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Sōkeisen: Die Waseda-Keiō Rivalität

Yasemin Besir
Yasemin Besir

100 Jahre Tradition, zwei Rivalen, ein Wettkampf: Die legendären Baseballturniere der zwei angesehensten Universitäten Tōkyōs ziehen dank jahrzehntelanger Tradition besondere Aufmerksamkeit auf sich. Gemeinsam (wenn auch gegeneinander) haben die Waseda und Keiō den Krieg überwunden und Freundschaft gefunden.

Spieler der Keiō und Waseda treffen beim Frühjahrsturnier 2008 aufeinander.
Spieler der Keiō und Waseda treffen beim Frühjahrsturnier 2008 aufeinander. © XIIIfromTOKYO / CC BY 3.0

Am 5. November 1903 schickte der Baseball Club der Waseda Universität (gegr.1882) einen Brief an das Team der Keiō Universität (gegr. 1858) und forderte die Mannschaft zu einem Spiel heraus. Keiō nahm an. Und der Ball kam ins Rollen.

Rivalitäten zwischen angesehenen Universitäten sind in vielen Ländern gang und gäbe. Ob zwischen den Eliteuniversitäten Yale und Harvard oder den jahrhundertealten Institutionen der Oxford und Cambridge Universitäten – Konkurrenzkämpfe akademischer Spitzenreiter gab es stets und wird es vermutlich auch immer geben. Japan ist da keine Ausnahme. Zwei der prestigeträchtigsten Privatuniversitäten des Landes kämpfen schon seit über 100 Jahren in zahlreichen sportlichen Veranstaltungen um Sieg und Ansehen.

Waseda Flagge
Universitätsstolz: die Flagge der Waseda Universität beim Sōkeisen. © XIIIfromTOKYO / CC-BY-3.0

Der Wettkampf der Waseda (早稲田) und Keiō (慶應) hat sogar einen Namen: Aus den jeweils ersten Kanji der beiden Universitäten also 早 (wa mit der alternativen Lesung ) und 慶 (kei) ergibt sich die Abkürzung sōkei 早慶. Der Zusatz 戦 (sen) bedeutet lediglich Wettkampf. Daraus ergibt sich der allgemein bekannte Ausdruck Sōkeisen, in Keiō-Kreisen häufig auch als Keisōsen bezeichnet.

Die 37 Disziplinen, in denen sich die konkurrierenden Sportclubs begegnen, beinhalten beispielsweise Rugby und American Football, Fußball, Basketball, Rudern, Tennis und viele andere Sportarten. Der beliebteste und spannendste Wettkampf ist und bleibt jedoch ohne Zweifel das Zusammentreffen im Baseball. Seit der ersten Herausforderung 1903 hat sich mit diesem Turnier eine der wichtigsten Traditionen der Universitäten entwickelt, die so bedeutend ist, dass sie sogar landesweit ausgestrahlt wird.

Anfänge: vom ersten Spiel zur Baseball-Liga

Der erste Sōkeisen fand, als rasche Antwort auf den Herausforderungsbrief, am 21. November 1903 um 13.30 Uhr auf der Sportanlage der Keiō Universität statt. Keiō siegte mit 11 zu 9. Im Folgejahr gewann Waseda. Nach nur wenigen Jahren wurde das jährliche Turnier allerdings wieder abgesetzt, da man eine feindliche Begegnung übereifriger Fans befürchtete. Beinahe 20 Jahre spielte die Waseda kein einziges Mal gegen die Keiō, dafür aber gegen andere Universitäten wie die Meiji, Hosei, Rikkyo und später die Universität Tokio.

