“Musik, die alle Menschen erreichen soll”: Singer-Songwriterin H-el-ical//

Diana Casanova
Diana Casanova

Im Jahr 2020 feierte ihr Solo-Projekt H-el-ical// das offizielles Debüt, dessen Aktivitäten bereits im Jahr zuvor unscheinbar auf YouTube begannen. Im Interview mit JAPANDIGEST erzählt uns Singer-Songwriterin Hikaru// mehr über ihre neue Karriere, ihren Alltag als Sängerin sowie ihre Eindrücke des Pandemie-Jahres.

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Singer-Songwriterin Hikaru// im Dezember 2020 während eines Live-Konzertes. © アンザイミキ

Mit der dreiköpfigen Gesandsgruppe Kalafina begann vor über 10 Jahren ihre professionelle Karriere, doch im Jahr 2019 erfüllt sich die japanische Sängerin Hikaru// endlich den Traum einer Solo-Karriere. Mit „pulsation“ erscheint der erste Song unter dem Namen H-el-ical// auf der Videoplattform YouTube, auf der Hikaru// bis heute aktiv ihre Werke einem weltweiten Publikum präsentiert. 2020 folgten zugleich zwei weitere Singles: „Altern-ate“ und „disclose“ sind ferner die Titelsongs zweier erfolgreicher Animes. Ihren Songs, deren Texte sie stets selbst verfasst, verleiht Hikaru// durch ihre besondere Stimme und mitreißende Ausdrucksstärke eine kreative, persönliche Note, mit der sie Menschen weit über Japans Grenzen hinaus weltweit erreichen will.  

Mit JAPANDIGEST hat die Sängerin bereits ein exklusives Interview geführt, welches auf unserer Website erschien. Im Folgenden finden Sie die ausführliche Fortsetzung, die in gekürzter Form im JAPANDIGEST Printmagazin veröffentlicht wurde. Zum ersten Interview, in dem wir zusammen mit dem Musikproduzenten und -journalisten Tomita Akihiro u.a. über japanische Musik im Allgemeinen, die Songtexte von H-el-ical// und Hikaru//’s Heimat Toyama gesprochen haben, geht es hier:

H-el-ical//H-el-ical// und Musik ohne Grenzen: Im Interview mit Singer-Songwriterin Hikaru//2020 feiert das Projekt H-el-ical// sein musikalisches Debüt: Frontsängerin Hikaru// berichtet intensiv über ihre Karriere als Solo-Künstler...29.01.2021

JAPANDIGEST: Warum wollten Sie Sängerin werden?

Hikaru//: Der Hauptgrund war einfach, weil ich das Singen liebe. Seitdem ich denken kann, wollte ich Sängerin werden. Ich kann mich zwar nicht daran erinnern, aber meine Mutter sagte mir einmal, dass ich schon als kleines Kind die Sänger im Fernseher nachgemacht habe (lacht). Ich wollte so sehr Sängerin werden, dass ich mir nie Gedanken über andere mögliche Berufe gemacht habe. Deshalb bin ich wirklich froh, dass es geklappt hat. Ich frage mich, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn nicht!

Sie waren 10 Jahre lang Mitglied bei Kalafina. Wieso sind Sie anschließend solo gegangen?

Ich wollte unbedingt mit dem Singen weitermachen. Vor Kalafina nahm ich stets mit dem Ziel einer Solo-Karriere an Castings teil. In meiner Zeit bei Kalafina war ich dann so sehr damit beschäftigt, mich der Herausforderung unserer dreistimmigen Harmonie vollständig zu widmen, dass an Solo-Aktivitäten nicht zu denken war. Nun, wo ich an den Anfang zurückgekehrt bin, beginne ich meine eigene Karriere.

Sie sind seit nunmehr 13 Jahren professionelle Sängerin. Verglichen mit Ihrem allerersten Live-Konzert, was hat sich verändert? Haben Sie sich selbst verändert?

Am Anfang konzentrierte ich mich nur darauf jedes einzelne Lied bzw. jeden Liederblock zu singen, doch im Hinblick auf den Konzertaufbau und weitere Aspekte, geriet die Gesamtinszenierung der Auftritte mehr in meinen Fokus. Ich glaube nicht, dass ich mich selbst wirklich verändert habe. Das Ich auf der Bühne während eines Konzertes ist mein „On“-Modus, dort lerne ich und lasse mich inspirieren – mein „Off“-Modus-Ich hat sich überhaupt nicht verändert (lacht).

