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Japanische Bad(e)kultur II

Matthias Reich
Matthias Reich

Japanische Bade-Etikette?! Wenn Sie schon beim Lesen ins Schwitzen geraten, finden Sie hier eine interkulturelle Gebrauchsanweisung für japanische Bäder. Immer schön sauber bleiben!

Onsen Natur Japan
Baden in der Natur: Die japanische Onsen-Kultur macht es möglich.

Nicht nur bei den Toiletten gibt es einiges zu entdecken. Die Nasszelle kann man getrost als Japans großen Beitrag zur Zivilisation bezeichnen. Eigentlich wurde diese aus der Not heraus geboren. Da japanische Wohnungen, zumindest früher, ziemlich klein ausfielen, und man in Japan das Waschen des Körpers und das Baden in der Wanne strikt auseinanderhält, war ein herkömmliches Bad unpraktisch: Wie geschickt man sich auch anstellen mag, man sorgt für mittelschwere Überschwemmungen. Da lag es auf der Hand, Badezimmer wasserresistent zu bauen und so das Wasser nur dorthin abfliessen zu lassen, wo es hingehört.

Einem Ästhetiker mag ein vollkommen mit Plastik ausgekleidetes Badezimmer wie ein Alptraum erscheinen, doch wer gern und ausgiebig duscht, ja, wer zudem auch noch Kinder sein eigen nennt, weiß japanische Badezimmer zu schätzen. Egal, wohin man die Dusche hält, man braucht sich keine Sorgen zu machen.

Ofuro Japan
Vor der Wanne: Schemel, auf dem man sitzt, während man sich abduscht, BEVOR man in die Wanne steigt.

Erst in die Badewanne zu steigen, sobald man blitzsauber ist, hat folgenden Hintergrund: Früher wie heute wird in Japan gern in öffentlichen Bädern gebadet. Das sind dank des Vulkanismus vielerorts natürliche heiße Onsen-Quellen 温泉 oder Sentō-Badehäuser 銭湯. Wenn sich nun jeder in den großen Wannen einseifen würde, gäbe es nach den ersten fünf Reisbauern eine Riesensauerei. Also entschied man, dass sich die Leute erst waschen und dann ins Bad steigen sollen – bis heute.

Star Trek-verdächtige Konsolen finden sich auch im japanischen Bad. Die großen, wasserresistenten Displays erlauben – natürlich nur auf Japanisch – das Bad automatisch einfüllen und temperaturregeln zu lassen beziehungsweise aufzuwärmen, denn da ja alle vor dem Bad gründlich duschen, wird das Badewassser von den Familienmitgliedern geteilt. Oftmals gibt es in den Wohnungen sogar eine zweite Konsole außerhalb und eine eingebaute Gegensprechanlage, so dass der Göttergatte aus dem Bad heraus ein kühlendes Getränk nachordern kann.

Ofuro Japan Anlage
Wundern Sie sich nicht, wenn diese Anlage plötzlich mit Ihnen spricht: "Das Badewasser hat 40° erreicht!"

Leider sind die Badewannen für den Durchschnittseuropäer ziemlich eng gebaut: Wer die Beine ausstrecken will, muss sich dazu hinstellen, und man muß schon ein Houdini-Gen besitzen, um einen 1,85m-Körper vollends unterzubringen. Das gilt umso mehr bei Badezimmern in den zahlreichen Business-Hotels. Diese fallen mitunter so klein aus, daß man rückwärts laufen muss, wenn man wieder aus dem Bad herausmöchte.

Für Fortgeschrittene: Öffentliche Bäder und heiße Quellen

Für Japanbesucher bedeutet die Konfrontation mit der japanischen Badekultur oftmals einen umgekehrten Kulturschock. Zurück Zuhause erscheint es einfach nur logisch, dass man sich vor dem Bad duscht – denn wie kann man sich in der Badewande abschrubben und hernach noch im eigenen Sud marinieren? Hat man das wirklich selber auch so gemacht? Unvorstellbar! Ebenso fällt es schwer, sich nach Onsen– oder Sentō-Besuchen mit dem Gedanken anzufreunden, in der Heimat auf dieses Vergnügen verzichten zu müssen.

Allerdings sind die heißen Bäder nicht jedermanns Sache. Immerhin handelt es sich „nur“ um ein Gemeinschaftsbad, und die meist enorm hohe Wassertemperatur erinnert oft mehr an Folter denn Entspannung. An der Stelle eine Warnung: Wer wenig Erfahrung hat mit Heißwasserbädern, der kann seinen Kreislauf schnell außer Puste bringen. Doch man sollte nicht nach der ersten heißen Quelle aufgeben, denn jede heiße Quelle und jedes öffentliche Bad ist anders.

Mal sitzt man von Schnee umgeben außerhalb des Gebäudes im heißen Wasser (während die Ohren abfrieren, kochen die Füße bereits), mal findet man sich auf einem Dach wieder und schaut (nackt, natürlich) auf die Stadt herunter, mal ist alles aus Beton, mal alles aus Holz, mal naturbelassen aus Fels. Und das Wasser erst: Je nach Lage hat es eine grundverschiedene mineralogische Beschaffenheit, Farbe oder Geruch.

Doch auch die Badehäuser sollte man nicht verachten. Selbst im unmittelbaren Zentrum von Tōkyō 東京 findet man alte Badehäuser, und einige von ihnen halten schwarzes Wasser bereit – eine Besonderheit der Gegend um die Hauptstadt dank der vielen Vulkanasche im Untergrund. In diesen Badehäusern geht es oft uriger zu als in den schmucken Onsen. Während letztere Besuchern mit Tattoos häufig den Eintritt verwehren, kann man in manch altem Badehaus noch waschechte Ganzkörpertattoos der Yakuza ヤクザ, liebevoll kurikaramonmon 倶利伽羅紋紋 genannt, bewundern. Und nein – solange man sich nicht absichtlich daneben benimmt, hat man von den japanischen Mafiosi nichts zu befürchten. Manchmal kommt man mit ihnen sogar ins Gespräch. Natürlich nur auf Japanisch.

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