Das „Früchte-Königreich“ in Japan liegt in der Präfektur Wakayama auf der Kii-Halbinsel. Hier werden zahlreiche Fruchtsorten angebaut, allen voran Mikan (citrus unshiu), aber auch Kaki (diospyros kaki) und Ume (prunus mume).
Die Mikan ist in Deutschland als Satsuma oder „kernlose Mandarine“ bekannt. Sie wird in Japan schon seit dem 17. Jahrhundert kultiviert und wurde vermutlich vom deutschen Arzt und Botaniker Philipp Franz von Siebold nach Europa gebracht. In Japan ist „Mikan“ zum Sammelbegriff für Zitrusfrüchte geworden, denn es gibt außer der Satsuma noch sage und schreibe 100 weitere Sorten!
Die Satsuma-Landschaft im Wandel der Zeit
International ist Wakayama hauptsächlich durch die Kumano Kodō-Pilgerwege und das buddhistische Bergkloster Kōyasan bekannt. Die bergige und waldbewachsene Landschaft der Halbinsel lässt wenig Raum für den Anbau von Reis und Gemüse. Daher haben sich die dortigen Bauern seit dem Ende der Edo-Zeit (1603-1868) und Anfang der Meiji-Zeit (1868-1912) verstärkt auf den Obstanbau spezialisiert.
Da Zitrusfrüchte viel Wärme und Sonnenschein zum Wachsen und Reifen brauchen, liegen die Anbaugebiete in Wakayama in den dem Pazifischen Meer zugewandten, sonnigen Regionen von Tanabe und Arida. Dort wurde der Wald auf den steilen Berghängen gerodet und kleine, terrassenartige Felder angelegt, auf denen dann Satsuma und andere Zitrus-Bäume gepflanzt wurden. Heute erstrecken sich die Plantagen über viele Kilometer hinweg und die orangen Früchte verlocken zum Pflücken. Von November bis März ist die Hauptsaison in Wakayama, dann sind die Bäume zum Brechen mit Früchten beladen und der Großteil der Ernte wird eingebracht.
Einige ältere Bauern erinnern sich noch an die Geschichten ihrer Großväter, die zum Anlegen der Plantagen Steine aus den Flüssen die Berge heraufgeschleppt und volle Körbe mit Früchten heruntergetragen haben. Heute gibt es schmale Straßen, Einschienenbahnen und den sogenannten K-Truck, einen Mini-LKW, die den Transport erleichtern.
Das Einmaleins japanischer Zitrusfrüchte
In Wakayama wachsen Zitrusfrüchte fast ganzjährlich: Es gibt buchstäblich für jede Jahreszeit eine Zitrusfrucht.
- Unshiu Mikan ist die Hauptsorte dort. Sie ist süß und saftig, hat eine dünne Schale und keine Kerne, und ist leicht zu schälen. Sie ist daher sehr beliebt und wird als Obst oder als Nachspeise gegessen, gerne auch mit Eis.
- Pon-kan ist eine der süßesten Sorten, und Buntan (Pampelmuse) ist mit ca. 17 Zentimeter Durchmesser die größte Zitrusfrucht in Japan. Beide Sorten werden im Januar und Februar geerntet.
- Kiyomi, geerntet im März und April, ist eine Kreuzung aus Satsuma und Orange. Ebenfalls im März wächst die Shiranui, eine Kreuzung aus Kiyomi, Pon-kan und Hassaku, eine Zitrusfrucht in der Größe einer Grapefruit.
- Amanatsu, eine süßere Variante der Pampelmuse, wird bis Juni geerntet. Anschließend ist die Natsu Mikan („Sommer-Orange“) an der Reihe, die einen Winter lang am Baum verbringen muss, um richtig süß zu werden. Im Juli und August werden die in Deutschland bekannten Valencia-Orangen und Nabel-Orangen geerntet.
- Die Zitronen-ähnliche Yuzu wird von Oktober bis November, und Jabara und Kinkan (Kumquat), mit 2,5 cm Durchmessern die wohl kleinsten Zitrusfrüchte Japans, werden im November und Dezember geerntet.
Aus den optisch weniger perfekten Früchten wird Saft hergestellt, der dann weiter zu Gelee oder Konfitüre verarbeitet wird. Auch gibt es ein großes Angebot an Süßigkeiten und Snacks, die frische Fruchtstücke oder -saft enthalten.