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Nach 10 Jahren verwirklicht Hikaru// nun ihren Traum der Solo-Karriere. © Hifumi,inc. / NBCUNIVERSAL ENTERTAIMENT JAPAN.LLC

Bevor Sie als H-el-ical// Ihr offizielles Debüt feierten, haben Sie mehrere Lieder auf dem Videoportal YouTube hochgeladen.

Ich habe überlegt, wie ich den Menschen meine Musik nicht als „Kalafinas Hikaru“, sondern als Solo-Künstlerin vermitteln kann. Deshalb habe ich meine Lieder zuerst auf YouTube veröffentlicht, ohne dabei „Hikaru“ zu verwenden. Ein Vorteil von YouTube ist, dass man damit Menschen auf der ganzen Welt erreichen kann. Durch meine Zeit bei Kalafina hatte ich nicht nur die Unterstützung japanischer, sondern auch vieler internationaler Fans. Als ich dann meinen persönlichen Twitter-Account startete, bekam ich so viele Nachrichten von Fans aus dem Ausland – eben weil es solche Menschen gab, entschied ich mich, meine Musik auch auf YouTube zu veröffentlichen.

“Ich möchte das Gefühl vermitteln, als würde man auf eine Reise durch viele Ländern gehen.”

Reden wir über die Lieder von H-el-ical//. Viele haben einen fremdsprachigen Titel, z.B. „yolcu“ (Türkisch, „Reisender“) oder „Avaricia“ (Spanisch, „Gier“). Wie kam es dazu?

Wie gesagt, ich möchte eine Verbindung zu internationalen Fans aufbauen, auch sie sollen meine Musik genießen. Alle Songtexte bzw. andere -titel sind selbstverständlich auf Japanisch. Ich gab einigen Liedern aber einen fremdsprachigen Titel, damit auch Menschen aus dem Ausland den Wunsch verspüren, meine Musik zu hören. Besonders in meinem ersten Album namens „H-el-ical//“ möchte ich das Gefühl vermitteln, als würde man auf eine Reise durch viele Länder gehen. Diesen Wunsch wollte ich in den Songtiteln zum Ausdruck bringen.

[Video] H-el-ical//’s zweite Single “Avaricia”, nur eines von mehreren Liedern, das von ausländischen Musikstilen und Sprachen inspiriert worden ist.

Sie haben alle Songtexte bisher selbst verfasst. Welche Vorteile und Schwierigkeiten gibt es dabei?

Ein Vorteil ist, dass beim Singen nicht wirklich Missverständnisse entstehen können, denn ich nutze ja meine eigenen Gedanken und Worte. In den Texten spiegeln sich die Dinge wider, die ich den Menschen unbedingt mitteilen möchte. Ein Problem ist jedoch die Tatsache, dass mir eben nur mein persönliches „Vokabular“ zur Verfügung steht. Nachdem ich so viele Songtexte geschrieben habe, frage ich mich immer wieder: „Gibt es dafür denn nicht mehr oder andere Begriffe?“. Manchmal ändert sich die gesamte Stimmung, wenn man dieselbe Szenerie nur mit anderen Worten beschreibt. Deshalb ist es so wichtig, seinen Wortschatz zu erweitern.

Bei eigenen Liedern haben Sie viel Spielraum, die eigenen Gedanken zu äußern. Diesen hat man beim Schreiben von Liedern eines Anime-Projektes vermutlich weniger.

Da ich selbst ein Fan von Anime und Manga bin, ist dieser Punkt nicht unbedingt schlimm für mich. Bisher bekam ich keine Vorgaben, die unmöglich umzusetzen waren. Allerdings ist ein typisches Opening- oder Ending-Thema nur etwa 1:30 Minuten lang, im Fernsehen läuft das Lied also nur bis zum ersten Refrain. Ich bemühe mich von Anfang an, in diesem einen Refrain eine Verbindung zum Anime herzustellen. Diese ist zwar wichtig, doch sie darf auch nichts über die Handlung verraten. Daher muss ich meine Worte geschickt wählen. Dies sind in der Regel meine einzigen Einschränkungen beim Schreiben.

