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Das Treibeis des Ochotskischen Meers

Sina Arauner
Sina Arauner

Vor der Nordostküste Hokkaidōs ist Treibeis im Winter nichts Ungewöhnliches. Doch woher kommt das Eis und wie prägt es Hokkaidōs Küste am Ochotskischen Meer?

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Vor der Küste Russlands gefrieren im Winter weite Teile des Ochotskischen Meeres zu. Von Wind und Wetter getrieben erreichen die Eisschollen Mitte Januar die Küste Hokkaidōs – und bringen eine faszinierende Lebenswelt mit sich. Unnahbar kühl scheint das Eis auf dem schwarz schimmernden Meer. Doch auf Hokkaidō ist man für den Umgang mit dem Winterspektakel gewappnet: Eisbrecher und Schneeschuhe machen das Eismeer für Besucher zugänglich.

100 Klangwelten Japans: Der Gesang des Treibeises

Tiefes Grollen, raues Knarzen, hohes Pfeifen – die überwältigende Treibeismusik vor Hokkaidō zählt zu den „100 Klangwelten Japans“. Von Mitte Januar bis März, manchmal April, ertönt der Gesang des Eises an der Nordostküste Hokkaidōs – dem südlichsten Punkt der nördlichen Hemisphäre, der sich im Winter in ein Eismeer verwandelt.

[Video] Die beeindruckende Treibeismusik.

Wie kommt das Treibeis nach Hokkaidō?

Das Städtchen Mombetsu hat sich im langen Winter dem Treibeis-Tourismus verschrieben. Es liegt zwischen Wakkanai, Japans nördlichster Stadt, und Shiretoko. Wie kommt es, dass die Küste vor Mombetsu, etwa auf der selben Breite wie Bordeaux gelegen, sich im Winter unter einer Decke aus Treibeis versteckt?

Anfang Dezember kühlen sibirische Winde den Norden des Ochotskischen Meeres auf den Gefrierpunkt ab. An der Mündung des Flusses Amur, im Westen des Meeres, vermischt sich schnell gefrierendes Süß- mit Salzwasser – es bildet sich eine Eisschicht. Die Winde treiben die Eisschollen über das Meer bis nach Hokkaidō, wo die Temperaturen regelmäßig unter -15 °C sinken und ideale Bedingungen für das Eis bieten.

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Im Treibeismuseum von Abashiri erfahren Besucher mehr über das Entstehen und die Reise des Treibeises. (c) Arauner

Auf Entdeckungstour im Treibeis

Die Welt entrückt, es bleiben das Eis und der Betrachter. Wer hier in sich geht, vermag die unausweichliche Vergänglichkeit des scheinbar Ewigen zu bedauern und sich in ihr zu verlieren – vor dem Orchester der Natur. Doch die Unnahbarkeit des Eises ist eine Fassade, schon längst hat sich das touristische Angebot der Region darauf spezialisiert, Romantiker, Adrenalin-Junkies und sonstige Besucher zu bedienen.

Zwischen Januar und März schippert der Eisbrecher „Garinko“ von Mombetsu aus mehrmals am Tag Passagiere durch das Eis. Die Szene: Strahlend weiß scheint das Eismeer sich in den Horizont zu ergießen – besonders atemberaubend bei Sonnenuntergang. Blickfang: Ezo Füchse und Riesenseeadler am Ufer.

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Der Eisbrecher Garinko wühlt sich durch das Eis - und beschert den Passagieren einen zauberhaften Anblick.

Für Outdoor-Fans ist ein Spaziergang auf dem Treibeis ein absolutes Muss! In Utoro und Abashiri bieten unterschiedliche Touren die Möglichkeit, mit Schutzkleidung ausgerüstet, auf dem Eis vor der Küste zu spazieren. Die Szene: In Neoprenanzügen steckende Menschen, die mehr oder weniger vorsichtig das Eis erkunden. Blickfang: Im Eiswasser schwimmende Menschen, die die Belastbarkeit des Eises überschätzten. Keine Sorge: Schutzkleidung und Tourleiter sorgen für Sicherheit, wenn es etwas nasser wird.

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Mit Schutzanzug lässt es sich auch im Eiswasser aushalten.

Die faszinierende Lebenswelt des Treibeises

Mit dem Eis erreichen auch allerlei Tiere Hokkaidō. So etwa Ruderschnecken, die ihrem poetischen Spitznamen „See-Engel“ alle Ehre machen und elegant durch das tiefblaue Wasser schweben. Weniger ansehnlich, aber keineswegs weniger interessant, sind die Seehasen, eine Fischfamilie, die sich meist in Bodennähe mit einer Art Saugscheibe an Steinen festhält. Mit ballonförmigem Körper und teils groteskem Aussehen, verwundert ein anderer Name der Seehasen kaum: sie sind auch als Lumpfische bekannt.

Okhotsk Ryūhyō Museums
See-Engel und Seehase machen es sich zu allen Jahreszeiten in den Aquarien des Okhotsk Ryūhyō Museums bequem. (c) Arauner

An der Küste Shiretokos überwintert zur Treibeiszeit der Riesenseeadler, der sich durch schwarz-weißes Gefieder, einen kräftigen Schnabel und stechend gelbe Augen auszeichnet. Mit einer Flügelspannweite zwischen zwei und drei Metern zählt er zu den größten Greifvögeln der Welt. In Japan wird er Ōwashi, also „großer Adler” genannt. Seiner Größe entsprechend, nimmt der Riesenseeadler viel Nahrung auf – manchmal sogar so viel, dass er zu schwer zum Fliegen ist. Die beste Sichtungszeit für Riesenseeadler auf Hokkaidō liegt zwischen Ende Februar und Mitte März.

Treibeis besichtigen – auch im Sommer: Das Okhotsk Ryūhyō Museum

Im Okhotsk Ryūhyō Museum in Abashiri finden Sie das ganze Jahr über Treibeis, Seehasen, See-Engel und Co. Die hauseigene Kühlkammer und ein Kino verbreiten auch bei warmen Temperaturen das Gefühl, dem Eis ganz nah zu sein.

Öffnungszeiten: Mai – Okt. 08:30 – 18:00 Uhr, Nov. – Apr. 09:00 – 16:30 Uhr, 29.12. – 5.1.: 10:00 – 15:00 Uhr
Adresse: 244-3 Tentozan, Abashiri, Hokkaidō
www.ryuhyokan.com

Okhotsk Ryūhyō Museum
Das Okhotsk Ryūhyō Museum in Abashiri. (c) Arauner

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