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„EDEN“, Brücke zwischen Herzen: Interview mit Frontsänger und Songwriter Nimo

Maria-Laura Mitsuoka
Maria-Laura Mitsuoka

Obwohl viele Visual Kei-Bands ihre Bekanntheit durch Anime-Titelsongs erlangt haben, ist diese Musikrichtung in Deutschland noch recht exotisch. Bunte Kostüme, extravagantes Make-up und aufwendige Bühnenshows gehören zum Alltag dieses künstlerischen Genres.

Die japanische Band Anonymous
Die Band ANONYMOUS mit allen Mitgliedern (v. l. n. r.: Ivy, Nimo, Ōkuma Keito, Taizo). © Nimo

Die meisten westlichen Internetportale und Musikseiten verknüpfen Visual Kei mit Rock, Punk oder Heavy Metal, doch in Wahrheit ist dieses Genre viel breiter gefächert und erstreckt sich sogar bis Musikrichtungen wie Elektronik und Pop. Der Chefredakteur der japanischen Musik-Zeitschrift „Bounce“ definiert Visual Kei als „einen musikalischen Stil, der sich nicht auf einen bestimmten Sound, sondern eher auf die Konstruktion einer Weltanschauung und stilistischer Schönheit durch visuelle Ausdrucksformen wie Make-up und Mode bezieht.“

In den 1980er Jahren erblickte dieses exotische Genre beeinflusst durch Musiklegenden wie David Bowie, Kiss oder Twisted Sister zum ersten Mal das Licht der Welt. Die bis heute beliebte Band X Japan leitete als Visual Kei-Pionier ein neues musikalisches Zeitalter ein, welches den Weg in die Entwicklung unterschiedlichster Stile ebnen sollte. Ob düster, quietschbunt oder gar historisch angehaucht, Visual Kei bietet Nahrung für jede Geschmacksrichtung.

Die Band ANONYMOUS verwöhnt ihre Fans mit rockigen Sounds und farbenfrohen Kostümen. Obgleich sie erst im Februar 2020 durch die vier Mitglieder Ivy, Nimo, Ōkuma Keito und Taizo gegründet wurde, verspricht die erfolgreiche Vorgeschichte der einzelnen Mitglieder eine blühende Zukunft im Visual Kei-Sternenhimmel. Frontsänger Nimo (ehem. Mitglied von „A“ und „The Micro Head 4N’S“) beeinflusst seit 2010 die Visual Kei-Szene durch seinen melodischen Gesang und eine fast freundschaftliche Nähe zu seiner Fangemeinde. Ob als Pirat oder Zeitreisender, während seiner musikalischen Karriere hat Nimo seine Zuhörer durch viele fantastische Welten begleitet. In einem exklusiven Interview gibt er uns Auskunft über die Hintergründe seiner Karriere als Visual Kei-Musiker, die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Musikbranche, sowie seine neue Single „EDEN“.

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Nimo
Frontsänger der Band ANONYMOUS und Songwriter Nimo © Nimo

Viele deutsche Leser kennen sich mit der Musikrichtung Visual Kei nicht besonders gut aus. Was ist Visual Kei für Sie?

Nimo: Für mich ist Visual Kei ein Teil der japanischen Kultur, vergleichbar mit Manga und Anime. Ich denke, dass ausländische Rockbands wie Kiss als Inspiration für die Entwicklung dieses Genres gedient haben und es sich durch die japanischen Normen und Schönheitsideale zu einem eigenen Stil entwickelt hat. Wir Japaner sind gut darin, Moderichtungen aus dem Ausland aufzugreifen und an unsere eigene Kultur anzupassen. In dieser Musikrichtung geht es nicht nur um die Melodie und die Liedtexte, sondern auch um die Optik. Man eröffnet dem Zuhörer durch die Verbindung von Kostüm und Melodie eine fantastische Welt.

Was hat Sie dazu veranlasst, Sänger einer Visual Kei-Band zu werden?