Je nachdem, ob Sie gerade ein neues Lied schreiben oder ein Konzert planen, ist der Arbeitsalltag einer Sängerin sicherlich vielfältig. Wie sieht ein Arbeitstag, z.B. am Tag eines Konzertes, aus?

Am Tag eines Konzertes stehe ich morgens auf, bereite mich vor und gehe dann zum Veranstaltungsort. Dort angekommen wird mein Make-up gemacht, ich ziehe mein Outfit an und dann geht es zur Generalprobe. Bis zum eigentlichen Start des Konzertes frische ich mein Make-up auf oder treffe noch letzte Vorkehrungen, und dann geht es schon los. Im Anschluss verabschiede ich die Gäste, entferne mein Make-up und gehe nach Hause. Dort nehme ich ein entspanntes Bad, lese mir all die Nachrichten meiner Fans durch und schlafe schließlich glücklich in meinem Bett ein.

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Ausdrucksstärke sowohl in der Stimme als auch im Gesicht gehören zu Hikaru//'s Stärken. © Hifumi,inc. / NBCUNIVERSAL ENTERTAIMENT JAPAN.LLC

Ihre Stimme ist wahrscheinlich Ihr wichtigstes Instrument. Wie halten Sie sie gesund?

Normalerweise versuche ich nichts zu essen oder zu trinken, was meinen Hals reizen könnte. Zum Beispiel kohlensäurehaltige Getränke oder scharfe Gewürze. Ansonsten achte ich darauf, meine Kehle feucht zu halten.

Sehen Sie als professionelle Sängerin Musik mit anderen Augen im Vergleich zu normalen Fans?

Das kann man wohl schon als Berufskrankheit bezeichnen (lacht). Wenn ich Konzerte besuche, achte ich schon einmal mehr auf die Beleuchtung und andere Aspekte als auf den Künstler selbst. Ein Teil von mir genießt natürlich einfach die Musik. Gleichzeitig kann ich nicht anders, als das Ganze aus einem beruflichen Blickwinkel zu betrachten und z.B. darüber nachzudenken, wie ich mich auf jener Bühne wohl bewegen würde.

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Passieren Ihren während Konzerten noch Patzer? Zum Beispiel den Text vergessen, auf der Bühne stolpern oder das Mikro fallen lassen? Wie geht man mit solchen Fehlern am besten um?

Das kommt ein wenig auf den Patzer an… Auf der Bühne versuche ich, die Ruhe zu bewahren. Wenn ich sie im Anschluss verlasse bzw. deswegen niedergeschlagen bin, denke ich darüber nach, wie ich solche Sachen in Zukunft verbessern kann.

2012 waren Sie zusammen mit Kalafina zu Gast bei der deutschen Anime- und Manga-Convention AnimagiC. Woran können Sie sich von dieser Deutschland-Reise erinnern?

An die Podiumsdiskussion mit den Ehrengästen der Convention und die Autogrammstunde. Damals war der Anime „Puella Magi Madoka Magica“, für den Kalafina das Ending-Thema „Magia“ gesungen hat, sehr populär. Ich erinnere mich daran, dass wir alle Mützen in Form des Charakters „Kyubey“ bekommen haben (lacht). Wir gaben dort unser allererstes Deutschland-Konzert. Ich habe jeden Tag Bratwurst gegessen, weil sie so lecker war! Mein Bild von Deutschland bestand damals vor allem aus Wurst, und natürlich Brot. Bratwurst im Brötchen war einfach das Leckerste! Unser Auftritt war damals in Bonn, aber wir sind auch nach Köln gefahren, um den Dom zu besichtigen. Sehr aufregend!

© アンザイミキ

“Ich möchte überall hin! Überall dorthin, wo die Menschen zu mir sagen: Bitte komm her!“

Mit Kalafina hatten Sie Auftritte u.a. in Amerika, China und Mexiko. Wie unterscheiden sich Ihrer Meinung nach Konzerte in Japan zu denen im Ausland?

Verglichen mit Japan ist das Anfeuern viel intensiver. Schon während der Ouvertüre zu Beginn der Konzerte konnte ich die lauten Rufe der Menschen hören! Nicht nur die Sprache an sich war anders, sondern gab es vor allem mehr Körpersprache. Im Gegensatz zu Japan hatten mehr Fans zum Anfeuern etwas in der Hand wie ein Skizzenbuch, in dem eine Botschaft an uns stand oder ein selbst gebasteltes Fanbuch. Selbst während der Balladen blieben alle von Anfang bis Ende stehen.

