古居みずえ監督がドキュメンタリー「飯舘村の母ちゃんたち 土とともに」(ドイツ未公開)を撮ったときに撮影されたものです。

古居みずえ (ふるい・みずえ)

1948年島根県生まれ。

アジアプレス所属。

日本ビジュアル・ジャーナリスト協会(JVJA)会員。

1988年よりイスラエル占領地を訪れ、

パレスチナ人による抵抗運動・インティファーダを取材。

特に女性や子どもたちに焦点をあて、取材活動を続けている。

他にもインドネシア、アフガニスタン、アフリカの子どもたちを取材。

新聞、雑誌、テレビなどで発表。

Furui Mizue
Foto-Journalistin Furui Mizue. © Mizue Furui

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