Nimo: Eigentlich hörte ich damals nicht so viel Visual Kei und hatte ursprünglich auch nicht die Intention, eine Karriere als „V-Musiker“ zu beginnen. Musik hat mich aber bereits seit meiner Kindheit begeistert. Wenn ich durch mein Klavierspiel oder meinen Gesang die Zuhörer in den Bann ziehen konnte, war ich immer mehr als glücklich. Aus dem Grund habe ich mich dazu entschieden, den musikalischen Lebensweg zu bestreiten. Visual Kei hat sich mir als bestes Genre angeboten, da die Welt, welche dem Zuhörer durch meine Lieder eröffnet wird, sich dadurch auch optisch darstellen lässt.

Visual Kei zeichnet sich durch aufwendige Kostüme und extravagantes Make-up aus. Welche Verbindung besteht zwischen der Optik und den Liedern? Haben Sie ein optisches Markenzeichen?

Nimo: Make-up und Kostüm dienen als Brücke zwischen der Realität und der Fantasiewelt, die wir durch unsere Lieder zu kreieren versuchen. Ich habe kein optisches Markenzeichen, allerdings ist es mir wichtig, dass ich immer ein positives Gefühl vermittle. Das versuche ich sowohl durch meine Kostüme, als auch durch meine Auftritte zu erreichen.

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Können Sie den Prozess von den Anfängen eines Projekts bis zum eigentlichen Auftritt erläutern?

Nimo: Der Prozess ist langwierig, mit viel Arbeit verbunden und variiert von Künstler zu Künstler. Bei mir beginnt alles mit einem Konzept: Ich denke mir eine Welt aus und versuche diese so gut wie möglich durch den Klang einer Melodie zu vermitteln. Darauf folgen die Lyrics, anschließend die Kostüme und das Make-up, zum Ende hin die Vorbereitungen auf bevorstehende Touren und Auftritte. Einige Musiker designen ihre Outfits selbst, ich arbeite aber gerne mit professionellen Kostümbildnern und Make-up Artists zusammen, um meine Ideenwelt um die ihrige zu erweitern.
Kommt es zu den Touren, ist natürlich der Titel und die Setlist sehr wichtig. Je nachdem, welche Welt man durch die Musik betreten möchte, ändert sich die Auswahl der Lieder, die Reihenfolge und auch der Einstiegssong.

Die Corona-Pandemie hat Sie als Künstler sicherlich stark beeinflusst. Können Sie beschreiben, welche Auswirkungen COVID-19 auf Ihre musikalische Karriere hat?

Nimo: Es ist so, als wäre durch Corona ein Reset-Knopf gedrückt worden. Auch wenn die Lage sich wieder normalisiert, wird nichts mehr so wie vorher sein. Aus dem Grund müssen wir einen neuen Standard entwickeln und viele Dinge ausprobieren.

Am meisten sind unsere Live-Events und Konzerte betroffen. Um das Social Distancing einzuhalten, reduzieren viele Veranstalter die Besucherzahl und übertragen die Show auf Streamingseiten. Vor Corona wurde man laut bejubelt und beim Namen gerufen, das ist jetzt natürlich nicht mehr möglich. Allerdings ist es auch nicht notwendig, die Stimmen der Fans zu hören, da deren Gefühle durch Körpersprache und Ausdruck übertragen werden. Es hat sich eine neue Art des Supports entwickelt und man spürt die Energie, die während des Konzerts freigelassen wird, stärker als zuvor. Ich denke, dass die Zuhörer sich durch diese Maßnahmen mehr auf den Klang der Lieder einlassen können.

Nimo live
Nimo bei einem seiner Solo-Auftritte. Oft werden viele Gastmusiker eingeladen, um den Abend bunt und abwechslungsreich zu gestalten. © Nimo

Sie sind nicht nur Solo-Künstler, sondern auch Frontsänger der Band ANONYMOUS. Was sind die Vor-und Nachteile einer Solo- und Bandkarriere?

Nimo: Als Band hat man den Vorteil, dass jedes Mitglied seine eigenen Talente und Ideen mitbringt. Dadurch werden Welten eröffnet, die einem vorher verschlossen geblieben waren. Natürlich entstehen auch Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen, doch die Vielseitigkeit der Band wirkt sich immer positiv auf das Endprodukt aus. Außerdem kommt man viel schneller voran, da alle ihre Kräfte vereinen. Als Solo-Künstler kann man das Privileg der Freiheit genießen. Einem sind keine Grenzen gesetzt und man kann alles tun, was man umsetzen möchte. Allerdings kommt sehr viel Arbeit auf einen zu und man muss sehr viel Zeit einplanen.