Als die Leidenschaft der Fans nicht mehr kontrolliert werden konnte, schaffte man die Sōkeisen für 19 Jahre ab. Doch sie feierten ein Comeback. © 江戸村のとくぞう CC-BY-SA-3.0

1925 schließlich, als Baseball immer mehr Beliebtheit in Japan gewann, wurden die Sōkeisen wiederbelebt. 19 Jahre nach dem letzten Spiel fand die Begegnung diesmal auf dem Baseballgelände der Waseda statt. Kapitän Abe verkündete die Rückkehr der Waseda-Keiō-Spiele, wies jedoch die Zuschauer an, sich respektvoll und beispielhaft zu verhalten. Seine Rede wurde mit Beifall empfangen. Mit der Wiederbelebung der Sōkeisen entstand auch die Tokyo Big6 Baseball League der sechs großen Universitäten von Tōkyō.

Den bislang schlimmsten Zusammenstoß erlebten die beiden Universitäten (und vor allem ihre Fans) übrigens bei dem sogenannten „Apple-Incident“ (リンゴ事件) von 1933. Als Waseda-Anhänger begannen, den Feldspieler Shigeru Mizuhara mit Müll zu bewerfen, ließ dieser sich das nicht gefallen und warf einen halb aufgegessen Apfel zurück in die Menge. Daraufhin kam es zu Ausschreitungen von 6000 Fans, die von 200 Polizisten bezwungen werden mussten.

Das Baseballteam der Waseda 1916.
Das Baseballteam der Waseda 1916. © Public Domain

Ein letztes Spiel

Als während des Pazifikkrieges Studenten an japanischen Universitäten zum Dienst einberufen wurden, bemühten sich die Baseball Clubs der Keiō und Waseda um das Zustandekommen eines letzten Sōkei-Spiels. Baseball wurde immer mehr als Sport des Feindes kritisiert und die Liga der sechs Universitäten hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits aufgelöst. Dennoch: Am 16. Oktober 1943 fand das Abschiedsspiel zwischen den beiden Universitäten statt, bevor die Studenten an die Front zogen. Es war ein wolkenloser Tag im Totsuka Stadion, heute das „Center for Scholarly Information“ auf der Anlage der Waseda-Universität.

Der Charakter des Spiels war mit keinem bisherigen Wettkampf zu vergleichen. Es herrschte eine tiefe Bedrücktheit, aber auch Freude über eine letzte Begegnung. Viele Studenten waren überrascht über die Erlaubnis, den Wettkampf trotz anfänglicher Zurückweisungen nun doch austragen zu dürfen. Mit seiner langen Geschichte und Tradition empfanden vor allem die Spieler dieses Spiel als ein Abschiedsgeschenk, da sie davon ausgingen, im Krieg zu sterben und niemals wieder Baseball spielen zu können. Sieg und Niederlage waren nicht von Belang. Sie waren glücklich. Nach dem Spiel sang man unter Tränen das patriotistische Lied „Umi Yukaba“ (Wenn ich über das Meer fahre), im Anschluss dann die beiden Universitätshymnen. Von Rivalität war an diesem Tag nichts zu spüren. Unmittelbar nach diesem Spiel brachen die Studenten in den Krieg auf.
Fünf der Waseda-Spieler aus dem letzten Sōkeisen starben im Krieg, einer als Kamikaze-Pilot in einem Selbstmordangriff.

Prioriäten setzen: Erst Baseball, dann der Rest

Nach dem Krieg trugen nicht zuletzt die Waseda-Keiō-Spiele zum allgemeinen Aufstieg und der Entwicklung des professionellen Baseball bei. Trotz der Wettkämpfe zwischen den anderen Universitäten ist es stets die Sōkei-Begegnung im Baseball, die besondere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Für die große Popularität sorgt vor allem die Tatsache, dass es zu Unterrichtsausfällen an beiden Universitäten kommt.

Jährlich finden zwei Turniere statt (Frühjahr und Herbst), die sich jeweils über acht Wochenenden erstrecken, an denen jeder gegen jeden spielt. Ausgetragen werden die Spiele im Jingū Kyūjō, dem Heimstadion der japanischen Baseball-Profimannschaft Yakult Swallows.