Welche Länder möchten Sie mit H-el-ical// einmal besuchen?

Alle Länder! Durch Plattformen wie Twitter, YouTube sowie Spotify haben Menschen aus vielen verschiedenen Ländern Zugang zu meiner Musik. Doch möchte ich sie auch direkt und persönlich übermitteln. Auf die Frage, wohin ich also gehen möchte, lautet die Antwort: überall hin! Überall dorthin, wo die Menschen zu mir sagen: „Bitte komm her!“.

In Deutschland trifft die Corona-Pandemie die Kultur- und Konzertbranche besonders hart. Auch wenn es vergleichsweise noch nicht ganz so extrem ist, leidet wohl die japanische Live-Szene. Wie haben Sie als direkt Betroffene das Jahr 2020 erlebt?

Jedes Land erwägt sicherlich die jeweils aktuellen Umstände und reagiert darauf entsprechend. Ein H-el-ical//-Konzert, das im April 2020 stattfinden sollte, wurde abgesagt und Release-Events zum Erscheinen neuer Singles konnten nur online abgehalten werden. Es war ein Jahr, indem wir uns ganz den Dingen widmeten, die möglich waren und auf den Tag warteten, an dem wir wieder ohne Bedenken unserer Arbeit würden nachgehen können.

Das abgesagte Konzert konnten Sie im Dezember desselben Jahres unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen nachholen. Welche wurden getroffen?

Wir haben unsere Vorsichtsmaßnahmen bei den Behörden angemeldet, die Maximalzahl der Sitzplätze wurde auf weniger als die Hälfte reduziert und die Zuschauer saßen mit viel Abstand zueinander. Während des Einlasses wurde die Temperatur gemessen und Desinfektionsmittel bereitgestellt, alle mussten Mund-Nasen-Masken tragen. Während des Konzertes durfte man auch nicht anfeuern oder laut rufen.

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H-el-ical// im Dezember 2020: Nach vielen Monaten des Wartens konnte Hikaru// unter strengen Schutzvorkehrungen vor einem Live-Publikum auftreten. © アンザイミキ

“Solange mich andere Menschen unterstützen, möchte ich meine Stimme an diese Orte tragen.”

Sie konnten im letzten Jahr kaum Live-Auftritte absolvieren und es bleibt unklar, wie 2021 aussehen wird. Wie haben Sie vor mit Fans in Kontakt zu bleiben?

Meine Fans haben mir gezeigt, dass man miteinander verbunden sein kann, ohne sich persönlich zu treffen. Es gibt so viele soziale Medien. H-el-ical// hat offizielle Kanäle auf YouTube, Twitter und Facebook, und ich selbst führe persönliche Accounts auf Twitter und Instagram. Dort können wir miteinander interagieren und uns gegenseitig Kraft geben, bis Live-Konzerte und Events mit Besuchern wieder vollends möglich sind.

Welche Ziele haben Sie – trotz der aktuellen Umstände – für die Zukunft?

Ich möchte weiter daran arbeiten, meine Musik im In- und Ausland zu verbreiten. Solange mich andere Menschen unterstützen, möchte ich meine Stimme an diese Orte tragen. Bis dahin werde ich nicht mit dem Singen aufhören. Auch wenn ich Fans aktuell nicht persönlich treffen kann, so hege ich diesen Wunsch auch weiterhin. Und wenn es so weit ist, kann ich sagen: „Endlich sehen wir uns!“. Jeden Tag werde ich mein Bestes geben, damit meine Musik alle Menschen erreichen kann.


H-el-ical// online

Diskografie

  • Dezember 2019: Release des ersten Albums “H-el-ical//” 
  • April 2020: Release des Mini-Albums “elements” 
  • Mai 2020: Offizielles Debüt, Release der 1. Single “Altern-ate-” (Opening-Thema des Animes “Gleipnir”)
  • November 2020: Release der 2. Single “disclose” (Ending-Thema des Animes “Magatsu Wahrheit -ZUERST-“)
  • Dezember 2020: Release des 2. Mini-Albums “Blooming” 

Dieser Artikel erschien in der April-Ausgabe des JAPANDIGEST 2021. Er wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.

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