Was hat Sie in ihrer Karriere als Musiker bisher am meisten bewegt?

Nimo: Am meisten bewegt es mich, etwas über die Gefühle eines jeden Zuhörers zu erfahren. Natürlich freut man sich auch, wenn man große Auftritte an Land ziehen kann, aber am wichtigsten ist die Meinung des Publikums. Jeder Mensch ist anders, nimmt die Lieder anders auf und fühlt anders. Zu hören, welche Welt sich dem Publikum offenbart hat, bereitet mir am meisten Freude. Durch meine Lieder kann ich eine Seite im Buch des Lebens eines jeden schreiben, auch wenn es sich nur um einen kurzen Absatz handeln mag.

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Wie unterscheiden sich japanische Fans von denen im Ausland?

Nimo: Damals in meiner Zeit als Frontsänger bei „A” haben wir viele Länder bereist, darunter auch Deutschland mit Auftritten in Köln, München und Hamburg. Die deutschen Fans haben uns sehr warm empfangen und das hat sich wirklich gut angefühlt. In Japan sind die Fans eher zurückhaltend und treten als Gemeinschaft auf. Jeder versucht sich an das Verhalten seines Nachbarn anzupassen und nicht aufzufallen. Ich denke, dass diese Denkweise sehr tief in der japanischen Kultur verankert ist. Im Ausland sind die Fans dagegen freier. Diejenigen, die zuhören wollen, halten sich weiter hinten auf, diejenigen, die uns bejubeln wollen, zeigen ihre Unterstützung mit größtem Körpereinsatz.

Sie haben vor Kurzem die neue Single „ EDEN” veröffentlicht. Welche Welt betreten wir mit EDEN?

Nimo: Als im letzten Jahr zum ersten Mal der Notstand in Japan ausgerufen wurde, war die Stimmung sehr angespannt. Ich wollte unbedingt etwas bewirken und habe begonnen zu streamen. Erst handelte es sich bei den Übertragungen nur um kleine Akustik-Konzerte, bei denen ein befreundeter Gitarrist und ich Cover gespielt haben. Dann aber kamen wir auf die Idee, gemeinsam mit dem Publikum zu komponieren. Ich habe mir eine Melodie ausgedacht, der Gitarrist sich die Akkorde dazu überlegt und das Publikum uns Vorschläge und Anregungen zur Verbesserung gegeben. Am Ende hatten wir dann ein richtiges Lied mit Strophen und Refrain entwickelt. Dazu kamen noch die Lyrics und so ist „EDEN“ entstanden.

Viele Menschen wurden durch die Corona-Pandemie negativ beeinflusst und konnten Freunde und Verwandte nicht treffen. Jetzt ist es besonders wichtig, dass man gedanklich beieinander ist. „EDEN“ soll die Herzen der Zuhörer miteinander verbinden und Vertrauen zueinander herstellen. Ich möchte meine Fans mit dieser Single in eine heile, glückliche Welt bringen – in einen Garten Eden, in dem sie unbeschwert wie Adam und Eva leben können. Egal wie schwierig die Zeiten sein mögen, in jedem Herz steckt Glückseligkeit und ich hoffe, diese durch „EDEN“ hervorrufen zu können.

Eden Nimo
Das Cover der Single „EDEN“. © Nimo

Was möchten Sie Ihren deutschen Fans am Ende unseres Interviews mitteilen?

Nimo: Von meinen deutschen Fans habe ich gehört, dass viele sich momentan in einem Lockdown befinden. In Japan sind die Maßnahmen weniger streng geregelt, weswegen ich mir das Leben unter solchen Umständen schwer vorstellen kann, aber ich denke, dass es sehr anstrengend ist. Als Künstler ist es meine Aufgabe, durch meine Musik Menschen in schwierigen Zeiten zu unterstützen. Ich hoffe, dass ich meinen deutschen Fans genügend Beistand leisten kann, um diese Phase gemeinsam zu überstehen. Auf dass wir bald die Möglichkeit haben werden, uns wiederzusehen!

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