 

The Keio University Baseball Club has won the historic Tokyo Big6 Baseball League for the 36th time. As is the tradition, the final match of the season was versus longtime rival Waseda University. Despite narrowly losing the contest in the 11th inning, Keio had already won the Tokyo Big6 Baseball League the week before, meaning that a victory parade was held after the final match. The parade began in front of the Meiji Memorial Picture Gallery in Meiji Jingu Gaien and went via Roppongi to Mita Campus, where a victory celebration was held. Once at the campus, Keio students and alumni of all ages came together to celebrate the victory. Photos by Aki Takematsu #keio_univ #sokeisen #早慶戦 #victoryparade #優勝パレード . . . . #keio #庆应 #게이오대학 #japan #日本 #giappone #japon #japão #Япония #Jepang #nhậtbản #tokyo #東京 #东京 #tóquio #Токио

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 Auf dem Instagram-Account der Keiō Universität werden zahlreiche Fotos vom Event geteilt.

Zum Ablauf gehören nebst dem eigentlichen Wettkampf diverse Rituale wie das Werben für die Sōkeisen auf dem Campus bereits Tage im Voraus sowie das Singen der jeweiligen Kampfhymnen und Anfeuerungsrufe. Stunden vor dem Spiel stehen die Studenten mit ihren rechtzeitig erworbenen Tickets in aller Frühe Schlange vor dem Stadion und warten auf den Einlass. Das Spiel beginnt erst um 13 Uhr, doch vorher ist noch einiges zu tun. Die Cheerleader führen ihre Choreographien auf und werden von den Pauken und Trompeten des Orchesters begleitet.

In Japan gibt es außerdem männliche Cheerleader, sogenannte ōendan, die die Fans mit lauten, verhältnismäßig aggressiven Rufen bei Laune halten. Schilder mit den Liedtexten der Hymnen (Wakakichi / „Junges Blut“ für die Keiō und Konpeki no Sora / „Azurblauer Himmel“ für die Waseda) werden hochgehalten, bis alle anwesenden Zuschauer sie mitsingen können. Vor jedem Spiel gehen jedoch die beiden Cheerleader-Gruppen zu den Gegnertribünen und feuern als Zeichen der Freundschaft und des Respekts auch die Konkurrenz an.

ōendan
Neben den weiblichen Cheerleadern sorgen die ōendan für die perfekte Stimmung beim Spiel. Mit Trommeln und lauten Rufen feuern sie die Fans und das Team an. © elmimmo / flickr CC-BY-2.0

Die beiden Universitäten stehen sich auch in ihrem Image und (angeblichem) Auftreten in der japanischen Gesellschaft gegenüber. Während von Keiō-Studenten gesagt wird, dass sie fortschrittlich und modern seien, sollen Wasedas Studenten eher einfach und ein wenig ländlich sein. Diese Annahmen sind jedoch längst von gegenwärtigen Tatsachen überholt und stellen höchstens Klischees und Ausdrücke der Gewohnheit dar.

Sharing is Caring: Wissensaustausch unter Freunden

Sowieso lebt die berühmte Rivalität der beiden Universitäten vor allem durch ihre Präsenz auf dem Spielfeld. Bereits 1986 vereinbarten die Waseda University Library und das Keiō University Media Center ein Abkommen über die gemeinsame Nutzung der beiden Bibliotheksbestände von über 10 Millionen Büchern. Im Mai 2017 einigte man sich darauf, den Rahmen dieses Abkommens weiter auszubauen und die einzelnen Bibliothekssysteme miteinander zu verflechten. Die Vorteile einer solchen Kombination sind unter anderem die Standardisierung der Katalogformate, gekürzte Kosten und der Austausch von Wissen, um nur einige zu nennen.

Und wussten Sie schon?  Im akademischen Ranking steht die Tokio Universität (die übrigens unter allen Teams noch nie die Liga gewonnen hat!) an der Spitze aller Bildungsinstitutionen des Landes, dicht gefolgt von der Kyōto Universität. Die Rivalen Waseda und Keiō teilen sich brav und gemeinschaftlich den dritten Platz. Ohne zu zanken.

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