Alte und neue Sorten im Trend
Die Sanbo-kan ist heutzutage eine Rarität. Laut einer Legende wuchs diese saure und bittere Zitrusfrucht, die durch ihren kleinen Buckel am Stängel leicht zu erkennen ist, zuerst in der Edo-Zeit in der Burg der Lehnsherren der Kishū-Provinz (heutiges Wakayama). Ein Samurai soll den Baum entdeckt und zur Burg gebracht haben. Der Lehnsherr hat den Anbau streng kontrolliert und den Verbrauch der Früchte auf die adligen Burgbewohner beschränkt. Daher versprüht die Sanbo-kan auch heute noch einen Hauch von Vornehmheit und ist bei den Chefs schicker Restaurants sehr begehrt, jedoch nicht des Fruchtfleisches wegen. In der grünen Schale der ausgehölten Frucht werden Meeresfrüchte serviert, wie zum Beispiel Uni (Seeigelrogen) und Ikura (Lachsrogen).
Ständig werden neue Kreuzungen und Sorten kreiert. Die neueste Entwicklung ist eine kleine grüne Zitrone, die als „Finger-Limette“ bezeichnet wird. Die Frucht, kaum größer als eine Walnuss, wird für 500 Yen pro Stück (fast 4 Euro) verkauft. Die Abnehmer sind Nobelrestaurants in Tōkyō, die die säuerlichen Fruchtperlen zu Fleischgerichten reichen.
Die Zitrusfrucht-Aktivisten
Wenn die Hauptsaison vorbei ist, wird es sehr ruhig auf den Plantagen, daher gehen die Bauern noch anderen Arbeiten nach. Wie ihre Vorfahren, die auf den Obstanbau setzten, passen sich sie sich wieder an neue Gegebenheiten an. Eine Gruppe von Obstbauern in Kamiakizu, einem Dorf in der Nähe der Stadt Tanabe, hat sich auf den sog. „Agrartourismus“ spezialisiert.
Alles begann mit einem Bauernmarkt: Im Jahr 1999 haben sich 35 ortsansässige Satsuma-Bauern zusammengetan und jeweils 100.000 Yen (heute ungefähr 800 Euro) gespendet. Mit diesem Startkapital wurde ein Holzgebäude errichtet, das als Bauernmarkt „Kitera“ eingeweiht wurde. Seither verkaufen die Bauern dort ihre Zitrusfrüchte direkt an die Kunden und sie haben sogar ihr eigenes Maskottchen, natürlich eine Orange.
Neue Projekte zur Wiederbelebung der Region
Die Bauern hatten auch die Idee, einen „Juice Corner“ zu errichten, bei dem sie zu hundert Prozent frisch gepressten Orangensaft anbieten können. Der Markt war ein großer Hit und hat die Bauern ermutigt, 2008 ihr nächstes Projekt in Angriff zu nehmen. Dieses Mal waren an diesem Gemeinschaftsprojekt alle 320 ortsansässigen Familien der Satsuma-Bauern beteiligt. Sie haben den „Akizuno-Garten“, ein Zentrum für grünen Tourismus, in einem ehemaligen Grundschulgebäude eröffnet. Das alte Holzhaus wurde zu einem Bauernrestaurant mit täglichem Slow-Food Buffet umfunktioniert, das auch eine Bäckerei und ein Café, eine Herberge und ein Museum rund um die Satsuma-Frucht beherbergt. Auf der oberen Etage kann man sogar noch die alten Klassenräume mit den Original-Stühlen besichtigen.
Die Plantagen der Bauern sind nun Ausflugsort für Schulklassen und auch als Wochenenderlebnis, besonders bei Familien mit Kindern aus Japans Großstädten, beliebt. Der Akizuno-Garten ist somit ein Treffpunkt von Städtern und der Dorfbevölkerung von Kamiakizu und auch ein Paradebeispiel für die Wiederbelebung ländlicher Gegenden in Japan.
Der Satsuma-Glücksbringer im neuen Jahr
Satsuma sind besonders zum Jahresende heiß begehrt, da sie Bestandteil der Kagamimochi, eine traditionelle Neujahrsdekoration, sind. Kagamimochi sind zwei übereinander gelegte Reiskuchen, auf denen eine Satsuma ruht. Traditionell war es eigentlich eine sog. Daidai, eine große bittere Zitrusfrucht, die als glückbringendes Omen gilt. Daidai kann auch als „von einer Generation zur anderen“ übersetzt werden und steht somit für den Wunsch nach Gesundheit und einem langen Leben. Die Satsuma schmeckt allerdings besser und passt mit ihrer freundlichen, orangen Farbe auch optisch besser ins Bild – sehr zur Freude der Satsuma-Bauern in Wakayama, die sich deshalb in dieser Saison wieder über einen guten Umsatz freuen dürfen.
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